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Dieser Zufall - heute nenne ich ihn dankbar einen glcklichen - bestand darin, da unvermuteterweise mein Vater zu einer Rektorenkonferenz fr einen Tag nach Berlin ins Ministerium beordert wurde. Als professioneller Pdagoge nutzte er die Gelegenheit, um ohne Ankndigung seines Kommens eine Stichprobe auf mein Betragen zu versuchen und mich Ahnungslosen zu berraschen. Dieser berfall, vortrefflich gelang er ihm. Wie meistens, hatte ich um die Abendstunde in meiner billigen Studentenbude im Norden - der Zugang ging durch die mittels eines Vorhangs abgeteilte Kche der Hausfrau - ein Mdel zu hchst vertraulichem Besuch, als vernehmlich an die Tr gepocht wurde. Einen Kollegen vermutend, murrte ich unwillig zurck:Bin nicht zu sprechen. Aber nach einer kurzen Pause wiederholte sich das Klopfen, einmal, zweimal und dann mit hrbarer Ungeduld ein drittes Mal. Zornig fuhr ich in die Hose, um den impertinenten Strer ausgiebig abzufertigen, und so, das Hemd halb offen, die Hosentrger niederpendelnd, die Fe nackt, ri ich die Tr auf, um sofort, wie mit der Faust ber die Schlfe geschlagen, im Dunkel des Vorraums die Silhouette meines Vaters zu erkennen. Von seinem Gesicht nahm ich im Schatten kaum mehr wahr als die Brillenglser, die im Rckschein funkelten. Aber dieser Schattenri gengte schon, da jenes bereits frech vorbereitete Wort mir wie eine scharfe Grte wrgend in der Kehle stecken blieb: einen Augenblick stand ich betubt. Dann mute ich ihn - entsetzliche Sekunde! - demtig bitten, einige Minuten in der Kche zu warten, bis ich mein Zimmer in Ordnung gebracht htte. Wie gesagt: ich sah sein Gesicht nicht, aber ich sprte, er verstand. Ich sprte es an seinem Schweigen, an der verhaltenen Art, wie er, ohne mir die Hand zu reichen, mit einer angewiderten Geste hinter den Vorhang in die Kche trat. Und dort, vor einem nach aufgewrmtem Kaffee und Rben dunstenden Eisenherd mute der alte Mann zehn Minuten stehend warten, zehn fr mich und ihn gleicherweise erniedrigende Minuten, bis ich das Mdel aus dem Bett in ihre Kleider getrieben und an dem wider Willen Lauschenden vorbei aus der Wohnung. Er mute ihren Schritt hren, und wie die Falten des Vorhangs bei ihrem eiligen Verschwinden im Luftzug vorschlugen; und noch immer konnte ich den alten Mann nicht aus dem entwrdigenden Versteck holen: zuvor mute die berdeutliche Unordnung des Bettes beseitigt sein. Dann erst trat ich - nie war ich beschmter in meinem Leben gewesen - vor ihn hin.

Mein Vater hat Haltung gehabt in dieser argen Stunde, noch heute danke ich ihm innerlich dafr. Denn immer, wenn ich des lngst Hingeschiedenen mich erinnern will, verweigere ich mir, ihn aus der Perspektive des Schlers zu sehen, die ihn einzig als Korrigiermaschine, als unablssig mkelnden, auf Genauigkeit versessenen Schulfuchs zu verachten beliebte, sondern immer nehme ich mir sein Bild von diesem seinem menschlichsten Augenblick, da der alte Mann zutiefst angewidert und doch sich bezhmend wortlos hinter mir in das durchschwlte Zimmer trat. Er trug den Hut und die Handschuhe in der Hand: unwillkrlich wollte er sie ablegen, aber dann kam eine Geste des Ekels, als htte er Widerwillen, mit irgendeinem Teil seines Wesens an diesen Schmutz zu rhren. Ich bot ihm einen Sessel; er antwortete nicht, nur eine wegwerfende Gebrde stie alle Gemeinschaft mit Gegenstnden dieses Raumes von sich fort.

Nach einigen eiskalten Augenblicken abgewandten Dastehens nestelte er endlich die Brille herab und putzte sie umstndlich, was bei ihm, ich wute es, Verlegenheit verriet; auch entging mirs nicht, wie der alte Mann, als er sie wieder aufsetzte, mit dem Handrcken ber das Auge fuhr. Er schmte sich vor mir, und ich schmte mich vor ihm, keiner fand ein Wort. Im geheimen frchtete ich, er wrde einen Sermon, eine schnrednerische Ansprache in jenem gutturalen Ton beginnen, den ich von der Schule her an ihm hate und hhnte. Aber - und heute danke ich ihm noch dafr - der alte Mann blieb stumm und vermied, mich anzusehen. Endlich ging er hin zu dem wackligen Gestell, wo meine Studienbcher standen, schlug sie auf - der erste Blick mute ihn schon berzeugen, sie seien unberhrt und meist unaufge-schnitten.Deine Kollegienhefte!- Dieser Befehl war sein erstes Wort. Zitternd reichte ich sie ihm hin, wute ich doch, die stenographischen Notizen umfaten blo eine einzige Lehrstunde. Er berflog die zwei Seiten mit einer raschen Wendung, legte, ohne das mindeste Zeichen von Erregung, die Hefte auf den Tisch. Dann zog er einen Stuhl heran, setzte sich nieder, sah mich ernst, aber ohne jeden Vorwurf an und fragte:Nun, wie denkst du ber das alles? Was soll da werden?

Diese ruhige Frage stampfte mich in den Boden. Alles war in mir schon gekrampft gewesen: htte er mich gescholten, ich wre anmaend losgefahren, htte er rhrselig mich ermahnt, ich htte ihn verhhnt. Aber diese sachliche Frage brach meinem Trotz die Gelenke: ihr Ernst forderte Ernst, ihre erzwungene Ruhe Respekt und innere Bereitschaft. Was ich antwortete, wage ich mich kaum zu erinnern, wie auch das ganze Gesprch, das nun folgte, mir noch heute nicht in die Feder wilclass="underline" es gibt pltzliche Erschtterungen, eine Art innern Aufschwalls, der, wiedererzhlt, wahrscheinlich sentimental klingen wrde, gewisse Worte, die nur ganz einmalig wahr sind, zwischen vier Augen und auffahrend aus einem unvermuteten Tumult des Gefhls. Es war das einzige wirkliche Gesprch, das ich jemals mit meinem Vater fhrte, und ich hatte kein Bedenken, mich freiwillig zu demtigen: ich legte alle Entscheidung in seine Hnde. Er aber bot mir nur den Rat, ich mchte Berlin verlassen und das nchste Semester an einer kleinen Universitt studieren, er sei gewi, trstete er beinahe, ich wrde von nun ab mit Leidenschaft das Versumte nachholen. Sein Vertrauen erschtterte mich; in dieser einen Sekunde fhlte ich alles Unrecht, das ich dem in eine kalte Frmlichkeit verbarrikadierten alten Mann eine ganze Jugend lang angetan. Ich mute vehement in die Lippen beien, um die Trnen zu zwingen, nicht hei aus den Augen zu strzen. Aber auch er mochte hnliches fhlen, denn er reichte mir pltzlich die Hand, hielt sie zitternd einen Augenblick und hastete dann hinaus. Ich wagte ihm nicht zu folgen, blieb unruhig und verwirrt und wischte mir mit dem Taschentuch das Blut von der Lippe: so sehr hatte ich, um mein Gefhl zu bemeistern, die Zhne in sie eingebissen.

Das war die erste Erschtterung, die ich, der Neunzehnjhrige, erfuhr - sie warf das ganze bombastische Kartenhaus von Mnnischkeit, Studenterei, Selbstherrlichkeit, das ich in drei Monaten gebaut, ohne den Hauch eines starken Wortes zusammen. Ich fhlte mich fest genug, nun auf alle mindern Vergnglichkeiten dank des herausgeforderten Willens zu verzichten, Ungeduld berkam mich, die verschwendete Kraft am Geistigen zu erproben, eine Gier nach Ernst, Nchternheit, Zucht und Strenge. In dieser Zeit verschwor ich mich ganz dem Studium wie einem klsterlichen Opferdienst, freilich unkund des hohen Rausches, der mich in der Wissenschaft erwartete, und ahnungslos, da auch in jener gesteigerten Welt des Geistes Abenteuer und Fhrnis dem Ungestmen immer bereitet sind.