Darf ich vielleicht nachmittags zu Ihnen in die Kabine kommen
Er sah mich an - ein hhnischer, harter, zynischer Zug zerrte an seinen Lippen, etwas Bses stie und verkrmmte jedes Wort.
Aha Ihre famose Pflicht, zu helfen aha Mit der Maxime haben Sie mich ja glcklich zum Schwatzen gebracht. Aber nein, mein Herr, ich danke. Glauben Sie ja nicht, da mir jetzt leichter sei, seit ich mir die Eingeweide vor Ihnen aufgerissen habe bis zum Kot in meinen Drmen. Mein verpfuschtes Leben kann mir keiner mehr zusammenflicken ich habe eben umsonst der verehrlichen hollndischen Regierung gedient die Pension ist futsch, ich komme als armer Hund nach Europa zurck ein Hund, der hinter einem Sarg herwinselt man luft nicht lange ungestraft Amok, am Ende schlgts einen doch nieder, und ich hoffe, ich bin bald am Ende Nein, danke, mein Herr, fr Ihren gtigen Besuch ich habe schon in der Kabine meine Gefhrten ein paar gute alte Flaschen Whisky, die trsten mich manchmal, und dann meinen Freund von damals, an den ich mich leider nicht rechtzeitig gewandt habe, meinen braven Browning der hilft schlielich besser als alles Geschwtz Bitte, bemhen Sie sich nicht das einzige Menschenrecht, das einem bleibt, ist doch: zu krepieren wie man will und dabei ungeschoren zu bleiben von fremder Hilfe.
Er sah mich noch einmal hhnisch ja herausfordernd an, aber ich sprte: es war nur Scham, grenzenlose Scham. Dann duckte er die Schultern, wandte sich um, ohne zu gren, und ging merkwrdig schief und schlurfend ber das schon helle Verdeck den Kabinen zu. Ich habe ihn nicht mehr gesehen. Vergebens suchte ich ihn nachts und die nchste Nacht an der gewohnten Stelle. Er blieb verschwunden, und ich htte an einen Traum geglaubt oder an eine phantastische Erscheinung, wre mir nicht inzwischen unter den Passagieren ein anderer aufgefallen, mit einem Trauerflor um den Arm, ein hollndischer Grokaufmann, der, wie man mir besttigte, eben seine Frau an einer Tropenkrankheit verloren hatte. Ich sah ihn ernst und geqult abseits von den ndern auf und ab gehen, und der Gedanke, da ich um seine geheimste Sorge wute, gab mir eine geheimnisvolle Scheu: ich bog immer zur Seite, wenn er vorberkam, um nicht mit einem Blick zu verraten, da ich mehr von seinem Schicksal wute als er selbst.
Im Hafen von Neapel ereignete sich dann jener merkwrdige Unfall, dessen Deutung ich in der Erzhlung des Fremden zu finden glaube. Die meisten Passagiere waren abends von Bord gegangen, ich selbst in die Oper und dann noch in eines der hellen Cafes an der Via Roma. Als wir mit einem Ruderboot zu dem Dampfer zurckkehrten, fiel mir schon auf, da einige Boote mit Fackeln und Azetylenlampen das Schiff suchend umkreisten, und oben am dunklen Bord war ein geheimnisvolles Gehen und Kommen von Karabi-nieris und Gendarmerie. Ich fragte einen Matrosen, was geschehen sei. Er wich in einer Weise aus, die sofort zeigte, da Auftrag zum Schweigen gegeben sei, und auch am nchsten Tage, als das Schiff wieder friedfertig und ohne Spur eines Zwischenfalles nach Genua weiterfuhr, war nichts an Bord zu erfahren. Erst in den italienischen Zeitungen las ich dann, romantisch ausgeschmckt, von jenem angeblichen Unfall im Hafen von Neapel. In jener Nacht sollte, so schrieben sie, in unbelebter Stunde, um die Passagiere nicht durch den Anblick zu beunruhigen, der Sarg einer vornehmen Dame aus den hollndischen Kolonien von Bord des Schiffes auf ein Boot gebracht werden, und man lie ihn eben in Gegenwart des Gatten die Strickleiter herab, als irgend etwas Schweres vom hohen Bord niederstrzte und den Sarg mit den Trgern und dem Gatten, die ihn gemeinsam niederhiten, mit sich in die Tiefe ri. Eine Zeitung behauptete, es sei ein Irrsinniger gewesen, der sich die Treppe hinab auf die Strickleiter gestrzt habe, eine andere beschnigte, die Leiter sei von selbst unter dem bergroen Gewicht gerissen: jedenfalls schien die Schiffahrtsgesellschaft alles getan zu haben, um den genauen Sachverhalt zu verschleiern. Man rettete nicht ohne Mhe die Trger und den Gatten der Verstorbenen mit Booten aus dem Wasser, der Bleisarg aber ging sofort in die Tiefe und konnte nicht mehr geborgen werden. Da gleichzeitig in einer ndern Notiz kurz erwhnt wurde, es sei die Leiche eines etwa vierzigjhrigen Mannes im Hafen angeschwemmt worden, schien fr die ffentlichkeit in keinem Zusammenhang mit dem romantisch repor-tierten Unfall zu stehen; mir aber war, kaum da ich die flchtige Zeile gelesen, als starre pltzlich hinter dem papierenen Blatt das mondweie Antlitz mit den glitzernden Brillenglsern mir noch einmal gespenstisch entgegen.
STEFAN ZWEIG
Private Aufzeichnungen des Geheimrates R. v. D.
Sie haben es gut gemeint, meine Schler und Kollegen von der Fakultt: da liegt, feierlich berbracht und kostbar gebunden, das erste Exemplar jener Festschrift, die zu meinem sechzigsten Geburtstag und zum dreiigsten meiner akademischen Lehrttigkeit die Philologen mir gewidmet haben. Eine wahrhaftige Biographie ist es geworden; kein kleiner Aufsatz fehlt, keine Festrede, keine nichtige Rezension in irgendeinem gelehrten Jahrbuch, die nicht bibliographischer Flei dem papiernen Grabe entrissen htte - mein ganzer Werdegang, suberlich klar, Stufe um Stufe, einer wohlgefegten Treppe gleich, ist er aufgebaut bis zur gegenwrtigen Stunde - wirklich, ich wre undankbar, wollte ich mich nicht freuen an dieser rhrenden Grndlichkeit. Was ich selbst verlebt und verloren gemeint, kehrt in diesem Bilde geeint und geordnet zurck: nein, ich darf es nicht leugnen, da ich alter Mann die Bltter mit gleichem Stolz betrachtete wie einst der Schler jenes Zeugnis seiner Lehrer, das ihm Fhigkeit und Willen zur Wissenschaft erstmalig bekundete.
Aber doch: als ich die zweihundert fleiigen Seiten durchblttert und meinem geistigen Spiegelbild genau ins Auge gesehen, mute ich lcheln. War das wirklich mein Leben, stieg es tatschlich in so behaglich zielvollen Serpentinen von der ersten Stunde bis an die heutige heran, wie sichs hier aus papiernem Bestand der Biograph zurechtschichtet? Mir gings genau so, als da ich zum erstenmal meine eigene Stimme aus einem Grammophon sprechen hrte: ich erkannte sie vorerst gar nicht; denn wohl war dies meine Stimme, aber doch nur jene, wie die ndern sie vernehmen und nicht ich selbst sie gleichsam durch mein Blut und im innern Gehuse meines Seins hre. Und so ward ich, der ein Leben daran gewandt, Menschen aus ihrem Werke darzustellen und das geistige Gefge ihrer Welt wesenhaft zu machen, gerade am eigenen Erlebnis wieder gewahr, wie undurchdringlich in jedem Schicksal der eigentliche Wesenskern bleibt, die plastische Zelle, aus der alles Wachstum dringt. Wir erleben Myriaden Sekunden, und doch wirds immer nur eine, eine einzige, die unsere ganze innere Welt in Wallung bringt, die Sekunde, da (Stendhal hat sie beschrieben) die innere, mit allen Sften schon getrnkte Blte blitzhaft in Kristallisation zusammenschiet - eine magische Sekunde, gleich jener der Zeugung und gleich ihr verborgen im warmen Innern des eigenen Lebens, unsichtbar, untastbar, unfhlbar, einzig erlebtes Geheimnis. Keine Algebra des Geistes kann sie errechnen, keine Alchimie der Ahnung sie erraten, und selten errafft sie das eigene Gefhl.
Von jenem Geheimsten meiner geistigen Lebensentfaltung wei jenes Buch kein Wort: darum mute ich lcheln. Alles ist wahr darin - nur das Wesenhafte fehlt. Es beschreibt mich nur, aber es sagt mich nicht aus. Es spricht blo von mir, aber es verrt mich nicht. Zweihundert Namen umfat das sorgfltig geklitterte Register - nur der eine fehlt, von dem aller schpferischer Impuls ausging, der Name des Mannes, der mein Schicksal bestimmte und nun wieder mit doppelter Gewalt mich in meine Jugend ruft. Von allen ist gesprochen, nur von ihm nicht, der mir die Sprache gab und in dessen Atem ich rede: und mit einemmal fhle ich dieses feige Verschweigen als eine Schuld. Ein Leben lang habe ich Bildnisse von Menschen gezeichnet, aus Jahrhunderten her Gestalten zurckerweckt fr gegenwrtiges Gefhl, und gerade des mir Gegenwrtigsten, seiner habe ich niemals gedacht: so will ich ihm, dem geliebten Schatten, wie in homerischen Tagen zu trinken geben vom eigenen Blute, damit er wieder zu mir spreche und der lngst schon Weggealterte bei mir, dem Alternden, sei. Ich will ein verschwiegenes Blatt legen zu den offenbaren, ein Bekenntnis des Gefhls neben das gelehrte Buch und mir selbst um seinetwillen die Wahrheit meiner Jugend erzhlen.