„Ja, Doktor“, bestätigte Cha Thrat.
„Sollte irgend etwas Verdächtiges vorgehen, während ich bei Ihnen bin“, fuhr er fort, „wird Freund Fletcher, selbst wenn ich einem Überfall entgehen kann und noch ich selbst zu sein scheine, den Tunnel abriegeln und sofort die Quarantänebestimmungen in Kraft setzen.
Zu dieser Lebensform brauchen wir so viele Informationen, wie Sie uns geben können“, schloß er. „Bitte fahren Sie mit Ihrem Bericht fort, meine Freundin, wir zeichnen alles auf. Ich mache mich jetzt auf den Weg.“
„Und ich begleite Sie“, entschied sich Murchison in bestimmtem Ton. „Falls das der einzige Überlebende auf dem Schiff ist und zu einer neuentdeckten intelligenten Spezies gehört, die später vielleicht der Föderation beitritt, wird mir Thorny mit allen sechs Beinen aufs Dach steigen, wenn ich ihn sterben lasse. Danalta und Naydrad können ja hierbleiben, um das Bild von der Kamera zu verfolgen und uns bei Bedarf Spezialausrüstung zu schicken. Und für den Fall, daß der kleine Alien nicht so freundlich ist, wie Cha Thrat behauptet, werde ich zusätzlich zu meinen Instrumenten noch einen Hochleistungsschneidbrenner mitnehmen, um Ihnen den Rücken zu decken, Doktor.“
„Danke, meine Freundin, aber das lassen Sie mal lieber“, wehrte Prilicla ab.
„Ich denke gar nicht daran, Doktor“, beharrte die Pathologin auf ihrem Vorhaben. „Bei allem Respekt, Sie haben zwar den Rang, aber bestimmt nicht die Muskeln, um mich daran zu hindern.“
„Wenn Sie noch irgendeine bewußte emotionale Ausstrahlung entdecken wollen, dann beeilen Sie sich bitte“, warf Cha Thrat ungeduldig ein. „Der Patient muß dringend behandelt werden.“
Sofort erhob Fletcher Einspruch gegen den ungerechtfertigten Gebrauch der Bezeichnung „Patient“. Cha Thrat überhörte ihn und fuhr damit fort, einen Überblick über die Krankengeschichte des Überlebenden und die Entwicklungsgeschichte seiner Spezies zu geben, indem sie so gut wie sie konnte die Gedanken und Vorstellungen beschrieb, die der Alien ihr mit so großer Mühe einflößte.
Die scheibenförmige Lebensform stammte von einem Planeten, den selbst der sommaradvanische, gogleskanische und terrestrische Teil von Cha Thrats Gehirn für schön hielt. Dort gab es eine derart üppige Fauna und Flora, daß selbst die größeren Tierarten nicht ums Überleben kämpfen mußten und deshalb auch keine Intelligenz entwickelt hatten. Doch schon seit frühester Zeit, als alles Leben noch in den Meeren war, entwickelte sich eine Spezies, die sich an viele verschiedene einheimische Tiere heften konnte. Zusammen bildeten sie eine symbiotische Gemeinschaft: Das Wirtstier wurde zu den besten Nahrungsquellen dirigiert, während der schwache und relativ kleine Parasit den Schutz seines Wirts genoß und sich zudem durch dessen Beweglichkeit seine eigene, weniger leicht zu findende Nahrung suchen konnte. Mit der Zeit verließen die Wirtstiere das Wasser und entwickelten sich zu großen Landtieren ohne Intelligenz. Die Gemeinschaft zu beiderseitigem Nutzen setzte sich fort, wobei die Parasiten immer mehr Intelligenz entwickelten.
Die früheste Geschichtsüberlieferung berichtete von vergeblichen Versuchen, vielen verschiedenen Wirtstierarten Intelligenz anzuerziehen. Schließlich wurde allen anderen Gattungen die einheimische, sechsbeinige FGHJ-Lebensform vorgezogen, die die Fähigkeit besaß, mit den unterschiedlichsten Materialien zu arbeiten, wenn ihre Gliedmaßen von einem Parasiten gesteuert wurden.
Doch die Parasiten sehnten sich immer mehr nach Gehirnpartnern, nach Wesen, die widersprechen, diskutieren, neue Ideen und Standpunkte einbringen konnten und die keine Ähnlichkeit mit Kreaturen hatten, die nur wenig mehr als sich selbst versorgende, organische Universalwerkzeuge waren, deren einzige Fähigkeiten darin bestanden, auf Befehl zu sehen, zu hören und Handgriffe zu verrichten.
Mit diesen lebendigen Werkzeugen erbauten sie große Städte, Fabrikanlagen und Schiffe, die erst den Planeten umfuhren, dann durch die Atmosphäre flogen und schließlich durch die erschreckende und zugleich überwältigende Leere zwischen den Sternen kreuzten. Doch die Städte waren wie die Raumschiffe funktionell und häßlich, weil sie von Wesen zum eigenen Komfort und Gebrauch gebaut worden waren, die keinen Sinn für Schönheit hatten und deren tierische Bedürfnisse durch Nahrung, Wärme und die regelmäßige Befriedigung des Fortpflanzungstriebs gestillt waren. Die FGHJs mußten wie teure Werkzeuge gepflegt werden, und viele von ihnen wurden mit jener Zuneigung geliebt, wie sie ein zivilisiertes Lebewesen einem treuen, aber nicht intelligentem Haustier nur entgegenbringen kann.
Die Parasiten hatten jedoch ihre ganz eigenen Bedürfnisse, die in keiner Weise denen ihrer Wirte ähnelten, von deren tierischen Gewohnheiten und unwillkürlichen Verhaltensweisen sie sich sehr abgestoßen fühlten. Für ihr stetiges seelisches Wohlergehen war es lebensnotwendig, sich regelmäßig von den Wirten zu lösen, um ein eigenes Leben zu führen. Das taten sie für gewöhnlich in den Stunden der Dunkelheit, wenn die Werkzeuge nicht mehr in Gebrauch waren und man sie dort unterzubringen vermochte, wo sie sich nichts antun konnten. Sie gingen ihrem Leben an den kleinen, stillen, privaten Plätzen nach, auf den winzigen Inseln der Zivilisation, Kultur und Schönheit im Herzen der städtischen Häßlichkeit, wo ihre Familien nisteten und man von den Wirtstieren durch alles mit Ausnahme von der Entfernung getrennt war.
Lange galt unter ihnen als allgemein anerkannte Tatsache, daß keine Lebensform oder Kultur der Stagnation entgeht, wenn sie sich nicht aus der eigenen Familie oder Sippe und schließlich aus der eigenen Welt hinausbegibt. Auf ihrer ständigen Suche nach anderen, ihnen ähnlichen oder auch vollkommen unähnlichen intelligenten Wesen hatten sie zwar viele Planeten außerhalb des eigenen Sonnensystems entdeckt und auf ihnen kleine Kolonien gegründet, aber keine der dort einheimischen Lebensformen verfügte über Intelligenz, so daß sie alle auch wieder nur als Werkzeuge zu gebrauchen waren.
Aufgrund der heftigen Abneigung der Parasiten, sich durch die ferngesteuerten Hände einer nichtintelligenten Lebensform berühren zu lassen, befaßte sich ihre Heilkunde ausschließlich mit den Bedürfnissen der Wirte. Deshalb war eine Krankheit, die sich ein FGHJ zuzog und die bei ihm selbst womöglich nur zu einer leichten Entkräftung führte, für den empfindlichen Organismus des Parasiten oft tödlich.
Cha Thrat legte eine kurze Verschnaufpause ein und hob eine ihrer oberen Hände, um den Parasiten abzustützen. Im Nacken hatte sie wieder Gefühl, und sie spürte, daß sich die Ranken des Aliens lösten und herauszogen. Ein Deck weiter unten konnte sie jetzt Prilicla und Murchison hören.
„Auf ihrem Schiff hat sich nun folgendes zugetragen“, fuhr Cha Thrat fort. „Die FGHJ-Wirte bekamen eine Krankheit, die zu leichtem, periodisch steigendem und fallendem Fieber führte, und wurden wieder gesund. Die Parasiten hingegen starben daran, bis auf diese eine Ausnahme. Doch bevor sie sich zum Sterben in das eigene Quartier zurückgezogen haben, brachten sie ihre Wirte, die nun keine Führer mehr hatten, an Orte, wo Nahrung vorhanden war und wo sie sich nicht selbst verletzen konnten. Die Parasiten hofften nämlich, daß für ihre Wirte rechtzeitig Hilfe eintreffen würde. Der Überlebende, der anscheinend eine besondere Widerstandskraft gegen die Krankheit hatte, sicherte das Schiff und machte es für Retter leicht zugänglich, setzte dann die Notsignalbake aus und kehrte in den Nistraum des Schiffs zurück, um seinen sterbenden Freunden Beistand zu leisten.