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«Es würde mich interessieren, wen Ihr für den Wolf und wen für den Fuchs haltet», sagte sie.

VII

VOR DER TÜR ZU ÄBTISSIN ETAINS CU-

biculum hospitale blieb Fidelma stehen. Auf dem Weg durch die düsteren Gänge und Flure hatte sie mit dem sächsischen Mönch kein Wort gewechselt. Sie mußte sich überwinden, die Zelle zu betreten. Bruder Eadulf nahm an, sie sei deshalb so schweigsam, weil sie gegen ihren Willen bei der Aufklärung des Verbrechens mit ihm zusammenarbeiten mußte, und zeige ihm aus diesem Grund die kalte Schulter. Fidelma allerdings mußte all ihre Kraft zusammennehmen, um diesen gefürchteten Augenblick zu überstehen:

Wenn sie die Tür öffnete, würde sie ihre tote Freundin sehen.

Mit ihrem Schmerz über Etains Ermordung mußte sie allein zurechtkommen. Auch wenn sie einander nicht häufig gesehen hatten, waren sie doch stets gute Freundinnen gewesen. Fidelma dachte daran, wie ihr Etain noch am Vorabend anvertraut hatte, daß sie Kildare aufgeben und ihr Glück in einer Heirat suchen wollte. Fidelma überlegte angestrengt. Wer war Etains Verlobter? Und wie sollte sie diesen Mann ausfindig machen, um ihm die traurige Nachricht zu überbringen? War er ein Eoghanacht-Häuptling? Oder ein Glaubensbruder, den sie in Irland kennengelernt hatte? Sie würde noch genug Zeit haben, sich damit zu befassen, wenn sie nach Irland zurückgekehrt war.

Fidelma holte ein paarmal tief Luft, um sich zu beruhigen.

«Wenn Ihr die Tote lieber nicht ansehen möchtet, Schwester, kann ich das gern für Euch übernehmen», sagte Eadulf besänftigend. Offenbar mißdeutete er ihr Zögern als Angst davor, eine Leiche zu betrachten. Es waren die ersten Worte, die der sächsische Mönch direkt an sie gerichtet hatte.

Fidelma wußte nicht, was sie davon halten sollte.

Einerseits war sie überrascht, wie gut er Irisch sprach. Andererseits erzürnte sie sein gönnerhafter Ton.

Der Zorn gewann die Oberhand und verlieh ihr die Kraft, die sie jetzt so dringend benötigte.

«Etain war die Äbtissin meines Klosters in Kildare, Bruder Eadulf», sagte sie mit fester Stimme. «Ich kannte sie gut. Nur das läßt mich innehalten, und ich glaube, jedem anständigen Menschen würde es in dieser Lage ähnlich gehen.»

Bruder Eadulf biß sich auf die Lippen. Was für eine aufbrausende, überempfindliche Frau, dachte er. Ihre grünen Augen blitzten.

«Um so mehr Grund hätte ich Euch diesen Anblick zu ersparen», erwiderte er so ruhig wie möglich. «Ich bin in der Kunst der Apotheker erfahren, denn ich habe an Eurem berühmten Kollegium der Medizin in Tuaim Brecain studiert.»

Seine Worte stachelten ihre Wut nur weiter an.

«Und ich bin eine dalaigh der Brehon-Gerichtsbarkeit», erwiderte sie steif. «Ich nehme an, ich brauche Euch nicht zu erklären, welche Pflichten mit diesem Amt verbunden sind?» Noch ehe er antworten konnte, hatte sie die Tür des cu-biculum aufgeschoben.

In der Zelle war es düster. Zwar waren es noch zwei Stunden bis zum Einbruch der Dunkelheit, doch herrschte bereits ein trübes Dämmerlicht, denn das einzige Fenster war klein und weit oben in die dunkle Steinwand eingelassen.

«Besorgt uns eine Lampe, Bruder», wies sie ihn an.

Eadulf zögerte. Er war es nicht gewohnt, von einer Frau Befehle entgegenzunehmen. Dann nahm er achselzuckend eine Lampe von der Wand des Korridors, die dort für die nächtliche Benutzung bereithing. Es dauerte eine Weile, bis er den Zunder entflammt und den Docht richtig eingestellt hatte.

Die Lampe mit einer Hand in die Höhe haltend, betrat Eadulf hinter Fidelma die kleine Zelle.

Äbtissin Etains Leiche lag noch so, wie sie nach der Bluttat hingefallen war, auf dem Rücken quer über dem schmalen Bett. Bis auf die Haube war sie vollständig bekleidet. Langes, goldblondes Haar umrahmte in üppigen Locken das Gesicht der Toten. Ihre weit aufgerissenen Augen starrten zur Decke. Der Mund stand offen und war zu einer häßlichen Fratze verzerrt. Blut bedeckte die untere Hälfte ihres Gesichts, ihren Hals und ihre Schultern.

Die Lippen fest zusammengepreßt, schritt Schwester Fidelma auf das Bett zu. Sie zwang sich, auf den Boden zu sehen und so den kalten, offenen Augen des Todes auszuweichen. Vor dem Bett ging sie in die Knie und murmelte ein Gebet für ihre tote Äbtissin. «Sancta Brigita intercedat pro amica mea ...», flüsterte sie. Dann streckte sie die Hand aus, schloß ihrer Freundin die Augen und fügte das Gebet für die Toten hinzu: «Requiem aeternam dona ei Domine ...»

Als sie fertig war, wandte sie sich zu dem sächsischen Mönch um, der an der Tür gewartet hatte.

«Da wir nun einmal zusammenarbeiten werden, Bruder», sagte sie kühl, «sollten wir uns darüber verständigen, womit wir es hier zu tun haben.»

Bruder Eadulf kam näher und hielt die Lampe über das Bett. Mit sachlicher Stimme bemerkte Fidelma: «Wir haben einen schartigen Schnitt, der fast wie ein Riß aussieht und vom linken Ohr bis zur Kehle reicht; ein zweiter Schnitt verläuft vom rechten Ohr bis zur Kehle, so daß beide zusammen unter dem Kinn fast ein <V> bilden. Seid Ihr der gleichen Ansicht?»

Eadulf nickte langsam.

«Ja, Schwester. Es scheinen zwei verschiedene Schnitte zu sein.»

«Ich kann keine weiteren Verletzungen erkennen.»

«Um ihr diese Schnitte zufügen zu können, muß der Angreifer den Kopf der Äbtissin - vielleicht an den Haaren - nach hinten gerissen haben. Dann hat er ihr neben dem Ohr in den Hals gestochen und das gleiche auf der anderen Seite wiederholt.»

Schwester Fidelma nickte nachdenklich.

«Das Messer kann nicht besonders scharf gewesen sein. Das Fleisch sieht eher eingerissen als sauber zerschnitten aus. Es muß eine kräftige Person gewesen sein.»

Bruder Eadulf lächelte schwach.

«Dann können wir ja alle Schwestern als Verdächtige ausschließen.»

Fidelma zog die Augenbrauen hoch.

«Bis jetzt können wir niemanden ausschließen. Körperkraft ist ebensowenig den Männern vorbehalten wie Klugheit.»

«Also gut. Aber die Äbtissin muß ihren Angreifer gekannt haben.»

«Woraus folgert Ihr das?»

«Es gibt kein Anzeichen eines Kampfes. Schaut Euch in der Zelle um. Alles steht an seinem Platz. Nichts ist in Unordnung geraten. Und die Kopfbedeckung der Äbtissin hängt noch ordentlich am Kleiderhaken. Wie Ihr wißt, ist es bei den Schwestern Brauch, den Schleier nicht vor Fremden abzunehmen.»

Schwester Fidelma mußte eingestehen, daß Bruder Eadulf eine gute Beobachtungsgabe besaß.

«Ihr meint, Äbtissin Etain habe ihre Kopfbedeckung abgenommen, ehe oder während der

Mörder in ihre Zelle kam? Soll das heißen, sie hat den Täter gut genug gekannt, um den Schleier abzunehmen?»

«Genau.»

«Doch was, wenn der Mörder die Zelle betrat, ehe sie wußte, wer es war? Wenn sie keine Zeit hatte, nach ihrem Schleier zu greifen, weil sie sofort überfallen wurde?»

«Eine Möglichkeit, die ich bereits ausgeschlossen habe.»

«Wieso?»

«Weil es dann irgendein Anzeichen für einen Kampf geben müßte. Hätte die Äbtissin einem Fremden gegenübergestanden, hätte sie als erstes versucht, nach ihrer Kopfbedeckung zu greifen. Und wenn er sie bedroht hätte, hätte sie sich zur Wehr gesetzt. Aber in ihrer Zelle ist alles ordentlich und aufgeräumt. Das einzige, was den friedlichen Anblick stört, ist die Äbtissin selbst, die mit aufgeschlitzter Kehle auf ihrer Schlafstatt liegt.»

Schwester Fidelma preßte die Lippen zusammen. Eadulf hatte recht. Er hatte einen scharfen Blick.

«Das klingt logisch», erwiderte sie nach einigem Nachdenken, «aber nicht völlig überzeugend. Darüber, ob die Äbtissin den Angreifer kannte, würde ich lieber noch kein abschließendes Urteil fällen. Aber es spricht vieles zu Euren Gunsten.» Sie drehte sich zu ihm um und sah ihm ins Gesicht. «Ihr sagtet, Ihr seid ein Medikus?»