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Fidelma schüttelte den Kopf. Die Reise mit Ta-ran lag hinter ihr. Jetzt gab es anderes zu bedenken. Neue Erlebnisse, neue Eindrücke, neue Menschen.

«Oh!» rief sie erschrocken, als sie um eine Ecke bog und mit einem jungen Mönch zusammenstieß.

Nur die Tatsache, daß er sie mit starken Händen auffing, rettete sie davor, rückwärts zu stolpern und zu stürzen.

Einen Augenblick lang starrten sie sich an. Ja, ihre Blicke schienen sich gar nicht mehr voneinander lösen zu wollen. Dann bemerkte Fidelma die römische Tonsur des jungen Mannes. Offenbar war er Sachse und gehörte zur römischen Delegation.

«Verzeihung», sagte sie steif auf lateinisch, weil sie vermutete, daß er ihre Sprache nicht verstand. Dann bemerkte sie, daß er sie noch immer festhielt, und zog sanft ihren Arm zurück.

Der junge Mönch ließ sie los, machte einen Schritt zurück und kämpfte erfolgreich gegen seine Verwirrung an.

«Mea culpa», erklärte er ernst und strich mit der rechten Faust über seine Brust. In seinen dunkelbraunen Augen glaubte Fidelma jedoch ein verschmitztes Lächeln zu sehen.

Fidelma zögerte, dann neigte sie höflich den Kopf, und während sie weiterging, fragte sie sich, warum das Gesicht des jungen Sachsen sie so gefesselt hatte. Vielleicht lag es an dem hintergründigen Humor, der in seinem Blick aufgeblitzt war. Sie hatte bisher noch nicht viele Sachsen kennengelernt, doch war keiner von ihnen besonders humorvoll gewesen. Auf einen Sachsen zu treffen, der nicht mürrisch und verdrießlich und bei der kleinsten Sache eingeschnappt war, war für sie etwas Neues. Die meisten waren ihr mißmutig und reizbar erschienen. Fidelma hatte es sich stets so erklärt, daß es sich bei den Sachsen um ein Volk handelte, das vom Schwert lebte und, mit wenigen Ausnahmen, noch immer an die Götter des Krieges glaubte, nicht an den Gott des Friedens.

Fidelma ärgerte sich über ihre eigenen Gedanken. Merkwürdig, daß eine so kurze Begegnung solch alberne Überlegungen auslösen konnte.

Sie wandte sich dem Teil der Abtei zu, der den vielen Besuchern während der bevorstehenden Versammlung als Unterkunft dienen sollte, dem domus hospitale. Die meisten Gäste waren in großen dor-mitoria untergebracht, doch für die vielen Äbte, Äbtissinnen, Bischöfe und anderen Würdenträger hatte man eine Reihe einzelner cubicula bereitgestellt. Schwester Fidelma hatte das Glück, eines dieser cubicula zugeteilt zu bekommen, eine winzige Zelle, die acht mal sechs Fuß maß und mit einer einfachen Holzpritsche, einem Tisch und einem Stuhl ausgestattet war. Fidelma nahm an, daß sie diese Gastfreundschaft der besonderen Fürsprache Bischof Colmans zu verdanken hatte. Sie öffnete die Tür zu ihrem cubiculum und blieb überrascht auf der Schwelle stehen.

Eine zierliche, auffallend schöne Frau erhob sich von dem einzigen Stuhl und kam ihr mit ausgestreckten Händen entgegen.

«Etain!» rief Schwester Fidelma, als sie die Äbtissin von Kildare erkannte.

Äbtissin Etain war Anfang Dreißig. Als Tochter von Eoghanacht, König von Cashel, hatte sie, nachdem ihr Ehemann in der Schlacht gefallen war, die Welt des Reichtums und des Müßiggangs aufgegeben und war ins Kloster eingetreten. Dort war ihr Stern sehr rasch gestiegen, denn es stellte sich heraus, daß sie aufgrund ihres Wissens und ihrer Wortgewandtheit ohne weiteres in der Lage war, mit dem Erzbischof von Armagh und allen Bischöfen und Äbten Irlands äußerst fachkundig über theologische Fragen zu debattieren. Dank dieses Rufs wurde sie zur Äbtissin des großen Klosters von St. Brigit in Kildare berufen.

Gesenkten Kopfes ging Fidelma auf sie zu, doch Etain nahm sie bei den Händen und umarmte sie herzlich. Ehe Etain ihren jetzigen Rang erlangt hatte, waren sie viele Jahre lang gute Freundinnen gewesen.

«Es ist so schön, dich wiederzusehen, auch wenn wir uns in einem fremden Land befinden.» Etain sprach in einem weichen, volltönenden Sopran. Fidelma hatte Etains Stimme oft mit einem Musikinstrument verglichen, weil sie so grundverschiedene Töne erzeugen konnte: bei Wut ganz scharf, bei Empörung zitternd und in Augenblik-ken wie diesem unglaublich zart. «Ich bin froh, daß du die Reise gut überstanden hast, Fidelma!»

Fidelma lächelte verschmitzt. «Wie hätte es auch anders sein sollen, wo wir doch im Namen und unter dem besonderen Schutz des einen, wahren Gottes reisen?»

Etain erwiderte ihr Lächeln.

«Außerdem hatte ich irdische Unterstützung. Ich bin mit einigen Brüdern aus Durrow gekommen, und als wir in Rheged landeten, gesellten sich noch einige Glaubensbrüder aus Britannien zu uns. Und an der Grenze zwischen Rheged und Northumbrien erwarteten uns Athelnoth und eine Gruppe sächsischer Krieger, um uns nach Streo-neshalh zu begleiten. Hast du Athelnoth schon kennengelernt?»

Fidelma schüttelte den Kopf. «Ich bin selbst erst vor einer Stunde angekommen», erklärte sie.

Etain verzog mißbilligend das Gesicht.

«Athelnoth wurde von König Oswiu und dem Bischof von Northumbrien geschickt, um mich zu begrüßen und nach Streoneshalh zu begleiten. Seine Abneigung gegen die irischen Lehren und unseren Einfluß in Northumbrien trug er allerdings so offen zur Schau, daß es manchmal schon fast beleidigend war. Er ist als Priester ordiniert, aber von Rom vollkommen eingenommen. Einmal mußte ich sogar einen unserer Brüder zurückhalten,

Athelnoth zu verprügeln, so unverblümt ist er über unsere Liturgie hergezogen.»

Fidelma zuckte achtlos die Achseln.

«Soweit ich gehört habe, ruft die Debatte über unsere Gebräuche überall Spannung und Streit hervor. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, daß die unterschiedliche Datierung des Paschafests die Gemüter so erhitzen kann ...»

Etain grinste.

«Du wirst dich daran gewöhnen müssen, es als Ostern zu bezeichnen.»

Fidelma runzelte die Stirn.

«Ostern?»

«Ja. Die Sachsen haben die meisten unserer Lehren übernommen, doch was das Paschafest betrifft, bestehen sie darauf, es nach Eostre, ihrer heidnischen Gottheit der Fruchtbarkeit, zu benennen, deren Fest auf die Tagundnachtgleiche im Frühling fällt. Es gibt in diesem Land noch vieles, was heidnisch ist. Du wirst feststellen, daß die Menschen noch ihren alten Göttern und Göttinnen folgen und daß ihre Herzen mit Krieg und Haß angefüllt sind.»

Äbtissin Etain erschauderte.

«Ich empfinde vieles hier als bedrückend, Fidelma. Als bedrückend und bedrohlich.»

Fidelma lächelte beruhigend.

«Wo widersprüchliche Ansichten bestehen, kommt es immer zu Spannungen unter den Menschen. Ich glaube nicht, daß wir uns Sorgen zu machen brauchen. Während des Disputs werden sich alle mächtig in die Brust werfen. Wenn wir jedoch erst einmal eine gemeinsame Lösung gefunden haben, wird alles vergeben und vergessen sein.» Sie hielt inne. «Wann soll die Debatte beginnen?»

«König Oswiu und sein Gefolge werden nicht vor morgen mittag hier eintreffen. Äbtissin Hilda hat mir gesagt, daß sie, wenn alles nach Plan verläuft, die Versammlung am späten Nachmittag eröffnen wird. Bischof Colman hat mich gebeten, für unsere Kirche die Eröffnungsrede zu halten.»

Einen Augenblick lang glaubte Fidelma, im Gesicht der Äbtissin Angst zu lesen.

«Macht dir das Sorgen, Etain?»

Etain lächelte und schüttelte den Kopf.

«Nein. Wie du weißt, liebe ich Streitgespräche. Außerdem habe ich hervorragende Beraterinnen -so wie dich.»

«Das erinnert mich an Schwester Gwid», erwiderte Fidelma. «Wir sind zusammen gereist. Ein ausgesprochen kluges Mädchen, obwohl man das auf den ersten Blick gar nicht glauben möchte. Gwid sagte mir, du hättest sie zu deiner Sekretärin und Dolmetscherin berufen.»

Für den Bruchteil einer Sekunde erschien ein seltsamer Ausdruck auf Etains Gesicht, den Fidelma nicht recht zu deuten vermochte.