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Und wieder, als er pltzlich mit einem Anruf aus Goethes Shakespeare-Rede endigte, brach unsere Erregung ungestm entzwei. Und wieder wie gestern lehnte er erschpft an dem Tisch, das Gesicht bleich, aber noch berrieselt von kleinen zuckenden Lufen und Trillern der Nerven, und im Auge glimmerte merkwrdig die weiterstrmende Wollust der Ergieung wie bei einer Frau, die eben sich bermchtiger Umarmung entrungen. Ich hatte Scheu, jetzt mit ihm zu sprechen; aber zufllig traf mich sein Blick. Und offenbar fhlte er meine begeisterte Dankbarkeit, denn er lchelte mir freundlich zu, und leicht mir zugeneigt, die Hand meiner Schulter umlegend, erinnerte er mich, heute abend, wie vereinbart, zu ihm zu kommen.

Pnktlich um sieben Uhr war ich dann bei ihm; mit welchem Zittern berschritt ich Knabe diese Schwelle zum erstenmal! Nichts ist ja leidenschaftlicher als die Verehrung eines Jnglings, nichts scheuer, nichts frauenhafter als ihre unruhige Scham. Man fhrte mich in sein Arbeitszimmer, einen halbdunklen Raum, in dem ich vorerst nur, ihre glsernen Scheiben durchblinkend, die farbigen Rcken vieler Bcher sah. ber dem Schreibtisch hing RaffaelsSchule von Athen, ein Bild, von ihm (wie er mir spter ausfhrte) besonders geliebt, weil alle Arten des Lehrens, alle Gestaltungen des Geistes sich hier symbolisch zu vollkommener Synthese einen. Ich sah es zum erstenmaclass="underline" unwillkrlich meinte ich in Sokrates' eigenwilligem Gesicht eine hnlichkeit mit seiner Stirn zu entdecken. Von rckwrts leuchtete etwas weimarmorn, die Bste des Pariser Ganymed in schner Verkleinerung, daneben der heilige Sebastian eines altdeutschen Meisters, tragische Schnheit neben die genieende wohl nicht zufllig gestellt. Pochenden Herzens wartete ich, atemstumm wie all die ringsum edel-schweigsamen Kunstgestalten; aus diesen Dingen sprach symbolisch eine mir neue Art der geistigen Schnheit, die ich nie geahnt und die mir noch nicht deutlich war, wenn ich auch sie brderhaft zu spren mich schon bereitet fhlte. Aber der Betrachtung blieb nur knappe Frist, denn eben trat der Erwartete ein und auf mich zu; wieder berhrte mich jener weichumhllende, jener wie verdecktes Feuer schwelende Blick, der zum eigenen Staunen das Geheimste in mir auftaute. Ich sprach sofort ganz frei zu ihm wie zu einem Freunde, und als er nach meinem Berliner Studiengang fragte, drngte sich mir pltzlich - ich erschrak in der gleichen Sekunde - jene Erzhlung von dem Besuche meines Vaters auf die Lippe, und ich bekrftigte dem Fremden jenes geheime Gelbnis, mit uerstem Ernst mich dem Studium hinzugeben. Er sah mich bewegt an.Nicht nur mit Ernst, mein Junge, sagte er dann,vor allem mit Leidenschaft. Wer nicht passioniert ist, wird bestenfalls ein Schulmann - von innen her mu man an die Dinge kommen, immer, immer von der Leidenschaft her. Immer wrmer wurde seine Stimme, immer dunkler das Zimmer. Er erzhlte viel von seiner eigenen Jugend, wie auch er tricht begonnen und erst spt sich die eigene Neigung entdeckt: ich solle nur Mut haben, und soweit es an ihm liege, wollte er mir frderlich sein; unbesorgt mge ich mit allen Wnschen und Fragen mich an ihn wenden. Noch nie hatte jemand so anteilnehmend, so tiefverstndig in meinem Leben zu mir geredet; ich zitterte vor Dankbarkeit und war des Dunkels froh, da es meine nassen Augen barg.

Stundenlang htte ich, unachtsam der Zeit, so verweilen knnen, da klopfte es leise. Die Tre ging, eine schmale Gestalt trat herein, schattenhaft. Er stand auf und stellte vor:Meine Frau. Der schlanke Schatten kam undeutlich heran, legte eine schmale Hand in die meine und mahnte dann, an ihn gewandt:Das Abendessen ist bereit. Ja, ja, ich wei߫, antwortete er hastig und (so dnkte es mich zumindest) ein wenig rgerlich. Etwas Kaltes schien pltzlich in seine Stimme geraten, und wie jetzt das elektrische Licht aufflammte, war es wieder der gealterte Mann des nchternen Schulsaals, der mit lssiger Gebrde mir Abschied bot.

Die nchsten beiden Wochen verbrachte ich in einem leidenschaftlichen Furor des Lesens und Lernens. Ich verlie kaum das Zimmer, nahm, um keine Zeit zu verlieren, stehend meine Mahlzeiten, ich studierte ohne Innehalten, ohne Pause, beinahe ohne Schlaf. Mir ging es wie jenem Prinzen im morgenlndischen Zaubermrchen, der, ein Siegel nach dem ndern von der Tr verschlossener Zimmer lsend, in jedem Zimmer immer noch mehr Juwelen und Edelsteine gehuft findet und immer gieriger nun die ganze Flucht dieser Gemcher nachforscht, ungeduldig, zum letzten zu gelangen. Genau so strzte ich aus einem Buch ins andere, von jedem berauscht, von keinem gesttigt: meine Unbndigkeit war nun ins Geistige gefahren. Eine erste Ahnung von der weglosen Weite der geistigen Welt hatte mich berkommen, ebenso verfhrerisch fr mich als die abenteuerliche der Stdte, zugleich aber auch die knabenhafte Angst, sie nicht bewltigen zu knnen; so sparte ich mit Schlaf, mit Vergngen, mit Gesprch, mit jeder Form der Ablenkung, nur um die Zeit, die zum erstenmal als kostbar verstandene, zu ntzen. Doch was vor allem meinen Flei dermaen hitzte, war die Eitelkeit, vor meinem Lehrer zu bestehen, sein Vertrauen nicht zu enttuschen, ein zustimmendes Lcheln zu erobern, von ihm gesprt zu werden, wie ich ihn sprte. Jeder flchtigste Anla diente als Probe; unablssig spornte ich die ungelenken, nun aber merkwrdig beschwingten Sinne, ihm zu imponieren, ihn zu berraschen: nannte er im Vortrage einen Dichter, dessen Werk mir fremd war, so warf ich mich nachmittags auf die Suche, um tags darauf eitel meine Kenntnis in der Diskussion vorprahlen zu knnen. Ein zufllig geuerter Wunsch, von den ndern kaum bemerkt, verwandelte sich mir zu Befehclass="underline" so gengte eine lssig hingeworfene Bemerkung wider das ewige Qualmen der Studenten, da ich sofort die brennende Zigarette wegwarf und mit einem Ruck die gergte Gewohnheit fr immer unterdrckte. Wie eines Evangelisten Wort war mir das seine gleichzeitig Gnade und Gesetz; unablssig auf der Lauer, griff meine starkgespannte Aufmerksamkeit jede seiner gleichgltig hingestreuten Bemerkungen gierig auf. Jedes Wort, jede Geste sackte ich habgierig ein, zu Hause das Erraffte mit allen Sinnen leidenschaftlich betastend und bewahrend; und wie ihn einzig als Fhrer, so empfand meine unduldsame Passioniertheit alle Kameraden einzig als Feinde, die zu berrennen und zu bertreffen tagtglich sich der eiferschtige Wille aufs neue beschwor.

Fhlte er nun, wieviel er mir bedeutete, oder hatte er dies Ungestme meines Wesens liebgewonnen - jedenfalls zeichnete mich mein Lehrer bald durch offensichtliche Anteilnahme besonders aus. Er beriet meine Lektre, schob den Neuling, fast ungebhrlich, in den gemeinschaftlichen Diskussionen vor, und oftmals durfte ich abends zu vertraulichem Gesprche ihn besuchen. Dann nahm er meist eins der Bcher von der Wand und las mit jener sonoren Stimme, die in der Erregung immer um eine Skala heller und klingender wurde, aus Gedichten und Tragdien oder erklrte strittige Probleme; in diesen ersten beiden Wochen des Rausches habe ich mehr gelernt vom Wesenhaften der Kunst als bisher in neunzehn Jahren. Immer waren wir allein in dieser mir zu kurzen Stunde. Gegen acht Uhr klopfte es dann leise an die Tr: seine Frau mahnte zum Abendessen. Aber nie mehr betrat sie das Zimmer, offenbar einer Weisung gehorchend, unser Gesprch nicht zu unterbrechen.