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«Und wieso habt Ihr Euch ausgerechnet diesen Zeitpunkt gemerkt?» fragte Eadulf.

«Ich hatte gerade die Klepsydra überprüft, als ein Bote vom sacrarium zu mir kam, um mir mitzuteilen, daß die Versammlung eröffnet, die Äbtissin von Kildare jedoch nicht anwesend sei. Also ging ich in ihr cubiculum, um sie zu holen. Ich fand die Leiche und schickte sofort eine Botin zu

Äbtissin Hilda. Nach unserer Klepsydra fehlte noch eine halbe Stunde zum Läuten der Abendglocke, eine Aufgabe, die ich als Zeitnehmerin von Streo-neshalh ebenfalls zu versehen habe.»

«Das stimmt mit dem Zeitpunkt überein, zu dem die Botin in die Versammlungshalle kam, um Äbtissin Hilda von dem Vorfall zu unterrichten», bestätigte Eadulf.

«Ich war ebenfalls dort», nickte Fidelma. «Und Ihr, Schwester Athelswith, habt nichts verändert? Etains Zelle blieb genauso, wie Ihr sie vorgefunden habt?»

Die domina des domus hospitale nickte mit Nachdruck.

«Ich habe nichts verändert.»

Schwester Fidelma biß sich nachdenklich auf die Lippe.

«Nun, die Schatten werden länger. Ich glaube, wir sollten in die Abtei zurückkehren», sagte sie und fügte nach einer kurzen Pause hinzu: «Und dann sollten wir Priester Agatho ausfindig machen und hören, was er zu sagen hat.»

In dem Augenblick kam aus der Richtung des Klosters eine Gestalt durch die Dämmerung auf sie zugeeilt. Es war einer der Klosterbrüder, ein gedrungener, mondgesichtiger junger Mann.

«Ah, Bruder, Schwestern! Äbtissin Hilda hat mich geschickt, um Euch zu suchen.»

Er blieb stehen, um Atem zu schöpfen.

«Was gibt es?» fragte Fidelma.

«Ich soll Euch sagen, daß Äbtissin Etains Mörder gefunden ist und bereits hinter Schloß und Riegel sitzt.»

VIII

DICHT GEFOLGT VON BRUDER EADULF

betrat Fidelma das Gemach der Äbtissin. Hilda von Witebia saß am Kamin. Vor ihr stand ein großer Bursche mit blondem Haar und einer Narbe im Gesicht, in dem Fidelma sofort den jungen Mann erkannte, den Bruder Taran ihr im sacrarium gezeigt hatte: Alhfrith, Oswius erstgeborenen Sohn. Als sie ihn jetzt von nahem sah, dachte sie sofort, daß die Narbe gut zu ihm paßte, denn seine Gesichtszüge waren zwar nicht häßlich, wirkten aber auf merkwürdige Weise grausam. Vielleicht lag es daran, daß seine Lippen auffallend schmal waren und seine Augen eisblau, kalt und leblos aussahen -wie die Augen einer Leiche.

«Das ist Alhfrith von Deira», stellte die Äbtissin ihren Besucher vor.

Bruder Eadulf verbeugte sich tief, wie es die Art der Sachsen war, wenn sie ihren Prinzen gegenübertraten. Fidelma hingegen blieb aufrecht stehen und schenkte ihm nicht mehr als ein kurzes, ehrerbietiges Nicken. Anders hätte sie es auch nicht getan, wenn sie einem Provinzkönig in Irland begegnet wäre, denn ihr Rang berechtigte sie, selbst mit dem Hochkönig auf gleicher Stufe zu verkehren.

Alhfrith streifte Schwester Fidelma mit einem kurzen, gleichgültigen Blick und wandte sich dann auf sächsisch an Bruder Eadulf. Fidelma konnte nur wenig Sächsisch, und Alhfrith sprach so schnell und mit einem so breiten Akzent, daß sie kaum etwas verstand. Sie hob eine Hand und unterbrach den Thronerben von Northumbrien.

«Es wäre sicherlich besser», sagte sie auf lateinisch, «wenn wir uns auf eine Sprache einigen könnten, die wir alle beherrschen. Ich kann kein Sächsisch. Wenn wir keine gemeinsame Sprache finden, käme Euch, Bruder Eadulf, die Aufgabe zu, für mich zu dolmetschen.»

Alhfrith hielt in seinem Redefluß inne und machte durch seinen Gesichtsausdruck mehr als deutlich, daß er es nicht gewohnt war, unterbrochen zu werden.

Äbtissin Hilda unterdrückte ein Lächeln.

«Da Alhfrith kein Lateinisch kann», sagte sie, «schlage ich vor, daß wir miteinander Irisch sprechen. Ich denke, das ist eine Sprache, derer wir alle mächtig sind.»

Mit zusammengezogenen Augenbrauen wandte sich Alhfrith an Fidelma.

«Columbans Mönche haben mich ein wenig Irisch gelehrt, als sie unserem Land das Christentum brachten. Wenn Ihr kein Sächsisch könnt, werde ich eben Irisch sprechen.» Er sprach langsam und mit einem starken Akzent, aber seine Kenntnisse reichten aus, um sich verständlich zu machen.

Mit einer Handbewegung forderte Fidelma ihn auf fortzufahren. Verärgert mußte sie jedoch feststellen, daß er sich wieder Eadulf zuwandte, um seine Worte an ihn zu richten.

«Es gibt keinen Grund mehr, Eure Untersuchung fortzusetzen. Der Übeltäter sitzt hinter Schloß und Riegel.»

Bruder Eadulf wollte gerade antworten, als Schwester Fidelma ihm das Wort abschnitt.

«Und werdet Ihr uns auch verraten, wer dieser Übeltäter ist?»

Alhfrith blinzelte erstaunt. Sächsische Frauen kannten den ihnen gebührenden Platz. Aber er hatte schon mehrfach Bekanntschaft mit der Kühnheit irischer Frauen geschlossen. Nicht zuletzt war Fin, seine Stiefmutter, eine Beispiel für die Anmaßung der Irinnen gewesen, sich den Männern ebenbürtig zu fühlen. Er unterdrückte die scharfe Erwiderung, die ihm auf den Lippen lag, und beschränkte sich darauf, Fidelma strafend anzusehen.

«Aber gewiß doch. Es ist ein Bettler aus Irland. Er nennt sich Canna, Sohn Cannas.»

Fidelma hob fragend die Augenbrauen.

«Und wie habt Ihr ihn entdeckt?»

Bruder Eadulf fühlte sich bei ihrem herausfordernden Tonfall sichtlich unwohl. Zwar hatte er in ihrem Heimatland mit der selbstbewußten Art der irischen Frauen Bekanntschaft geschlossen, doch wenn er ihr in seinem eigenen Land begegnete, löste sie bei ihm stets Unbehagen aus.

«Das war ganz einfach», erwiderte Alhfrith kühl. «Der Mann ist überall herumgelaufen und hat den Leuten erzählt, wann und auf welche Weise Äbtissin Etain ermordet werden würde. Entweder ist er ein großer Hexenmeister, oder er muß der Mörder sein. Als christlicher König, der sich zur Kirche Roms bekennt, glaube ich nicht an Hexerei», sagte er mit Nachdruck. «Den genauen Zeitpunkt des Todes konnte nur der voraussagen, der auch vorhatte, das Verbrechen zu begehen.»

Eadulf nickte zögernd, doch Fidelma sah den sächsischen Prinzen zweifelnd an.

«Gibt es Zeugen dafür, daß er die genaue Stunde des Mordes an Äbtissin Etain vorausgesagt hat?»

Mit großer Geste zeigte Alhfrith auf Äbtissin Hilda.

«Da habt ihr eine Zeugin, die über jeden Zweifel erhaben ist.»

Schwester Fidelma musterte die Äbtissin fragend.

Hilda wirkte überrascht und errötete leicht.

«Es stimmt, daß dieser Bettler mich gestern morgen aufsuchte und voraussagte, daß heute in der Abtei Blut fließen würde.»

«Genauere Angaben hat er nicht gemacht?»

Alhfrith schnaubte ärgerlich, als Hilda verneinen mußte.

«Er sagte nur, daß an dem Tag, an dem sich die Sonne am Himmel verfinsterte, Blut die Steine der Abtei beflecken würde. Ein gelehrter Bruder aus Iona hat mir erklärt, daß es heute nachmittag zu einer Sonnenfinsternis kam, weil der Mond zwischen uns und die Sonne trat.»

«Hat er vorausgesagt, daß es Äbtissin Etains

Blut sein würde, und hat er den genauen Zeitpunkt ihres Todes prophezeit?» hakte Fidelma nach.

«Nicht in meiner Gegenwart ...», begann Äbtissin Hilda.

«Aber es gibt andere Zeugen, die genau das beschwören werden», fiel Alhfrith ihr ins Wort. «Wollt Ihr mein Wort in Frage stellen?»

Mit einem entwaffnenden Lächeln wandte sich Schwester Fidelma an den sächsischen König. Nur bei genauer Betrachtung hätte man bemerkt, wie falsch dieses Lächeln war.

«Euer Wort ist kein Beweis im rechtlichen Sinne, Alhfrith von Deira. Selbst unter sächsischem Gesetz muß es für eine Missetat unmittelbare Beweise geben, die nicht bloß auf Hörensagen oder Mutmaßungen beruhen. Wenn ich Euch richtig verstehe, berichtet Ihr uns nur, was andere Euch gesagt haben. Ihr habt diesen Zeugen nicht selbst vernommen.»