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Der Bettler grinste verschlagen. «Was sie nicht wissen, ist, daß Tod in der Luft liegt. Denkt an meine Worte, Äbtissin Hilda. Ehe die Woche vorüber ist, wird in den Mauern dieser Abtei Blut geflossen sein. Blut wird die kalten Steine Eures Bodens beflecken.»

Äbtissin Hilda schnaubte verächtlich.

«Und ich nehme an, für einen ansehnlichen Preis bist du bereit, den Lauf des Bösen abzuwenden?»

Zu ihrer Überraschung schüttelte der Bettler den Kopf. «Ihr solltet wissen, Tochter des Hereri von Deira, daß sich der Lauf der Sterne am Himmel nicht aufhalten läßt. Auch wer ihn erkennt, kann ihn nicht ändern. An dem Tag, an dem die Sonne sich am Himmel verdunkelt, fließt Blut! Ich bin nur gekommen, um Euch zu warnen. Ich habe im Namen Christi meine Pflicht getan. Hört auf meine Worte.»

Die Äbtissin starrte den Bettler an, der die Lippen zusammenpreßte und trotzig das Kinn vorschob. Einen Augenblick lang war sie verunsichert und von der kühnen Haltung dieses Mannes und seiner schrecklichen Botschaft verstört, doch dann gewann die Verärgerung wieder Oberhand. Sie wandte sich ihren Untergebenen zu.

«Führt den unverschämten Tölpel ab und laßt ihn auspeitschen», befahl sie barsch.

Die beiden Ordensbrüder packten den sich heftig wehrenden Bettler am Arm und zerrten ihn hinaus.

Als auch die Schwester sich zum Gehen wandte, hielt Äbtissin Hilda sie mit erhobener Hand zurück. Die Schwester sah sie erwartungsvoll an, während die Äbtissin sich vorbeugte und die Stimme senkte.

«Sag ihnen, sie sollen nicht zu fest zuschlagen, ihm aus der Küche ein Stück Brot bringen und ihn in Frieden gehen lassen, wenn sie mit ihm fertig sind.»

Die Schwester zog die Augenbrauen hoch und zögerte, als wollte sie den Anweisungen widersprechen. Dann nickte sie eilig und ging ohne ein weiteres Wort davon.

Durch die geschlossene Tür hörte Äbtissin Hilda noch immer Cannas Sohn und seine durchdringende Stimme.

«Nehmt Euch in acht, Äbtissin! An dem Tag, an dem sich die Sonne am Himmel verdunkelt, fließt Blut in Eurer Abtei!»

Mit aller Kraft stemmte sich der junge Mann gegen den schneidenden Wind. Schritt für Schritt kämpfte er sich vorwärts. Schließlich lehnte er sich an den Schiffsbug aus dunkler Eiche und suchte mit zusammengekniffenen Augen die ferne Küste ab. Der Wind zerzauste sein dunkles Haar, rötete seine Wangen und bauschte sein braunes Wollhabit. Der Mann umfaßte die Reling mit beiden Händen, auch wenn das Deck unter seinen Füßen nur sanft über den vom Küstenwind aufgewühlten Wellen schwankte. Überall auf der grauen Wasseroberfläche waren weiße Schaumkronen zu sehen.

«Ist das Northumbrien, Käptn?»

Er mußte schreien, um sich dem kräftigen, alten Seemann, der unmittelbar hinter ihm stand, verständlich zu machen.

Der helläugige Kapitän mit dem wettergegerbten Gesicht nickte ihm zu.

«Ja, das ist Northumbrien, Bruder Eadulf, Euer Bestimmungsort. König Oswius Reich.»

Freudig erregt wandte sich der junge Mann wieder der Küste zu. Drei Tage lang waren sie jetzt schon an den Gestaden entlanggefahren, hatten sich langsam nordwärts gekämpft und versucht, den stürmischeren Wellen der offenen Nordsee zu entgehen. Stuf, der Kapitän des Schiffes, der aus dem Königreich der Südsachsen stammte, kannte sich aus und wußte die Sicherheit der ruhigeren Küstengewässer zu schätzen. Erst jetzt war er gezwungen gewesen, ins offene Meer hinauszusteuern, um eine große Landzunge zu umschiffen, deren langgestrecktes Ufer im Nordosten der offenen, stürmischen See zugewandt war.

Stuf trat einen Schritt näher an den jungen Mönch heran und zeigte auf die Küste.

«Seht Ihr die Klippen dort?»

Bruder Eadulf ließ neugierig seinen Blick über die dunklen, gefährlich hoch und steil aussehenden Sandsteinklippen schweifen. An ihrem Fuße wurden sie von einem schmalen Gürtel aus Sand und zerklüfteten Felsen gesäumt.

«Ja.»

«Und seht Ihr auch den schwarzen Umriß oben auf den Klippen? Das ist Hildas Abtei, die man Streoneshalh nennt.»

Aus dieser Entfernung konnte Bruder Eadulf nicht viel mehr erkennen als den kleinen schwarzen Umriß, den der Kapitän ihm gezeigt hatte. Er ragte direkt oberhalb einer Spalte zwischen den Klippen in den Himmel.

«Das ist unser Hafen», sagte der Kapitän, als hätte er Bruder Eadulfs Gedanken erraten. «In der Felsspalte direkt unterhalb der Abtei liegt die Mündung des Esk, eines kleinen Flusses. In den letzten Jahren ist dort eine kleine Stadt entstanden. Wegen der Nähe zu Mutter Hildas Abtei nennt man sie Witebia, die <Stadt der Reinen>.»

«Wie lange wird es noch dauern, bis wir dort angekommen sind?»

Der alte Kapitän zuckte mit den Schultern. «Vielleicht eine Stunde. Das hängt ganz vom Wind und der Flut ab. In der Nähe der Hafeneinfahrt gibt es ein tückisches Riff, das fast eine Meile weit ins Meer hinausragt. Nichts Gefährliches - wenn man ein guter Seemann ist ...»

«... wie ich», verkniff er sich hinzuzusetzen, doch Eadulf verstand die versteckte Andeutung.

Zögernd wandte Eadulf den Blick von der felsigen Küste ab.

«Dann werde ich jetzt wohl Seine Gnaden benachrichtigen müssen.»

Er geriet ein wenig ins Taumeln, als er sich umdrehte, und biß sich auf die Lippe, um den Fluch zu unterdrücken, der ihm fast entfahren wäre. Allmählich kam er sich selbst schon vor wie ein alter Seemann. Hatte er nicht bereits zweimal das große Meer zwischen Britannien und Eireann überquert, und war er nicht erst kürzlich auf der Rückkehr von seiner zweijährigen Pilgerreise nach Rom von Gallien nach Britannien gesegelt? Und dennoch hatte er feststellen müssen, daß er sich bei jeder Seereise erst wieder erneut an das Schwanken des Schiffes gewöhnen mußte. Von den drei Tagen, an denen sie jetzt vom Königreich Kent bis Northumbrien gesegelt waren, hatte Bruder Ea-dulf einen ganzen Tag lang krank auf seinem Strohsack gelegen, gestöhnt und sich erbrochen, bis er dachte, vor Übelkeit und Erschöpfung sterben zu müssen. Erst jetzt, am dritten Tag, konnte er aufrecht stehen, ohne daß es ihm den Magen umdrehte, konnte sich den frischen Seewind um den Kopf und in die Lungen blasen lassen, so daß ihm ganz allmählich wieder etwas menschlicher zumute war. Trotzdem brachte ihn gelegentlich eine vorwitzige Welle noch immer ins Schwanken - sehr zur Belustigung von Kapitän Stuf und seinen Matrosen.

Stuf streckte eine braune, schwielige Hand aus, um den jungen Mönch zu stützen, der fast das Gleichgewicht verloren hätte.

Bruder Eadulf lächelte dankbar und verlegen, dann drehte er sich um.

Stuf sah ihm grinsend nach, während Bruder Eadulf sich unsicheren Schrittes entfernte. Noch eine Woche, und der junge Mönch würde einen ganz passablen Seemann abgeben, dachte er. Die tägliche Arbeit würde seine Muskeln rasch wieder kräftigen. Durch die vielen Jahre des Gebets hinter dunklen Klostermauern und ohne Sonnenlicht waren sie schlaff geworden. Der junge Mann hatte den Körperbau eines Kriegers. Stuf schüttelte mißbilligend den Kopf. Das Christentum hatte die sächsischen Krieger in Schwächlinge verwandelt.

Der alte Kapitän war die Küste schon mit unzähligen Frachten abgefahren, doch dies war das erste Mal, daß er Christen an Bord hatte. Wahrhaft seltsame Passagiere, beim Odem Wotans! Stuf machte kein Geheimnis daraus, daß er es vorzog, die alten Götter zu verehren, die Götter seiner Väter. Ja, sein eigenes Land, das Königreich Südsachsen, hatte gerade erst angefangen, widerstrebend jene Männer ins Land zu lassen, die von einem Gott predigten, der keinen Namen hatte und dessen Sohn sie Christus nannten. Stuf hätte es lieber gesehen, wenn der König Südsachsens es ihnen auch weiterhin verboten hätte. Er hatte nicht viel übrig für die Christen und ihre Lehren.

Wenn seine Zeit gekommen war, wollte er wie alle gefallenen Helden mit dem Schwert in der Hand nach Walhall streben und dabei den heiligen Namen Wotans rufen, wie es seine Vorfahren schon seit Generationen getan hatten, anstatt in der absonderlichen Sprache der Römer den Namen eines fremden Gottes zu wimmern und friedlich in einem Bett zu sterben. So ging kein sächsischer Krieger ins Jenseits. Nein, einem wahren Sachsen blieb das Leben nach dem Tod verwehrt, wenn er sich nicht mit dem Schwert den Weg nach Walhall erkämpfte.