Выбрать главу

Um acht Uhr pochte es wieder an der Tr. Ich verabschiedete mich: das Herz stand mir wieder gerade in der Brust. Als ich aus der Tr trat, kam sie vorbei: ich grte, und ihr Blick lchelte mir leicht zu. Und strmenden Blutes deutete ich mir dies Verzeihen als ein Versprechen, auch weiterhin zu schweigen.

Von jener Stunde begann fr mich eine neue Art der Aufmerksamkeit; bisher hatte meine knabenhaft andchtige Verehrung den vergtterten Lehrer dermaen als Genius einer ndern Welt empfunden, da ich sein privates, sein irdisches Leben vollkommen zu beachten verga. In der bertreiblichen Art, die jeder wahren Schwrmerei inne-wohnt, hatte ich sein Dasein mir vollkommen weggesteigert von allen tglichen Verrichtungen unserer methodisch geordneten Welt. Und so wenig etwa ein zum erstenmal Verliebter wagt, das vergtterte Mdchen in Gedanken zu entkleiden und als ebenso natrlich wie die tausend ndern rocktragenden Wesen zu betrachten, so wenig wagte ich einen schleicherischen Blick in seine private Existenz: nur sublimiert empfand ich ihn immer, abgelst von allem Gegenstndlich-Gemeinen als Boten des Wortes, als Hlle des schpferischen Geistes. Nun, da jenes tragikomische Abenteuer mir pltzlich seine Frau in den Weg stie, konnte ich nicht umhin, seine familire, seine husliche Existenz intimer zu beobachten; eigentlich wider meinen Willen schlug eine unruhig spherische Neugier in mir die Augen auf. Und kaum da dieser sprende Blick in mir begann, verwirrte er sich schon, denn dieses Mannes Existenz innerhalb des eigenen Gevierts war eigentmlich und von beinahe bengstigender Rtselhaftigkeit. Beim erstenmal schon, als ich kurz nach jener Begegnung zu Tische geladen wurde und ihn nicht allein, sondern mit seiner Frau sah, regte sich merkwrdiger Verdacht einer eigenartig krausen Lebensgemeinschaft, und je mehr ich dann in den innern Kreis des Hauses vordrang, um so verwirrender wurde mir dies Gefhl. Nicht da in Wort oder Geste sich eine Spannung oder Verstimmung zwischen beiden kundgetan htte: im Gegenteil, das Nichts war es, das Nichtvorhandensein irgendeiner Spannung zu- oder gegeneinander, das so seltsam sie beide verhllte und undurchsichtig machte, eine schwere fhnige Windstille des Gefhls, die jene Atmosphre drckender machte als Sturm eines Streits oder Wetterleuchten verborgenen Grolls. uerlich verriet nichts eine Reizung oder Spannung; nur Entfernung von innen her fhlte sich strker und strker. Denn Frage und Antwort in ihrem seltenen Gesprch berhrte sie nur gleichsam mit hastigen Fingerspitzen, nie ging es herzlich ineinander, Hand in Hand, und selbst mir gegenber blieb bei den Mahlzeiten seine Rede stockig und gebunden. Und manchmal frostete das Gesprch, solange wir nicht wieder zur Arbeit zurckkehrten, zu einem einzigen breiten Blocke Schweigens zusammen, den schlielich keiner mehr anzubrechen wagte und dessen kalte Last mir noch stundenlang auf der Seele drckend blieb.

Vor allem erschreckte mich sein vollkommenes Alleinsein. Dieser aufgetane, durchaus expansiv veranlagte Mann hatte keinerlei Freund, seine Schler allein waren ihm Umgang und Trost. An die Kollegen der Universitt band ihn keine Beziehung als jene der hflichen Korrektheit, Gesellschaften besuchte er niemals; oft verlie er tagelang das Haus nicht zu anderm Weg als die zwanzig Schritte zur Universitt. Alles grub er stumm in sich ein, sich weder Menschen noch der Schrift vertrauend. Und nun verstand ich auch das Eruptive, das Fanatisch-ber-strmende seiner Reden im Kreise der Studenten: da brach aus tagelanger Stauung die Mitteilsamkeit hervor, alle Gedanken, die er schweigend in sich trug, strzten mit jener Unbndigkeit, die der Reiter bei Pferden sinnvoll Stallfeuer nennt, brausend aus der Hrde des Schweigens in diese Wettjagd der Worte.

Zu Hause sprach er ganz selten, am wenigsten zu seiner Frau. Und mit einem ngstlichen, beinahe schamvollen Staunen erkannte selbst ich unerfahrener junger Bursche, da hier zwischen zwei Menschen ein Schatten schwebte, ein wehender, immer gegenwrtiger Schatten aus unfhlbarem Stoff, aber doch vollkommen einen vom ndern abschlieend, und zum erstenmal ahnte ich, wieviel Geheimes eine Ehe nach auen verbirgt. Als sei ein Drudenfu auf die Schwelle gezeichnet, so wagte niemals die Frau sein Arbeitszimmer ohne besondere Aufforderung zu betreten: damit markierte sich sichtbar ihre vllige Ausgesperrtheit von seiner geistigen Welt. Und niemals duldete mein Lehrer, da von seinen Plnen und Arbeiten in ihrer Gegenwart gesprochen werde, ja die Art war mir geradezu peinlich, wie er, kaum da sie eintrat, mit einem Ri mittendurch den leidenschaftlich geschwungenen Satz zerbrach. Etwas fast Beleidigendes und offenkundig Miachtendes entbehrte da selbst der hflichen Verhllung, brsk und offen lehnte er ihre Teilnahme ab - sie aber schien das Beleidigende nicht zu bemerken oder daran schon gewhnt. Mit ihrem bermtigen Jungengesicht, leicht und behend, muskelfreudig und rank, flog sie treppauf und -ab, hatte immer alle Hnde voll zu tun und immer doch Zeit, ging in Theater, versumte keine sportliche Bettigung - dagegen fr Bcher, fr den Hausstand, fr alles Versperrte, Ruhige, Bedchtige fehlte der etwa fnfunddreiigjhrigen Frau jeglicher Sinn. Ihr schien nur wohl zu sein, wenn sie -immer trllernd, gern lachend und stets zu spitzem Gesprch bereit - ihre Glieder im Tanz, im Schwimmen, im Lauf, in irgend etwas Vehementem ausfahren lassen konnte; mit mir sprach sie niemals ernst, immer nur neckte sie mich wie einen halbwchsigen Jungen, nahm mich bestenfalls als Partner bermtiger Kraftproben. Und diese ihre behende hellsinnliche Art stand in so verwirrend gegenstzlichem Kontrast zu der dunklen, ganz in sich gezogenen, nur vom Geistigen zu beflgelnden Lebensform meines Lehrers, da ich mit immer neuem Staunen mich fragte, was jemals diese beiden urfremden Naturen hatte zusammenbinden knnen. Freilich, mich selbst frderte nur dieser merkwrdige Kontrast: trat ich von entnervender Arbeit in ein Gesprch mit ihr, so wars, als sei mir ein drckender Helm von der Stirn genommen; alle Dinge ordneten sich aus ekstatischer Erhitzung wieder tagfarben und klar ins Irdische zurck, das heiter Umgngliche des Lebens forderte spielhaft seine Rechte, und was ich beinahe in seiner anspannenden Gegenwart verlernte, das Lachen, entlastete wohlttig den bermchtigen Druck des Geistigen. Eine Art jungenhafter Kameradschaft knpfte sich zwischen ihr und mir; gerade weil wir immer nur Gleichgltiges lssig plauderten oder gemeinsam ins Theater gingen, entbehrte unser Beisammensein jeder Spannung. Ein Einziges blo unterbrach peinlich die vllige Unbesorgtheit unserer Gesprche, jedesmal mich verwirrend: und das war die Nennung seines Namens. Da stemmte sie unabnderlich meiner fragenden Neugier ein gereiztes Schweigen oder, wenn ich mich in Enthusiasmus redete, ein merkwrdig verdecktes Lcheln entgegen. Aber ihre Lippen blieben verschlossen: in anderer Art, aber mit gleich heftiger Gebrde stellte sie diesen Mann aus ihrem Leben wie er sie aus dem seinen. Und doch deckte beide schon fnfzehn Jahre das gleiche verschwiegene Dach.

Je undurchdringlicher aber dieses Geheimnis, um so mehr Verfhrung fr meine leidenschaftliche Ungeduld.