STEFAN ZWEIG
DER AMOKLUFER
VERWIRRUNG DER GEFHLE
Angst
DER STERN BER DEM WALDE
DIE LIEBE DER ERIKA EWALD
BRENNENDES GEHEIMNIS
VERGESSENE TRUME
DIE HOCHZEIT VON LYON
UNTERGANG EINES HERZENS
DIE GLEICH-UNGLEICHEN SCHWESTERN
Im Mrz des Jahres 1912 ereignete sich im Hafen von Neapel bei dem Ausladen eines groen berseedampfers ein merkwrdiger Unfall, ber den die Zeitungen umfangreiche, aber sehr phantastisch ausgeschmckte Berichte brachten. Obzwar Passagier derOceania, war es mir ebensowenig wie den anderen mglich, Zeuge jenes seltsamen Vorfalles zu sein, weil er sich zur Nachtzeit whrend des Kohlenladens und der Lschung der Fracht abspielte, wir aber, um dem Lrm zu entgehen, alle an Land gegangen waren und dort in Kaffeehusern oder Theatern die Zeit verbrachten. Immerhin meine ich persnlich, da manche Vermutungen, die ich damals nicht ffentlich uerte, die wirkliche Aufklrung jener erregenden Szene in sich tragen, und die Ferne der Jahre erlaubt mir wohl, das Vertrauen eines Gesprches zu nutzen, das jener seltsamen Episode unmittelbar vorausging.
Als ich in der Schiffsagentur von Kalkutta einen Platz fr die Rckreise nach Europa auf derOceaniabestellen wollte, zuckte der Clerk bedauernd die Schultern. Er wisse noch nicht, ob es mglich sei, mir eine Kabine zu sichern, das Schiff wre jetzt knapp vor dem Einbruch der Regenzeit immer schon von Australien her ausverkauft, er msse erst das Telegramm von Singapore abwarten. Am nchsten Tage teilte er mir erfreulicherweise mit, er knne mir noch einen Platz vormerken, freilich sei es nur eine wenig komfortable Kabine unter Deck und in der Mitte des Schiffes. Ich war schon ungeduldig, heimzukehren: so zgerte ich nicht lange und lie mir den Platz zuschreiben.
Der Clerk hatte mich richtig informiert. Das Schiff war berfllt und die Kabine schlecht, ein kleiner gepreter, rechteckiger Winkel in der Nhe der Dampfmaschine, einzig vom trben Blick der kreisrunden Glasscheibe erhellt. Die stockende, verdickte Luft roch nach l und Moder: nicht fr einen Augenblick konnte man dem elektrischen Ventilator entgehen, der wie eine toll gewordene sthlerne Fledermaus einem surrend ber der Stirne kreiste. Von unten her ratterte und sthnte wie ein Kohlentrger, der unablssig dieselbe Treppe hinaufkeucht, die Maschine, von oben hrte man unaufhrlich das schlurfende Hin und Her der Schritte vom Promenadendeck. So flchtete ich, kaum da ich den Koffer in das muffige Grab aus grauen Traversen verstaut hatte, wieder zurck auf Deck, und wie Ambra trank ich, aufsteigend aus der Tiefe, den slichen weichen Wind, der vom Lande her ber die Wellen wehte. Aber auch das Promenadendeck war voll Enge und Unruhe: es flatterte und flirrte von Menschen, die mit der flackernden Nervositt eingesperrter Unttigkeit unausgesetzt plaudernd auf und nieder gingen. Das zwitschernde Geschker der Frauen, das rastlos kreisende Wandern auf dem Engpa des Decks, wo vor den Sthlen der Schwrm in schwatzhafter Unruhe vorbeiwogte, um sich unablssig zu begegnen, tat mir irgendwie weh. Ich hatte eine neue Welt gesehen, rasch ineinanderstrzende Bilder in rasender Jagd in mich eingetrunken. Nun wollte ich mirs bersinnen, zerteilen, ordnen, nachbildend das hei in den Blick Gedrngte gestalten, aber hier auf dem gedrngten Boulevard gab es nicht eine Minute Ruhe und Rast. Die Zeilen in einem Buch zerrannen vor den flchtigen Schatten der Vorberplaudernden. Es war unmglich, mit sich selbst auf dieser schattenlosen wandernden Schiffsgasse allein zu sein. Drei Tage lang versuchte ichs, sah resigniert auf die Menschen, auf das Meer, aber das Meer blieb immer dasselbe, blau und leer, nur im Sonnenuntergang pltzlich mit allen Farben jh bergssen. Und die Menschen, sie kannte ich auswendig nach dreimal vierundzwanzig Stunden. Jedes Gesicht war mir vertraut bis zum berdru, das scharfe Lachen der Frauen reizte, das polternde Streiten zweier nachbarlicher hollndischer Offiziere rgerte nicht mehr. So blieb nur Flucht: aber die Kabine war hei und dunstig, im Salon produzierten unablssig englische Mdchen ihr schlechtes Klavierspiel bei abgehackten Walzern. Schlielich drehte ich entschlossen die Zeitordnung um, tauchte in die Kabine schon nachmittags hinab, nachdem ich mich zuvor mit ein paar Glsern Bier betubt, um das Souper und den Tanzabend zu berschlafen.
Als ich aufwachte, war es ganz dunkel und dumpf in dem kleinen Sarg der Kabine. Den Ventilator hatte ich abgestellt, so schwlte die Luft fettig und feucht an die Schlfen. Meine Sinne waren irgendwie betubt: ich brauchte Minuten, um mich an Zeit und Ort zurckzufinden. Mitternacht mute jedenfalls schon vorbei sein, denn ich hrte weder Musik noch den rastlosen Schlurf der Schritte: nur die Maschine, das atmende Herz des Leviathans, stie keuchend den knisternden Leib des Schiffes fort ins Unsichtbare. Ich tastete empor auf Deck. Es war leer. Und wie ich den Blick aufhob ber den dnstenden Turm des Schornsteins und die geisterhaft glnzenden Spieren, drang mit einmal magische Helle mir in die Augen. Der Himmel strahlte. Er war dunkel gegen die Sterne, die ihn wei durchwirbelten, aber doch: er strahlte; es war, als verhllte dort ein samtener Vorhang ungeheures Licht, als wren die sprhenden Sterne nur Luken und Ritzen, durch die jenes unbeschreiblich Helle vorglnzte. Nie hatte ich den Himmel gesehen wie in jener Nacht, so strahlend, so stahlblau hart und doch funkelnd, triefend, rauschend, quellend von Licht, das vom Mond verhangen niederschwoll und von den Sternen und das irgendwie aus einem geheimnisvollen Innern zu brennen schien. Weier Lack, flimmerten im Monde alle Randlinien des Schiffes grell gegen das samtdunkle Meer, die Taue, die Rahen, alles Schmale, alle Konturen waren aufgelst in diesem flutenden Glanz: gleichsam im Leeren schienen die Lichter auf den Masten und darber das runde Auge des Ausgucks zu hngen, irdische gelbe Sterne zwischen den strahlenden des Himmels. Gerade aber zu Hupten stand mir das magische Sternbild, das Sdkreuz, mit flimmernden diamantenen Ngeln ins Unsichtbare gehmmert, schwebend scheinbar, indes nur das Schiff Bewegung schuf, das leise bebend sich mit atmender Brust nieder und auf, nieder und auf, ein gigantischer Schwimmer, durch die dunklen Wogen stie. Ich stand und sah empor: mir war wie in einem Bade, wo Wasser warm von oben fllt, nur da dies Licht war, das mir wei und auch lau die Hnde bersplte, die Schultern, das Haupt mild umgo und irgendwie nach innen zu dringen schien, denn alles Dumpfe in mir war pltzlich aufgehellt. Ich atmete befreit, rein, und jh beseligt sprte ich auf den Lippen wie ein klares Getrnk die Luft, die weiche, gegorene, leicht trunken machende Luft, in der Atem von Frchten, Duft von fernen Inseln war. Nun, nun zum ersten Male, seit ich die Planken betreten, berkam mich die heilige Lust des Trumens, und jene andere sinnlichere, meinen Krper weibisch hinzugeben an dieses Weiche, das mich umdrngte. Ich wollte mich hinlegen, den Blick hinauf zu den weien Hieroglyphen. Aber die Ruhesessel, die Deckchairs waren verrumt, nirgends fand sich auf dem leeren Promenadendeck ein Platz zu trumerischer Rast.
So tastete ich weiter, allmhlich dem Vorderteil des Schiffes zu, ganz geblendet vom Licht, das immer heftiger aus den Gegenstnden auf mich zu dringen schien. Fast tat es schon weh, dies kalkweie, grell brennende Sternenlicht, ich aber hatte Verlangen, mich irgendwo im Schatten zu vergraben, hingestreckt auf eine Matte, den Glanz nicht an mir zu fhlen, sondern nur ber mir, an den Dingen gespiegelt, so wie man eine Landschaft sieht aus verdunkeltem Zimmer. Endlich kam ich, ber Taue stolpernd und vorbei an den eisernen Gewinden, bis an den Kiel und sah hinab, wie der Bug in das Schwarze stie und geschmolzenes Mondlicht schumend zu beiden Seiten der Schneide aufsprhte. Immer wieder hob, immer wieder senkte sich der Pflug in die schwarzflutende Scholle, und ich fhlte alle Qual des besiegten Elements, fhlte alle Lust der irdischen Kraft in diesem funkelnden Spiel. Und im Schauen verlor ich die Zeit. War es eine Stunde, da ich so stand, oder waren es nur Minuten: im Auf und Nieder schaukelte mich die ungeheure Wiege des Schiffes ber die Zeit hinaus. Ich fhlte nur, da in mich Mdigkeit kam, die wie eine Wollust war. Ich wollte schlafen, trumen und doch nicht weg aus dieser Magie, nicht hinab in meinen Sarg. Unwillkrlich ertastete ich mit meinem Fu unter mir ein Bndel Taue. Ich setzte mich hin, die Augen geschlossen und doch nicht Dunkels voll, denn ber sie, ber mich strmte der silberne Glanz. Unten fhlte ich die Wasser leise rauschen, ber mir mit unhrbarem Klang den weien Strom dieser Welt. Und allmhlich schwoll dieses Rauschen mir ins Blut: ich fhlte mich selbst nicht mehr, wute nicht, ob dies Atmen mein eigenes war oder des Schiffes fernpochendes Herz, ich strmte, verstrmte in diesem ruhelosen Rauschen der mitternchtigen Welt.