Oswiu verzog keine Miene, doch in seinem Blick lag tiefe Trauer.
«So muß es wohl sein.»
Gemurmel erhob sich, als Colman sich umwandte und das sacrarium verließ. Hier und da erhoben sich einige Anhänger der Kirche Colum-bans, um der würdevollen Gestalt ihres Bischofs zu folgen.
Mit trauriger Miene stand Äbtissin Hilda auf.
«Die Synode ist zu Ende. Vade in pace. Gehet im Frieden und in der Gnade unseres Herrn Jesus Christus.»
Schwester Fidelma sah zu, wie die Reihen sich leerten. Bei vielen Teilnehmern herrschte bedrücktes Schweigen. Die Entscheidung war gefallen, und Rom hatte gesiegt.
Eadulf biß sich auf die Lippe. Obgleich er der römischen Gesandtschaft angehörte, schien ihn der Ausgang eher traurig zu stimmen, denn er sah Fidelma unglücklich an.
«Die Entscheidung ist rein politischer Natur», sagte er. «Sie wurde nicht aus theologischen Gründen getroffen, was ich sehr bedauere. Oswius größte Angst ist es, gegenüber den sächsischen Königreichen im Süden der Insel, über die er auch weiterhin Vorherrschaft ausüben will, ins Abseits zu geraten. Hätte er an den Lehren Ionas festgehalten, während die anderen Sachsenkönige sich zu Rom bekannten, hätten sie in ihm einen Gegner gesehen, der ihnen eine fremde Kultur aufzwingen will. Im Königreich Kent ist Rom schon jetzt dabei, mindestens ebensoviel politische wie spirituelle Macht auszuüben. Gleichzeitig bedrohen die Bretonen im Westen sowie die Dal Riadaner und Pikten im Norden alle unsere Grenzen. Ob wir nun aus Kent, Northum-brien, Mercia, Wessex oder Ostanglien stammen, wir haben eine gemeinsame Sprache und gehören der gleichen Rasse an. Unsere Vormachtstellung auf der Insel müssen wir auch weiterhin gegen die Bre-tonen und Pikten verteidigen, die uns lieber heute als morgen ins Meer zurücktreiben würden.»
Fidelma sah ihn überrascht an.
«Ihr seid in der Welt der Politik sehr bewandert, Eadulf.»
Der sächsische Mönch lächelte traurig.
«Oswius Entscheidung war in der Sprache der Theologie abgefaßt, aber ich sage Euch ganz offen, Fidelma, sie wurde von der rauhen Wirklichkeit politischer Erwägungen regiert. Hätte Oswiu sich auf die Seite Columbans gestellt, hätte er die Feindschaft der Bischöfe von Rom auf sich gezogen. Solange er jedoch Rom unterstützt, wird er auch weiterhin von den anderen Königreichen der Angeln und Sachsen als ihr Führer anerkannt, und mit vereinten Kräften können sie sich die Vorherrschaft über Britannien - und wer weiß, vielleicht eines Tages auch über andere Länder? - sichern. Das, glaube ich, ist Oswius wahrer Traum. Er träumt von uneingeschränkter Macht und einem großen Imperium.»
Schwester Fidelma atmete schwer.
Darum drehte es sich also in Wirklichkeit? Um reine Machtpolitik? Der geistige Wettstreit, die theologische Erörterung war nur ein Scheingefecht gewesen. Oswiu war es einzig und allein um die Macht gegangen - wie allen Königen, wenn man es sich recht überlegte. Die große Synode von Streo-neshalh war nicht mehr als eine Farce, ohne die ihre Freundin Etain vielleicht noch am Leben gewesen wäre. Fidelma wandte sich ab. Tränen stiegen ihr in die Augen. Wortlos eilte sie davon, um eine Weile alleine zu sein. Sie suchte die einsamen Klippen auf, die vor der großen Abtei aus der Meeresbrandung ragten. Es war an der Zeit, endlich all der Trauer nachzugeben, die sie für ihre Freundin, Etain von Kildare, empfand.
Die Glocke läutete bereits zur cena, der letzten Mahlzeit des Tages, als Fidelma durch den Kreuzgang zum Refektorium ging. Am Eingang stieß sie auf Bruder Eadulf, der aufgeregt auf sie wartete.
«Die Bischöfe und Äbte der Kirche Roms haben sich getroffen», erzählte er verlegen und tat so, als sähe er nicht, daß ihre Augen vom Weinen gerötet waren. «Sie haben eine Versammlung abgehalten und Wighard zum Nachfolger Deusdedits bestimmt.»
Fidelma zeigte sich wenig überrascht.
«Wighard wird also der nächste Erzbischof von Canterbury?»
«Ja. Es scheint, als würden alle in ihm einen würdigen Nachfolger Deusdedits sehen. Schließlich ist er viele Jahre lang sein Sekretär gewesen und kennt sich in allem, was Canterbury betrifft, sehr gut aus. Sobald die Synode sich auflöst, wird Wig-hard nach Rom reisen, um beim Heiligen Vater den Amtssegen zu erbitten.»
Fidelmas Augen leuchteten auf.
«Rom! Wie gern ich die Stadt einmal sehen würde.»
Eadulf lächelte verlegen. «Wighard hat mich gebeten, ihn als Sekretär und Dolmetscher zu begleiten, denn wie Ihr wißt, habe ich bereits zwei Jahre dort verbracht. Warum kommt Ihr nicht mit uns und seht Euch Rom an, Schwester Fidelma?»
Fidelmas Augen strahlten, und sie ertappte sich dabei, daß sie die Idee ernsthaft erwog. Dann schoß heißes Blut in ihre Wangen.
«Ich bin schon viel zu lange von Irland fort», sagte sie mit betont kühler Stimme. «Ich muß meinen Brüdern und Schwestern in Kildare die traurige Kunde vom Tod unserer Äbtissin bringen.»
Eadulf war sichtlich enttäuscht.
«Es wäre schön gewesen, Euch die heiligen Stätten dieser großartigen Stadt zu zeigen, Fidelma.»
Vielleicht war es die Wehmut in seiner Stimme, die sie plötzlich verärgerte. Er nahm sich zuviel heraus. Doch sobald sie den Grund erkannt hatte, legte sich ihr Zorn auch schon wieder. Sie hatte sich an Eadulfs Gesellschaft gewöhnt. Es würde merkwürdig sein, plötzlich wieder ohne ihn auskommen zu müssen.
Gemeinsam gingen sie ins Refektorium, hatten jedoch kaum an ihren Tisch Platz genommen, als Schwester Athelswith zu ihnen kam, um zu sagen, daß Äbtissin Hilda sie nach dem cena zu sehen wünsche.
Als Schwester Fidelma und Bruder Eadulf Hildas Gemach betraten, erhob sich die Äbtissin von ihrem Stuhl und ging den beiden mit ausgestreckten Händen entgegen. Ihr herzliches Lächeln war echt, doch die tiefen Falten um ihre Augen ließen ahnen, wie sehr die Aufregungen der letzten Tage und das Ergebnis der Synode sie belasteten.
«Ich soll Euch beiden im Namen Bischof Col-mans und König Oswius von Herzen danken.»
Schwester Fidelma neigte den Kopf vor der Äbtissin, während Eadulf sich tief hinunterbeugte, um ihren Ring zu küssen, wie es der römischen Sitte entsprach.
Äbtissin Hilda bat die beiden, es sich bequem zu machen. Sie selbst nahm vor dem Feuer Platz.
«Ich brauche Euch wohl nicht zu sagen, wie tief die Abtei, ja das gesamte Königreich, in Eurer Schuld steht.»
Fidelma sah die Trauer in den Augen der Äbtissin.
«Es war nur ein geringer Dienst, den wir geleistet haben», erwiderte sie sanft. «Ich wünschte, wir wären schneller zu unserem Ergebnis gekommen.» Sie runzelte die Stirn. «Werdet Ihr wie Colman Northumbrien verlassen?»
Äbtissin Hilda blinzelte.
«Ich, mein Kind?» erwiderte sie erstaunt. «Ich habe fünfzig Jahre hier verbracht, und Northumbrien ist mein Heimatland. Nein, Fidelma, ich werde bleiben.»
«Aber Ihr habt die Lehren Columbans unterstützt», sagte Fidelma. «Werdet Ihr jetzt, da North-umbrien sich Rom zuwendet, hier noch einen Platz finden?»
Die Äbtissin wiegte den Kopf.
«Ich werde nicht über Nacht römisch werden. Aber ich werde die Entscheidung der Synode anerkennen, obwohl mein Herz für die irische Kirche schlägt. Ich werde hier in Witebia bleiben und hoffen, daß es auch weiterhin eine Stadt der Reinen bleibt.»
Bruder Eadulf rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her und fragte sich, warum er sich noch immer so niedergeschlagen fühlte. Schließlich war seine Kirche als Sieger aus der Debatte hervorgegangen. Die unitas Catholica hatte triumphiert. Die Lehren Roms galten jetzt für alle sächsischen Königreiche. Warum hatte er dennoch das Gefühl, daß etwas verlorengegangen war?
«Wer wird jetzt Colmans Bischofsamt übernehmen?» fragte er in dem Versuch, sich abzulenken.
Äbtissin Hilda lächelte traurig.