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«Das ist nun wirklich keine besondere Kunst», unterbrach ihn Canna, verärgert über den Tonfall des Sachsen.

«In Irland würde es niemand als schwierig ansehen, eine Sonnenfinsternis vorauszusagen», stimmte ihm Fidelma zu.

«Und den Mord an einem Menschen zu prophezeien?» beharrte Eadulf. «Soll das ebenfalls nicht schwierig sein?»

Fidelma zögerte und biß sich auf die Lippen.

«Das ist tatsächlich etwas anderes. Aber ich weiß, daß guten Astrologen auch so etwas gelingen kann.»

Canna unterbrach sie mit einem keuchenden Lachen.

«Wollt Ihr wissen, wie es gemacht wird?»

Schwester Fidelma nickte. «Sagt uns, wie Ihr zu Euren Schlußfolgerungen gekommen seid.»

Ächzend griff Canna in die Tasche seines zerlumpten Wamses, zog ein Stück Pergament hervor, auf dem zahlreiche Linien und Zahlen verzeichnet waren, und hielt es ihnen entgegen.

«Es ist ganz einfach. Am ersten Tag dieses Monats, der in Irland den heiligen Feuern des Bel geweiht ist, stand der Mond zur siebten Stunde des Tages zwischen uns und der Sonne, vielleicht auch einige Minuten vor oder nach der siebten Stunde. Das ließ sich nicht sagen, die Minuten oder Sekunden können wir bei so etwas nie genau angeben. Und hier, im achten Haus, stand der Stier. Das achte Haus bedeutet Tod. Der Stier ist das Sinnbild Irlands, aber auch das Tierkreiszeichen, das beim menschlichen Körper den Bereich der Kehle bezeichnet. Die Sterne kündigten also einen Tod durch Erwürgen, Erhängen oder Durchschneiden der Kehle an. Und aus dem Sternbild Stier schloß ich darauf, daß dieser Tod ein Kind Eireanns betreffen würde.»

Eadulf sah nicht überzeugt aus, aber Schwester Fidelma, die der Logik des Astrologen zu folgen schien, nickte nur und bedeutete Canna fortzufahren.

«Schaut her.» Canna deutete auf seine Berechnungen. «Zur gleichen Zeit empfingen die Planeten Merkur und Venus einander in ihren jeweiligen Häusern. Beherrscht Merkur nicht das zwölfte Haus, das für Mord, Heimlichtuerei und Verrat steht? Und Venus das achte Haus, das Haus des Todes? Und symbolisiert Venus nicht gleichzeitig auch alles Weibliche? Außerdem stand Venus auch noch im neunten, ebenfalls von Merkur beherrschten Haus, das alles Religiöse bezeichnet. Und als ob all diese Fingerzeige noch nicht ausreichten, gab es eine Konjunktion zwischen Merkur und der vom Mond verdeckten Sonne.»

Canna lehnte sich zurück und sah die beiden triumphierend an.

«Jedes Kind kann diese Zeichen lesen.»

Eadulf schnaubte verächtlich, um seine Unwissenheit zu verbergen.

«Da ich kein Kind bin, muß ich Euch wohl bitten, mir in einfachen Worten zu erklären, was all das zu bedeuten hat?»

Canna zog wütend die Brauen zusammen.

«Wenn Ihr es noch immer nicht verstanden habt: Die Position der Gestirne zeigte an, daß die Sonne sich um fünf Uhr nachmittags verfinstern und es zur gleichen Zeit einen Todesfall durch

Erwürgen, Erhängen oder Durchschneiden der Kehle geben würde. Die Gestirne offenbarten weiter, daß das Opfer eine Frau und aller Wahrscheinlichkeit nach eine Irin sein würde, die in enger Beziehung zur Religion stand. Und der Stand der Planeten deutete daraufhin, daß es sich bei diesem Tod um einen Mord handeln würde. Habe ich mich einfach genug ausgedrückt?»

Eine Weile starrte Eadulf den Bettler nachdenklich an, dann wandte er sich an Fidelma.

«Obgleich ich lange Zeit in Eurem Land studiert habe, Schwester, kenne ich diese Wissenschaft nicht. Wißt Ihr etwas darüber?»

Fidelma schürzte die Lippen.

«Viel zu wenig. Aber es reicht aus, um zu erkennen, daß Cannas Worte nach den Regeln seiner Kunst Sinn ergeben.»

Eadulf schüttelte zweifelnd den Kopf.

«Und doch sehe ich keine Möglichkeit, ihn vor Alhfriths Scheiterhaufen zu retten. Selbst wenn er die Wahrheit sagt und er Etain nicht umgebracht hat, wird jemand, der auf solche Weise die Zeichen des Himmels deutet, meinen sächsischen Landsleuten unheimlich sein.»

Schwester Fidelma seufzte.

«Was ich nach und nach über Eure sächsische Kultur erfahre, stimmt mich sehr nachdenklich. Aber mein Ziel muß es sein, Etains Mörder zu finden, und nicht, Euren Aberglauben zu bekämpfen. Canna gibt zu, daß er Etains Tod prophezeit hat.

Jetzt müssen wir die Zeugen finden, die ihren Namen und die genaue Stunde ihres Todes gehört haben wollen. Kurz, wir müssen herausfinden, wie genau seine Prophezeiung gewesen ist. Ich fürchte, er ist ein eitler Mann.»

Wütend spuckte Canna aus.

«Ich habe Euch erzählt, was ich gesagt habe und warum ich es gesagt habe. Ich habe keine Angst vor den Sachsen und ihren Strafen. Mit dieser Prophezeiung werde ich als einer der größten Seher meiner Zeit in die Geschichte eingehen.»

Schwester Fidelma zog die Augenbrauen hoch.

«Legt Ihr es darauf an, Canna? Wollt Ihr zum Märtyrer werden, um Euch einen Platz in der Geschichte zu sichern?»

Canna kicherte heiser.

«Soll die Nachwelt das gerechte Urteil über mich fällen.»

Schwester Fidelma schob Eadulf zur Tür der Zelle, wandte sich aber noch einmal um.

«Warum habt Ihr heute Äbtissin Etain besucht?»

Canna erschrak. «Nun ...», begann er unsicher, «um sie zu warnen natürlich.»

«Ihr wolltet sie vor ihrer eigenen Ermordung warnen?»

«Nein .» Canna streckte trotzig das Kinn vor. «Doch. Warum hätte ich sonst zu ihr gehen sollen?»

Vor der Zelle wandte sich Eadulf an Fidelma.

«Kann es sein, daß dieser Mann Etain getötet hat, um seine eigene Prophezeiung zu erfüllen?» fragte er. «Immerhin gibt er zu, bei ihr gewesen zu sein, und Schwester Athelswith kann dies bezeugen.»

«Ich bezweifele es. Ich habe große Achtung vor der Kunst, die er ausübt. Die Astrologie ist in meinem Land seit Menschengedenken hoch angesehen. Niemand könnte die Sterne willkürlich mit solcher Logik auslegen. Nein, ich habe das Gefühl, Canna erkannte an der Konstellation der Sterne tatsächlich, daß ein Unheil nahte. Die Frage ist bloß, ob er wirklich so genau gewußt hat, wem der Tod drohte. Hat Äbtissin Hilda nicht bezeugt, er habe, als er bei ihr war, keine genauen Angaben gemacht, sondern nur prophezeit, daß zur Zeit der Sonnenfinsternis in der Abtei Blut fließen würde?»

«Aber wenn Canna nicht wußte, wer der Untat zum Opfer fallen würde, was hat er dann bei Äbtissin Etain gewollt?»

«Es ist schon spät. Wenn Alhfrith entschlossen ist, diesen Mann am frühen Morgen hinzurichten, bleibt uns nur wenig Zeit. Laßt uns nach den Zeugen suchen und herausfinden, was sie tatsächlich gehört haben. Ich schlage vor, Ihr nehmt Euch die drei Sachsen und den Than von Frihop vor, und ich spreche noch einmal mit Schwester Athelswith über Cannas Besuch bei Etain. Um Mitternacht treffen wir uns dann im domus hospitale.»

Auf dem Weg zurück zur Abtei dachte Fidelma kopfschüttelnd daran, wie bereitwillig Canna sich zum Opfer der sächsischen Gerichtsbarkeit machte. Sie war überzeugt davon, daß er, was den Mord an Etain betraf, unschuldig war. Sein einziger Fehler lag in seiner übertriebenen Geltungssucht. Durch eine große Prophezeiung, von der die Chronisten noch nach Generationen berichten würden, versuchte er, Unsterblichkeit zu erlangen.

Sie war wütend auf Canna, denn so beeindruk-kend seine Weissagung auch sein mochte, hielt sie doch alle Beteiligten davon ab, den echten Bösewicht, den Mörder ihrer Freundin und Mutter Oberin, Etain von Kildare, zu finden.

Inzwischen war ihr klargeworden, daß viele Teilnehmer der großen Versammlung Etains Redegewandtheit fürchteten. War diese Furcht so groß, daß sie beschlossen hatten, sie auf ewig zum Schweigen zu bringen? Fidelma hatte in den letzten Tagen genug Gewalt zwischen den Anhängern Columbans und Roms gesehen, um zu wissen, daß der Haß sehr tief saß - vielleicht sogar tief genug, um Etain das Leben zu kosten.