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Und mit pltzlicher Wendung fuhr unvermutet das Blindfeuer der Rede auf uns zu:Versteht ihr nun, warum ich meine Vorlesung nicht in historischer Folge bei den Anfngen beginne, beim King Arthur und Chaucer, sondern aller Regel zu Trotz bei den Elisabethanern? Und versteht ihr, da ich vor allem Vertrautheit mit ihnen verlange, Einleben in diese hchste Lebendigkeit? Denn es gibt kein philologisches Verstehen ohne Erleben, kein blo grammatikalisches Wort ohne Erkenntnis der Werte, und ihr jungen Menschen sollt ein Land, eine Sprache, die ihr euch erobern wollt, zuerst in ihrer hchsten Schnheitsform sehen, in der starken Form seiner Jugend, seiner uersten Leidenschaft. Erst mt ihr bei den Dichtern die Sprache hren, bei ihnen, die sie schaffen und vollenden, ihr mt Dichtung einmal atmend und warm am Herzen gesprt haben, ehe wir sie zu anatomisieren anfangen. Darum beginne ich immer mit den Gttern, denn England ist Elisabeth, ist Shakespeare und die Shakespearianer, alles Frhere Vorbereitung, alles Sptere lahmes Nachlaufen diesem eigenen khnen Sprung ins Unendliche zu - hier aber, fhlt es, fhlt es selbst, ihr jungen Menschen, hier die lebendigste Jugend unserer Welt. Immer erkennt man ja jede Erscheinung, jeden Menschen nur in ihrer Feuerform, nur in der Leidenschaft. Denn aller Geist steigt aus dem Blut, alles Denken aus Leidenschaft, alle Leidenschaft aus Begeisterung - darum Shakespeare und die Seinen zuerst, die euch junge Menschen erst wahrhaftig jung machen! Erst der Enthusiasmus, dann erst der Flei, erst Er, der Hchste, der uerste, dies herrlichste Repetitorium der Welt, vor dem Studium des Worts!

Und nun genug fr heute - lebt wohl!- Mit jh abschlieender Geste wlbte sich die Hand und taktierte herrisch unvermutet ab, indes er gleichzeitig vom Tische absprang. Wie auseinandergerttelt fuhr mit einmal das dicht zusammengedrckte Bndel der Studenten schtter auf, Sessel knackten und polterten, Tische rckten, zwanzig verschlossene Kehlen hben mit einmal an zu reden, sich zu ruspern, breitstrmig zu atmen - jetzt erst sah man, wie magnetisch die Bannung gewesen, die alle diese atmenden Lippen verschlo. Um so hitziger und hemmungsloser wogte nun im engen Rume das Durcheinander; einige traten auf den Lehrer zu, um ihm Dank oder ein anderes zu sagen, indes die brigen heien Gesichts untereinander ihre Eindrcke austauschten; keiner aber stand ruhig, keiner unberhrt von der elektrischen Spannung, deren Kontakt brsk gerissen war und von der doch Hauch und Feuer noch in der gedrngten Luft zu knistern schienen.

Ich selbst konnte mich nicht rhren: ich war wie auf das Herz getroffen. Leidenschaftlich ich selbst, und fhig, alles nur passioniert, mit einem vorstrzenden Sto aller Sinne zu begreifen, hatte ich zum erstenmal von einem Lehrer, von einem Menschen mich gefat gefhlt, eine bermacht empfunden, vor der sich zu beugen Pflicht und Wollust sein mute. Meine Adern gingen warm, ich sprte es, mein Atem schneller, bis in meinen Krper hinein hmmerte sich dieser jagende Rhythmus und ri ungeduldig an jedem Gelenk. Endlich gab ich mir nach, drngte langsam in die vordere Reihe, das Gesicht dieses Mannes zu sehen, denn - sonderbar! - whrend er sprach, hatte ich seine Zge gar nicht wahrgenommen, so sehr waren sie vergangen, so sehr eingegangen in die Rede. Auch jetzt konnte ich vorerst nur ein ungenaues Profil schattenhaft erblicken: er stand, einem Studenten halb zugewandt, die Hand vertraulich auf die Schulter gelegt, im Zwielicht des Fensters. Aber selbst diese flchtige Bewegung hatte eine Innigkeit und Anmut, wie ich sie niemals bei einem Schulmann fr mglich gehalten.

Inzwischen waren einige Studenten auf mich aufmerksam geworden; und um nicht als unberufener Eindringling zu gelten, trat ich noch einige Schritte an den Professor heran und wartete, bis er sein Gesprch beendet. Nun erst gewann ich Zublick in sein Gesicht: ein Rmerkopf, marmorn die Stirne gewlbt, und die blankschimmernde an den Seiten berbuscht von rckschlagender Welle weien schopfigen Haares; ein imponierend khner Oberbau geistiger Fraktur - unterhalb der tiefen Augenschatten aber rasch weich, fast weibisch werdend durch die glatte Rundung des Kinns, die unruhige Lippe, um die, ein Lcheln bald und bald ein unruhiger Ri, die Nerven flatterten. Was oben die Stirne mannhaft schn zusammenhielt, lste die nachgiebigere Plastik des Fleischlichen in etwas schlaffe Wangen und einen unsteten Mund; vorerst imposant und herrscherisch, wirkte von der Nhe gesehen sein Antlitz mhsam zusammengestrafft. Auch die krperliche Haltung sprach ein hnlich Zwiefltiges aus. Seine Linke ruhte nachlssig auf dem Tisch oder schien wenigstens zu ruhen, denn unausgesetzt vibrierten kleine zitternde Triller ber die Knchel hin, und die schmalen, fr eine Mnnerhand ein wenig zu zarten, ein wenig zu weichen Finger malten ungeduldig unsichtbare Figuren ber die leere Holzplatte, indes seine von schweren Lidern gedeckten Augen anteilnehmend sich ins Gesprch beugten. War er unruhig, oder zitterte die Erregung noch in den aufgetriebenen Nerven nach: jedenfalls widersprach die fahrige Unbeherrschtheit der Hand dem ruhig Lauschenden und Abwartenden seines Gesichts, das ermattet und doch aufmerksam in die Zwiesprache mit dem Studenten vertieft schien.

Endlich kam die Reihe an mich, ich trat heran, nannte Namen und Absicht, und sofort hellte sich der Stern des Auges in der fast blauleuchtenden Pupille mir zu. Zwei, drei volle fragende Sekunden berkreiste dieser Glanz mein Gesicht vom Kinn bis ins Haar: ich mochte wohl errtet sein, und unter dieser mild inquisitorischen Betrachtung, denn er quittierte meine Verwirrung mit einem geschwinden Lcheln.Also Sie wollen bei mir inskribieren: da mssen wir noch ausfhrlicher miteinander sprechen. Entschuldigen Sie mich, da ichs nicht sofort tue. Ich habe jetzt noch einiges zu erledigen; vielleicht erwarten Sie mich unten vor dem Tor und begleiten mich dann nach Hause. Dabei bot er mir die Hand, die zarte, schmale Hand, die sich leichter als ein Handschuh an meine Finger legte, schon dem Nchstwartenden freundlich zugewandt.

Zehn Minuten harrte ich vor dem Tor klopfenden Herzens. Was sagen, wenn er nach meinen Studien fragte, wie ihm bekennen, da alles Dichterische weder meine Arbeit noch meine Muestunden je beschftigt? Wrde er mich nicht miachten oder am Ende von vornherein ausschlieen aus jenem feurigen Kreis, der michheute magisch umfangen? Aber kaum da er, rasch genhert und guten Lchelns, jetzt vortrat, nahm schon seine Gegenwart alle Befangenheit, ja, ohne da er mich gedrngt, beichtete ich (unfhig, vor ihm mich zu verber-gen), mein erstes Semester so ziemlich versumt zu haben. Wieder umfing mich jener warme anteilnehmende Blick.Auch die Pause gehrt zur Musik, lchelte er ermutigend, und offenbar um mich nicht weiter in meiner Unwissenheit zu beschmen, erkundigte er sich nach blo persnlichen Dingen, nach meiner Heimat, und wo ich hier zu wohnen gedchte. Als ich ihm mittete, ich htte bislang noch kein Zimmer gefunden, bot er mir seine Hilfe an und riet, ich mchte vorerst in seinem Haus mich erkundigen, dort vermiete eine alte, halbtau-be Frau ein nettes Zimmerchen, mit dem jeder seiner Schler jeweils zufrieden gewesen sei. Und fr alles andere wolle er selber sorgen: erflle ich wirklich die Absicht, das Studium ernst zu nehmen, so betrachte eres als liebste Pflicht, mir in jeder Weise frderlich zu sein. Wieder bot er mir, vor seiner Wohnung angelangt, die Hand und lud mich ein, ihn am nchsten Abend zu Hause zu besuchen, damit wir einen Studienplan gemeinsam ausarbeiten. Und so gro war meine Dankbarkeit fr die unverhoffte Gte dieses Menschen, da ich nur ehrfrchtig seine Hand ertastete, verworren den Hut zog und verga, ihm mit einem Worte zu danken.

Selbstverstndlich mietete ich sogleich das Zimmerchen im gleichen Hause. Ich htte es nicht minder genommen, htte es mir auch durchaus nicht zugesagt, und dies einzig aus dem naiv dankbaren Gefhl, diesem zauberischen Lehrer, der mir in einer Stunde mehr gegeben als alle ndern, rumlich nher zu sein. Aber das Zimmerchen war reizend: das Dachgescho ber der Wohnung meines Lehrers, ein wenig dunkel vom berhngenden Holzgiebel, gestattete es weitgerundeten Fensterblick auf die nachbarlichen Dcher und den Kirchturm; ferne sah man schon grnes Geviert und darber die Wolken, die heimatgeliebten. Ein altes stocktaubes Frauchen sorgte mit rhrender Mtterlichkeit fr ihre jeweiligen Pfleglinge; in zwei Minuten war ich einig mit ihr, und eine Stunde spter knirschte schon mein Koffer die knarrende Holztreppe hinauf.