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Eadulf schüttelte den Kopf. «Nein. Ich habe zwar am Kollegium der Medizin in Tuaim Brecain studiert und kenne mich mit vielem aus, bin aber nicht in alle Künste der Ärzte eingeweiht.»

«Verstehe. Dann werdet Ihr wohl sicherlich nichts dagegen haben, wenn wir Äbtissin Hilda bitten, Etains Leiche ins mortuarium bringen und von dem Medikus ihrer Abtei untersuchen zu lassen - nur für den Fall, daß es Verletzungen gibt, die wir übersehen haben?»

«Ich habe nichts dagegen», bestätigte Eadulf.

Fidelma nickte geistesabwesend. «Ich bezweifle, daß es im Augenblick noch irgend etwas gibt, was uns dieser Ort verraten könnte ...» Sie hielt inne und beugte sich zum Boden. Als sie sich wieder aufrichtete, hielt sie ein Büschel goldener Haare in der Hand.

«Was ist das?» fragte Eadulf.

«Die Bestätigung Eurer Vermutung», erwiderte Fidelma knapp. «Ihr sagtet doch, der Täter habe von hinten Etains Haar gefaßt und ihren Kopf zurückgehalten, während er ihr die Kehle durchschnitt. Dabei hätte er ihr sicherlich einige Haare ausgerissen. Hier haben wir die Haare, die der Angreifer fallen ließ, ehe er eilig aus der Zelle floh.»

Fidelma sah sich noch einmal in der kleinen Kammer um. Sorgfältig glitten ihre Augen über jeden Gegenstand, damit ihr ja nichts Bedeutsames entging. Dennoch beschlich sie das unerklärliche Gefühl, irgend etwas Wichtiges übersehen zu haben. Sie ging zu dem kleinen Tisch und betrachtete Etains wenige persönliche Dinge. Ein kleines Meßbuch gehörte dazu. Das Kruzifix war ihr einziger Schmuck. Und Fidelma hatte bereits gesehen, daß sie ihren Äbtissinnenring noch am Finger trug. Wieso hatte sie das Gefühl, daß trotzdem irgend etwas fehlte?

«Es gibt wenig, was darauf hindeuten könnte, wer der Schurke war, Schwester», unterbrach Ea-dulf ihre Gedanken. «Einen Raubmord aus Habgier können wir allerdings ausschließen», fügte er hinzu und deutete auf Ring und Kruzifix.

«Einen Raubmord?» Sie mußte gestehen, daß sie daran wohl als allerletztes gedacht hätte. «Wir befinden uns in einem Hause Gottes.»

«Es wäre nicht das erste Mal, daß ein Bettler oder Dieb in eine Abtei eingebrochen wäre», erklärte Eadulf. «Aber in diesem Fall gibt es dafür keinerlei Anzeichen.»

«Der Schauplatz einer solchen Untat ist wie ein Stück Pergament, auf dem der Übeltäter unweigerlich Spuren hinterlassen muß», entgegnete Fidelma. «Die Spuren sind da. Es liegt an uns, sie zu entdecken und richtig zu deuten.»

«Die einzige Spur ist die Leiche der Äbtissin», sagte Bruder Eadulf leise.

Fidelma strafte ihn mit einem vernichtenden Blick.

«Immerhin etwas, das es zu deuten gilt.»

Bruder Eadulf biß sich auf die Lippe.

Als er am Vorabend im Kreuzgang zufällig mit ihr zusammengestoßen war, hätte er schwören können, einen Augenblick tiefer Verbundenheit zwischen ihnen verspürt zu haben. Jetzt war es so, als hätte diese Begegnung nie stattgefunden. Schwester Fidelma war eine Fremde, die ihm feindlich gesonnen war.

Andererseits, so sagte er sich, brauchte er sich über ihre Feindseligkeit nicht zu wundern. Sie war eine Anhängerin Columbans, während er sich allein schon durch seine corona spinea als Vertreter Roms zu erkennen gab. Und die Spannungen zwischen den in der Abtei versammelten Parteien waren für niemanden zu übersehen.

Ein rauhes Hüsteln auf dem Flur vor der Zelle unterbrach seine Gedanken. Erschrocken wandten sich Fidelma und Eadulf zur offenen Tür. Eine ältere Glaubensschwester stand auf der Schwelle.

«Pax vobiscum», grüßte sie. «Seid Ihr Fidelma von Kildare?»

Fidelma nickte.

«Ich bin Schwester Athelswith, domina des do-mus hospitale von Streoneshalh.» Sie hielt den Blick fest auf Fidelma gerichtet, um nicht zum Bett schauen zu müssen, wo noch immer Etains Leiche lag. «Äbtissin Hilda sagte, Ihr könntet möglicherweise mit mir sprechen wollen, weil ich für die Beherbergung sämtlicher Gäste während der Synode zuständig bin.»

«Ausgezeichnet», schaltete sich Bruder Eadulf ein, nicht ohne dafür einen weiteren mißbilligenden Blick von Fidelma zu ernten. «Ihr seid genau die Frau, mit der wir uns unterhalten sollten .»

«Aber nicht sofort», unterbrach ihn Fidelma gereizt. «Zuerst, Schwester Athelswith, möchten wir, daß der Medikus Eurer Abtei so bald wie möglich den Leichnam unserer armen Schwester untersucht. Und wenn die Untersuchung abgeschlossen ist, möchten wir mit dem Medikus sprechen.»

Schwester Athelswiths Blick wanderte unruhig zwischen Fidelma und Eadulf hin und her.

«Also gut», sagte sie schließlich widerwillig. «Ich werde Bruder Edgar, unseren Medikus, sofort benachrichtigen.»

«Und wenn wir hier fertig sind, treffen wir Euch am Nordtor der Abtei.»

Die ältere Schwester betrachtete noch immer unentschlossen abwechselnd Fidelma und den jungen sächsischen Mönch. Fidelma war verärgert über ihre Zögerlichkeit.

«Es ist Eile geboten, Schwester Athelswith», sagte sie scharf.

Die Verwalterin des Gästehauses nickte unsicher und machte sich auf den Weg.

Schwester Fidelma wandte sich zu Eadulf um. Ihre Gesichtszüge waren beherrscht, aber die grünen Augen funkelten wütend. «Ich bin es nicht gewohnt ...», begann sie, doch Eadulf entwaffnete sie mit einem Grinsen. «... mit jemandem zusammenzuarbeiten? Ja, das kann ich verstehen. Das gleiche gilt für mich. Ich finde, wir sollten einen Weg finden, unsere Ermittlungen ohne weitere Reibereien durchzuführen. Wir sollten entscheiden, wer diese Untersuchung leitet.»

Fidelma sah den Sachsen überrascht an. Sie rang nach Worten, um ihrer Wut Luft zu machen, doch fielen ihr nur zusammenhanglose Sätze ein.

«Da wir uns im Land der Sachsen befinden, wäre es vielleicht sinnvoll, wenn ich die Verantwortung übernehme», fuhr Eadulf fort, ohne den Sturm zu beachten, der jeden Augenblick loszubrechen drohte. «Schließlich kenne ich das Gesetz, die Sitten und die Sprache dieses Landes.»

Fidelma preßte die Lippen zusammen und versuchte, sich zu beherrschen, während sie sich das Hirn nach einer passenden Antwort zermarterte.

«Ich möchte keineswegs bestreiten, daß Ihr die genannten Kenntnisse besitzt. Und doch hat König Oswiu mit ausdrücklicher Billigung von Hilda, Äbtissin dieses Hauses, und Colman, Bischof von Northumbrien, vorgeschlagen, daß ich diese Untersuchung durchführe. Ihr wurdet nur aus politischen Gründen hinzugezogen, um jeden Zweifel an der Ausgewogenheit meiner Arbeit zu zerstreuen.»

Bruder Eadulf zeigte sich nicht gekränkt. Er lachte nur.

«Aus welchen Gründen ich auch immer hinzugezogen wurde, Schwester, ich bin nun einmal da, und diese Tatsache könnt auch Ihr nicht leugnen.»

«Da wir uns offenbar nicht einigen können, sollten wir unverzüglich zu Äbtissin Hilda gehen und fragen, wer von uns die Untersuchungen leiten soll.»

Mehrere Sekunden lang trafen sich die Blicke von Bruder Eadulfs warmen, braunen und Fidel-mas grün funkelnden Augen. Sie starrten sich herausfordernd an.

«Vielleicht», entgegnete Eadulf schließlich, «vielleicht aber auch nicht.» Sein Gesicht verzog sich zu einem Grinsen. «Warum sollten wir nicht selbst zu einer Übereinkunft gelangen?»

«Weil es den Anschein hat, als hättet Ihr schon entschieden, daß Ihr die Verantwortung übernehmen solltet», erwiderte Fidelma kühl.

«Ich werde Euch entgegenkommen. Wir bringen beide unterschiedliche Fähigkeiten und Erfahrungen mit. Versuchen wir doch, ohne Vorherrschaft des einen über den anderen auszukommen.»

Fidelma wurde klar, daß der sächsische Mönch vielleicht nur ihre Entschlossenheit und ihr Selbstvertrauen auf die Probe stellen wollte.

«Das wäre ein logischer Schluß», räumte sie zögernd ein. «Aber um zusammenarbeiten zu können, sollte man Verständnis füreinander haben und wissen, wie der andere denkt.»