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Nein, durchaus nicht.

Die Stimme aus dem Dunkel zgerte wieder.Ich mchte Sie gerne um etwas fragen das heit, ich mchte Ihnen etwas erzhlen. Ich wei, ich wei genau, wie absurd das ist, mich an den ersten zu wenden, der mir begegnet, aber ich bin ich bin in einer furchtbaren psychischen Verfassung ich bin an einem Punkt, wo ich unbedingt mit jemandem sprechen mu߅ ich gehe sonst zugrunde Sie werden das schon verstehen, wenn ich ja, wenn ich Ihnen eben erzhle Ich wei, da Sie mir nicht werden helfen knnen aber ich bin irgendwie krank von diesem Schweigen und ein Kranker ist immer lcherlich fr die ndern Ich unterbrach ihn und bat ihn, sich doch nicht zu qulen. Er mge mir nur erzhlen ich knne ihm natrlich nichts versprechen, aber man habe doch die Pflicht, seine Bereitwilligkeit anzubieten. Wenn man jemanden in einer Bedrngnis sehe, da ergebe sich doch natrlich die Pflicht zu helfenDie Pflicht seine Bereitwilligkeit anzubieten die Pflicht, den Versuch zu machen Sie meinen also auch, Sie auch, man habe die Pflicht die Pflicht, seine Bereitwilligkeit anzubieten. Dreimal wiederholte er den Satz. Mir graute vor dieser stumpfen, verbissenen Art des Wiederholens. War dieser Mensch wahnsinnig? War er betrunken? Aber als ob ich die Vermutung laut mit den Lippen ausgesprochen htte, sagte er pltzlich mit einer ganz ndern Stimme:Sie werden mich vielleicht fr irr halten oder fr betrunken. Nein, das bin ich nicht - noch nicht. Nur das Wort, das Sie sagten, hat mich so merkwrdig berhrt so merkwrdig, weil es gerade das ist, was mich jetzt qult, nmlich ob man die Pflicht hat die Pflicht

Er begann wieder zu stottern. Dann brach er kurz ab und begann mit einem neuen Ruck.Ich bin nmlich Arzt. Und da gibt es oft solche Flle, solche verhngnisvolle ja, sagen wir Grenzflle, wo man nicht wei, ob man die Pflicht hat nmlich, es gibt ja nicht nur eine Pflicht, die gegen den ndern, sondern eine fr sich selbst und eine fr den Staat und eine fr die Wissenschaft Man soll helfen, natrlich, dazu ist man doch da aber solche Maximen sind immer nur theoretisch Wie weit soll man denn helfen? Da sind Sie, ein fremder Mensch, und ich bin Ihnen fremd, und ich bitte Sie, zu schweigen darber, da Sie mich gesehen haben gut, Sie schweigen, Sie erfllen diese Pflicht Ich bitte Sie, mit mir zu sprechen, weil ich krepiere an meinem Schweigen Sie sind bereit, mir zuzuhren gut Aber das ist ja leicht Wenn ich Sie aber bitten wrde, mich zu packen und ber Bord zu werfen da hrt sich doch die Geflligkeit, die Hilfsbereitschaft auf. Irgendwo endets doch dort, wo man anfngt mit seinem eigenen Leben, seiner eigenen Verantwortung irgendwo mu es doch enden irgendwo mu diese Pflicht doch aufhren Oder vielleicht soll sie gerade beim Arzt nicht aufhren drfen? Mu der ein Heiland, ein Allerweltshelfer sein, blo weil er ein Diplom in lateinischen Worten hat, mu der wirklich sein Leben hinwerfen und sich Wasser ins Blut schtten, wenn irgendeine irgendeiner kommt und will, da er edel sei, hilfreich und gut? Ja, irgendwo hrt die Pflicht auf dort, wo man nicht mehr kann, gerade dort

Er hielt wieder inne und ri sich auf.Verzeihen Sie ich rede gleich so erregt aber ich bin nicht betrunken noch nicht betrunken auch das kommt jetzt oft bei mir vor, ich gestehe es Ihnen ruhig ein, in dieser hllischen Einsamkeit Bedenken Sie, ich habe sieben Jahre fast nur zwischen Eingeborenen und Tieren gelebt da verlernt man das ruhige Reden. Wenn man sich dann auftut, flutets gleich ber Aber warten Sie ja, ich wei schon ich wollte Sie fragen, wollte Ihnen so einen Fall vorlegen, ob man die Pflicht habe zu helfen so ganz engelhaft rein zu helfen, ob man brigens ich frchte, es wird lang werden. Sind Sie wirklich nicht mde?Nein, durchaus nicht.

Ich ich danke Ihnen Nehmen Sie nicht?Er hatte irgendwo hinter sich ins Dunkel getappt. Etwas klirrte gegeneinander, zwei, drei, jedenfalls mehrere Flaschen, die er neben sich gestellt. Er bot mir ein Glas Whisky an, an dem ich flchtig nippte, whrend er mit einem Ruck das seine hinabgo. Einen Augenblick stand Schweigen zwischen uns. Da schlug die Glocke: halb eins.

Also ich mchte Ihnen einen Fall erzhlen. Nehmen Sie an, ein Arzt in einer einer kleineren Stadt oder eigentlich am Lande ein Arzt, der ein Arzt, der

Er stockte wieder. Dann ri er sich pltzlich den Sessel heran zu mir.

So geht es nicht. Ich mu Ihnen alles direkt erzhlen, von Anfang an, sonst verstehen Sie es nicht Das, das lt sich nicht als Exempel, als Theorie entwickeln ich mu Ihnen meinen Fall erzhlen. Da gibt es keine Scham, kein Verstecken vor mir ziehen sich auch die Leute nackt aus und zeigen mir ihren Grind, ihren Harn und ihre Exkremente wenn man geholfen haben will, darf man nicht herumreden und nichts verschweigen Also ich werde Ihnen keinen Fall erzhlen von einem sagenhaften Arzt ich ziehe mich nackt aus und sage: ich das Schmen habe ich verlernt in dieser dreckigen Einsamkeit, in diesem verfluchten Land, das einem die Seele auffrit und das Mark aus den Lenden saugt.

Ich mute irgendeine Bewegung gemacht haben, denn er unterbrach sich.

Ach, Sie protestieren ich verstehe, Sie sind begeistert von Indien, von den Tempeln und den Palmenbumen, von der ganzen Romantik einer Zweimonatsreise. Ja, so sind sie zauberhaft, die Tropen, wenn man sie in der Eisenbahn, im Auto, in der Rikscha durchstreift: ich habe das auch nicht anders gefhlt, als ich zum erstenmal herber kam vor sieben Jahren. Was trumte ich da nicht alles, die Sprachen wollte ich lernen und die heiligen Bcher im Urtext lesen, die Krankheiten studieren, wissenschaftlich arbeiten, die Psyche der Eingeborenen ergrnden - so sagt man ja im europischen Jargon - ein Missionar der Menschlichkeit, der Zivilisation werden. Alle, die kommen,

trumen denselben Traum. Aber in diesem unsichtbaren Glashaus dort geht einem die Kraft aus, das Fieber - man kriegts ja doch, mag man noch so viel Chinin in sich fressen - greift einem ans Mark, man wird schlapp und faul, wird weich, eine Qualle. Irgendwie ist man als Europer von seinem wahren Wesen abgeschnitten, wenn man aus den groen Stdten weg in so eine verfluchte Sumpfstation kommt: auf kurz oder lang hat jeder seinen Knax weg, die einen saufen, die ndern rauchen Opium, die dritten prgeln und werden Bestien - irgendeinen Schu Narrheit kriegt jeder ab. Man sehnt sich nach Europa, trumt davon, wieder einen Tag auf einer Strae zu gehen, in einem hellen steinernen Zimmer unter weien Menschen zu sitzen, Jahr um Jahr trumt man davon, und kommt dann die Zeit, wo man Urlaub htte, so ist man schon zu trge, um zu gehen. Man wei, drben ist man vergessen, fremd, eine Muschel in diesem Meer, auf die jeder tritt. So bleibt man und versumpft und verkommt in diesen heien, nassen Wldern. Es war ein verfluchter Tag, an dem ich mich in dieses Drecknest verkauft habe

brigens: ganz so freiwillig war das ja auch nicht. Ich hatte in Deutschland studiert, war recte Mediziner geworden, ein guter Arzt sogar, mit einer Anstellung an der Leipziger Klinik; irgendwo in einem verschollenen Jahrgang der Medizinischen Bltter haben sie damals viel Aufhebens gemacht von einer neuen Injektion, die ich als erster praktiziert hatte. Da kam eine Weibergeschichte, eine Person, die ich im Krankenhaus kennenlernte: sie hatte ihren Geliebten so toll gemacht, da er sie mit dem Revolver anscho, und bald war ich ebenso toll wie er. Sie hatte eine Art, hochmtig und kalt zu sein, die mich rasend machte - mich hatten immer schon Frauen in der Faust, die herrisch und frech waren, aber diese bog mich zusammen, da mir die Knochen brachen. Ich tat, was sie wollte, ich - nun, warum soll ichs nicht sagen, es sind acht Jahre her - ich tat fr sie einen Griff in die Spitalskasse, und als die Sache aufflog, war der Teufel los. Ein Onkel deckte noch den Abgang, aber mit der Karriere war es vorbei. Damals hrte ich gerade, die hollndische Regierung werbe rzte an fr die Kolonien und biete ein Handgeld. Nun, ich dachte gleich, es mte ein sauberes Ding sein, fr das man Handgeld biete, ich wute, da die Grabkreuze auf diesen Fieberplantagen dreimal so schnell wachsen als bei uns, aber wenn man jung ist, glaubt man, das Fieber und der Tod springt immer nur auf die ndern. Nun, ich hatte da nicht viel Wahl, ich fuhr nach Rotterdam, verschrieb mich auf zehn Jahre, bekam ein ganz nettes Bndel Banknoten, die Hlfte schickte ich nach Hause an den Onkel, die andere Hlfte jagte mir eine Person dort im Hafenviertel ab, die alles von mir herauskriegte, nur weil sie jener verfluchten Katze so hnlich war. Ohne Geld, ohne Uhr, ohne Illusionen bin ich dann abgesegelt von Europa und war nicht sonderlich traurig, als wir aus dem Hafen steuerten. Und dann sa ich so auf Deck wie Sie, wie alle saen, und sah das Sdkreuz und die Palmen, das Herz ging mir auf-ah, Wlder, Einsamkeit, Stille, trumte ich! Nun - an Einsamkeit bekam ich gerade genug. Man setzte mich nicht nach Batavia oder Surabaya, in eine Stadt, wo es Menschen gibt und Klubs und Golf und Bcher und Zeitungen, sondern - nun, der Name tut ja nichts zur Sache - in irgendeine der Distriktstationen, zwei Tagereisen von der nchsten Stadt. Ein paar langweilige, verdorrte Beamte, ein paar Halfcast, das war meine ganze Gesellschaft, sonst weit und breit nur Wald, Plantagen, Dickicht und Sumpf. Im Anfang wars noch ertrglich. Ich trieb allerhand Studien; einmal, als der Vizeresident auf der Inspektionsreise mit dem Automobil umgeworfen und sich ein Bein zerschmettert hatte, machte ich ohne Gehilfen eine Operation, ber die viel geredet wurde, ich sammelte Gifte und Waffen der Eingeborenen, ich beschftigte mich mit hundert kleinen Dingen, um mich wach zu halten. Aber all dies ging nur, solang die Kraft von Europa her in mir noch funktionierte; dann trocknete ich ein. Die paar Europer langweilten mich, ich brach den Verkehr ab, trank und trumte in mich hinein. Ich hatte ja nur noch zwei Jahre, dann war ich frei mit Pension, konnte nach Europa zurckkehren, noch einmal ein Leben anfangen. Eigentlich tat ich nichts mehr als warten, stilliegen und warten. Und so se ich heute noch, wenn nicht sie wenn das nicht gekommen wre.