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Hier war ein Schatten, ein Schleier, sonderbar nah bei jedem Windzug des Wortes fhlte ich ihn schwanken; mehrmals schon meinte ich, seine Spur zu fassen, da glitt es wieder fort, dieses verwirrende Gewebe, um im nchsten Augenblick mich neu zu berrieseln, doch niemals ward es tastbares Wort, fabare Form. Nichts aber wirkt aufstrender, aufweckender bei einem jungen Menschen als das entnervende Spiel vager Vermutungen; der Phantasie, mig sonst umschweifend, pltzlich offenbart sich ihr jagdhaftes Ziel und schon fiebert sie in der neuentdeckten prschenden Lust der Verfolgung. Ganz neue Sinne wuchsen mir bislang dumpfem Jungen in jenen Tagen zu, eine dnnhutige Membran des Lauschens, die jeden Tonfall verrterisch abfing, ein sphender, weidhafter Blick voll Mitrauen und Schrfe, eine umstbernde, im Dunkel umgrabende Neugier - bis zur Schmerzhaftigkeit dehnten sich elastisch die Nerven, immer erregt vom Zugriff einer Ahnung und nie abklingend zu klarem Gefhl.

Doch ich mag sie nicht schelten, meine atemlos vorgebeugte Neugier, war sie doch rein. Was dermaen alle Sinne in mir aufhob, dankte seine Erregtheit nicht lsterner Schaulust, die hmisch ein Niedrig-Menschliches an einem berlegenen zu ertappen liebt - im Gegenteil, sie frbte heimliche Angst, ein ratlos zgerndes Mitleid, das mit Ungewisser Bangigkeit an diesen Schweigenden ein Leiden ahnte. Denn je nher ich seinem Leben trat, um so fhlsamer bedrckte mich der schon plastisch eingedrungene Schatten ber meines Lehrers geliebtem Gesicht, jene edle, weil edel bemeisterte Melancholie, die niemals sich erniederte zu unwirscher Mrrischkeit oder fahrlssigem Zorn; hatte er mich, den Fremden, in erster Stunde angezogen durch das vulkanisch vorbrechende Geleucht seines Worts, nun erschtterte den Vertrauten noch tiefer seine Schweigsamkeit, die ber seine Stirne wandernde Wolke der Trauer. Nichts ergreift ja derart mchtig einen jugendlichen Sinn als erhaben mnnliche Dsternis: Michelangelos in den eigenen Abgrund niederstarrender Denker, Beethovens bitter nach innen gezogener Mund, diese tragischen Masken des Weltleidens rhren strker das ungeformte Gemt als Mozarts silberne Melodie und das klingende Licht um Lionardos Gestalten. Schnheit sie selbst, hat Jugend der Verklrung nicht not: im berma lebendiger Krfte drngt sie dem Tragischen zu, und gern gestattet sie der Schwermut, sen Zuges an ihrem noch unerfahrenen Blute zu saugen: darum auch die ewige Bereitschaft aller Jugend fr die Gefahr und ihre brderlich entbotene Hand zu jedem Leiden im Geiste.

Und eines solchen wahrhaft Leidenden Antlitz, hier erlebte ich es zum erstenmal. Kleiner Leute Sohn, aus brgerlicher Behaglichkeit ungefhrdet entwachsen, kannte ich die Sorge nur in den lcherlichen Masken des Alltags, als rger gekleidet, im gelben Gewand des Neids, klirrend mit dem Kleinkram des Geldes - dieses Gesichtes Verstrung, sie aber entstammte, sofort fhlte ichs, heiligerem Element. Aus Dunkelheiten kam dies Dunkel, von innen hatte hier ein grausamer Griffel Falten und Schrunden in vorzeitig zermorschte Wangen gezeichnet. Manchmal, wenn ich sein Zimmer betrat (immer mit der Scheu eines Kindes, das einem Hause naht, in dem Dmonen hausen) und seine Versunkenheit mein Klopfen berhrte, wenn ich dann pltzlich, schamvoll und bestrzt vor dem Selbstvergessenen stand, dann war mir, als sitze hier blo Wagner, die leibliche Larve, in Faustens Gewand, indes der Geist umschweifte in rtselhaftem Geklft und schaurigen Walpurgisnchten. In sol-chen Augenblicken waren seine Sinne vollkommen ver-schlssen, er hrte weder nahenden Schritt noch einen schchternen Gru. Fuhr er dann, jhlings sich besin-nend, auf, so versuchte hastiges Wort die Verlegenheit zu berdecken: er ging auf und nieder und mhte sich, durch Fragen den beobachtenden Blick von sich abzulenken. Aber lange hing dann noch immer das Dunkel ber seiner Stirne, und erst das erglhende Gesprch vermochte dies von innen gesammelte Gewlk zu zerstreuen.

Er mute es manchmal spren, wie sehr sein Anblick mich bewegte, an meinen Augen vielleicht, an meinen unruhigen Hnden, mochte ahnen etwa, da auf meinen Lippen unsichtbar eine Bitte schwebte um Zutrauen, oder in meiner vortastenden Haltung die heimliche Inbrunst erkennen, seinen Schmerz an mich, in mich zu nehmen. Sicherlich, er mute es spren, denn unvermutet unterbrach er das rege Gesprch und sah mich ergriffen an, ja es berstrmte mich dieser merkwrdig warme, von seiner eigenen Flle verdunkelte Blick. Dann fate er oft meine Hand, hielt sie unruhig lange - immer erwartete ich: jetzt, jetzt, jetzt wird er zu mir sprechen. Aber statt dessen fuhr dann meist eine brske Gebrde vor, manchmal sogar ein kaltes, absichtlich ernchterndes oder ironisches Wort. Er, der den Enthusiasmus lebte, der ihn in mir genhrt und erweckt, strich ihn dann pltzlich mir weg wie einen Fehler in einer schlecht geschriebenen Aufgabe, und je mehr er mich innig aufgetan sah, lechzend nach seinem Vertrauen, um so grimmiger stie er mit solchen eiskalten Worten vor wie:Das verstehen Sie nichtoderLassen Sie doch derlei bertreibungen, Worte, die mich aufreizten und zur Verzweiflung brachten. Wie habe ich gelitten unter diesem wetterleuchtend grellen, vom Heien zum Kalten fahrenden Menschen, der mich unbewut hitzte, um mich pltzlich mit Frost zu bergieen, der mit seinem Ungestm das eigene anstachelte, um dann pltzlich die Peitsche einer ironischen Bemerkung zu fassen - ja, ich hatte das grausame Gefhl, je mehr ich zu ihm drngte, desto hrter, ja

angstvoller stie er mich zurck. Nichts sollte, nichts durfte an ihn heran, an sein Geheimnis.

Denn Geheimnis, immer brennender wards mir bewut, Geheimnis hauste fremd und unheimlich in seiner magisch anziehenden Tiefe. Ich ahnte ein Verschwiegenes an seinem merkwrdig flchtenden Blick, der glhend vordrang und scheu wegwich, wenn man ihm dankbar sich ergab; ich sprte es an den bitter gefltelten Lippen seiner Frau, an der merkwrdig kalten Zurckhaltung der Menschen in der Stadt, die beinahe indigniert blickten, wenn man ihn rhmte - an hundert Sonderbarkeiten und pltzlichen Verstrtheiten. Und welche Qual dabei, sich schon in dem innern Kreis eines solchen Lebens zu vermeinen und doch irr dort im Kreise zu gehen, wie in einem Labyrinth, unwissend des Weges zu seinem Ursprung und Herzen!

Das Unerklrlichste, das Erregendste aber waren fr mich seine Eskapaden. Eines Tages, als ich ins Kolleg kam, hing dort ein Zettel, die Vorlesung sei fr zwei Tage unterbrochen. Die Studenten schienen nicht verwundert, ich aber, der noch gestern bei ihm gewesen, eilte nach Hause, von Angst getrieben, er mchte erkrankt sein. Seine Frau lchelte nur trocken, als mein Hereinstrmen solche Aufregung verriet.Das kommt fter vor, sagte sie merkwrdig kalt;das kennen Sie nur noch nicht. Und tatschlich erfuhr ich von den Kollegen, da er fters so ber Nacht verschwinde, manchmal nur telegraphisch sich entschuldigend: einmal hatte ihn ein Student um vier Uhr morgens in einer Berliner Strae getroffen, ein anderer in der Wirtsstube fremder Stadt. Er schnellte pltzlich fort wie ein Pfropf aus der Flasche, kam wieder zurck, und niemand wute, wo er gewesen. Dieses pltzliche Ausbrechen erregte mich wie eine Krankheit: ich ging geistesabwesend, unruhig, fahrig diese zwei Tage herum. Unsinnig leer war mir pltzlich das Studium ohne seine gewohnte Gegenwart, ich verzehrte mich in wirren, eiferschtigen Vermutungen, ja, etwas von Ha und Zorn gegen seine Verschlossenheit stieg in mir auf, da er mich, den glhend Zudrngenden, so auen lie von seinem wirklichen Leben wie einen Bettler im Frost. Vergebens beredete ich mich, da mir, dem Knaben, dem Schler, doch kein Recht zustnde, Rechenschaft und Auskunft zu fordern, da seine Gte mir hundertfach mehr Vertrauen gewhrte, als einen akademischen Lehrer sein Amt verpflichtete. Aber Vernunft hatte keine Macht ber die brennende Leidenschaft: zehnmal des Tages kam ich tlpischer Junge fragen, ob er schon zurckgekommen sei, bis ich schlielich an den immer brsker werdenden Verneinungen seiner Frau schon Erbitterung sprte. Ich wachte die halbe Nacht und horchte nach seinem heimkehrenden Schritt, umschlich morgens unruhig die Tr, nun nicht mehr die Frage wagend. Und als er endlich am dritten Tag unvermutet in mein Zimmer trat, jappte ich auf: mein Erschrecken mu bermig gewesen sein, wenigstens merkte ichs am Widerschein seiner verlegenen Befremdung, die hastig ein paar gleichgltige Fragen bereinanderjagte. Sein Blick wich mir aus. Zum ersten Male ging unser Gesprch krumm im Kreise, ein Wort stolperte ber das andere, und indes wir beide jede Anspielung auf sein Fernbleiben gewaltsam vermieden, sperrte eben dies Ungesprochene jeder Aussprache den Weg. Als er mich lie, schlug die brennende Neugier wie eine Lohe auf: allmhlich verzehrte sie mir Schlaf und Wachen.

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