Viertes Kapitel
»Guten Tag, Landsmann«, sagte Tarantjew kurz angebunden, seine zottige Hand Oblomow hinstreckend. »Warum liegst du noch bis jetzt wie ein Holzklotz da?«
»Komm nicht heran, komm nicht heran: du bringst Kälte mit«, sagte Oblomow, sich zudeckend.
»Was du dir einbildest! Ich sollte Kälte mitbringen?!« schrie Tarantjew auf. »Nimm nur die Hand, wenn man sie dir reicht! Es ist bald zwölf Uhr, und er liegt noch herum!«
Er wollte Oblomow vom Bett aufheben, doch dieser kam ihm zuvor, indem er die Füße rasch herabgleiten ließ und sofort in beide Pantoffeln zugleich schlüpfte.
»Ich wollte selbst bald aufstehen«, sagte er gähnend.
»Ich weiß schon, wie du aufstehen wolltest; du wärest bis zum Mittagessen liegen geblieben. He, Sachar! wo steckst du, alter Dummkopf? Hilf dem Herrn beim Anziehen.«
»Schaffen Sie sich zuerst Ihren eigenen Sachar an, dann können Sie schimpfen!« sagte Sachar, ins Zimmer tretend und Tarantjew feindselig anblickend. »Wieviel Straßenkot Sie hereingebracht haben, wie ein Hausierer!« fügte er hinzu.
»Du redest noch, du Teufelsfratze!« antwortete Tarantjew und hob den Fuß auf, um den vorübergehenden Sachar zu stoßen; doch dieser blieb stehen, wandte sich zu ihm hin und machte sich kampfbereit.
»Rühren Sie mich nur an! Was ist denn das? Ich gehe ...« sagte er und näherte sich der Tür.
»Aber hör doch auf, Michej Andreitsch, wie aufgeregt du bist! Warum läßt du ihn nicht in Ruh'?« sagte Oblomow. »Sachar, gib alles her, was ich brauche!«
Sachar kehrte um und lief, Tarantjew anschielend, geschwind an ihm vorüber. Oblomow stütze sich auf ihn, erhob sich ungern, wie ein sehr ermüdeter Mensch, vom Bett, ließ sich ebenso ungern in einen großen Lehnstuhl sinken und blieb reglos sitzen. Sachar nahm vom Tischchen Pomade, die Kämme und Bürsten, schmierte ihm den Kopf mit Pomade ein, machte ihm einen Scheitel und bürstete ihm dann die Haare.
»Werden Sie sich jetzt waschen?« fragte er.
»Ich werde noch ein wenig warten«, antwortete Oblomow, »geh!«
»Ah, Sie sind auch da?« sagte Tarantjew, sich plötzlich an Alexejew wendend, während Sachar Oblomow frisierte, »ich habe Sie gar nicht gesehen. Weshalb sind Sie hier? Ihr Verwandter ist ein solches Schwein! Ich wollte es Ihnen immer sagen ...«
»Was für ein Verwandter? Ich habe gar keinen Verwandten«, antwortete schüchtern der verblüffte Alexejew und glotzte Tarantjew an.
»Nun dieser da, welcher hier angestellt ist, wer ist es doch gleich? ... Er heißt Afanassjew. Wieso soll er denn nicht Ihr Verwandter sein? Er ist doch Ihr Verwandter.«
»Ich bin doch nicht Afanassjew, ich bin Alexejew«, sagte dieser, »ich habe keinen Verwandten.«
»Das ist nicht Ihr Verwandter? Er ist ebenso unansehnlich wie Sie und heißt auch Wassilij Nikolaitsch.«
»Bei Gott, er ist nicht mit mir verwandt; ich heiße Iwan Alexeitsch.«
»Nun, das ist ganz gleich, er sieht Ihnen ähnlich. Er ist aber ein Schwein; sagen Sie ihm das, wenn Sie ihn sehen.«
»Ich kenne ihn nicht und habe ihn niemals gesehen«, sagte Alexejew, seine Tabatiere öffnend.
»Geben Sie mir einmal Ihren Tabak«, sagte Tarantjew, »Sie haben einfachen und keinen französischen Tabak? Ja gewiß«, sagte er, nachdem er geschnupft hatte, »warum haben Sie keinen französischen?« fügte er dann strenge hinzu. »Wirklich, ich habe noch niemals ein solches Schwein gesehen, wie Ihr Verwandter es ist«, fuhr Tarantjew fort. »Ich habe von ihm einmal, es wird schon zwei Jahre her sein, fünfzig Rubel geborgt. Nun, sind denn fünfzig Rubel viel Geld? Wie sollte man so etwas nicht vergessen? Er denkt aber noch daran; er sagt mir nach einem Monat, wo er mich auch trifft: ›Und wie steht's mit Ihrer Schuld?‹ Es ist mir zu dumm geworden! Außerdem ist er gestern in unser Departement gekommen. ›Sie haben gewiß Ihr Gehalt bekommen‹, sagte er, ›jetzt können Sie mir das Geld zurückgeben.‹ Ich habe ihm mein Gehalt gegeben und habe ihn vor allen so beschämt, daß er mit Mühe zur Tür hinaus gefunden hat. Er sagt: ›Ich bin ein armer Mann, ich brauche es selbst!‹ Als ob ich es nicht brauchte! Bin ich denn so reich, um ihm immer fünfzig Rubel abzuzählen! Gib mir eine Zigarre, Landsmann.«
»Die Zigarren liegen dort in der Schachtel«, antwortete Oblomow, auf die Etagere zeigend. Er saß sinnend in seiner schönen, trägen Stellung im Lehnstuhl, ohne zu sehen, was um ihn her vorging, und ohne zu hören, was gesprochen wurde. Er blickte seine kleinen, weißen Hände liebevoll an und streichelte sie.
»Ah, das sind ja noch immer dieselben?« fragte Tarantjew streng, sich eine Zigarre herausnehmend und Oblomow anblickend.
»Ja, es sind dieselben«, antwortete Oblomow mechanisch.
»Und ich habe dir doch gesagt, du sollst dir andere, ausländische kaufen! So denkst du daran, was man dir sagt! Also schau zu, daß nächsten Samstag welche da sind, sonst komme ich lange nicht mehr her. Was das für ein Zeug ist!« sprach er weiter, sich die Zigarre anzündend, paffte eine Rauchwolke in die Luft und zog eine zweite ein, »man kann das gar nicht rauchen.«
»Du bist heute früh gekommen, Michej Andreitsch«, sagte Oblomow gähnend.
»Bist du vielleicht meiner überdrüssig?«
»Nein, ich habe das nur so bemerkt; du kommst gewöhnlich direkt zum Essen, und jetzt geht es erst auf ein Uhr.«
»Ich bin absichtlich früher gekommen, um zu erfahren, was heute für ein Mittagessen ist. Du fütterst mich immer mit elendem Zeug, ich möchte also erfahren, was du für heute bestellt hast.«
»Frage in der Küche nach«, sagte Oblomow.
Tarantjew ging hinaus.
»Aber was ist denn das!« sagte er, als er zurückkam, »Rindfleisch und Kalbsbraten. Ach, Bruder Oblomow, du verstehst nicht zu leben und bist noch dabei Gutsbesitzer! Was bist du für ein Edelmann? Du lebst wie ein Kleinbürger; du verstehst es nicht, einen Freund zu bewirten! Nun, hast du Madeira gekauft?«
»Ich weiß nicht, frage Sachar«, sagte Oblomow, fast ohne ihm zuzuhören, »es ist gewiß Wein da.«
»Der frühere deutsche? Nein, laß einen in der englischen Handlung kaufen.«
»Dieser ist auch gut genug«, sagte Oblomow, »sonst muß ich noch hinschicken!«
»Gib mir Geld, ich gehe vorüber und bringe eine Flasche mit; ich muß noch einen Gang machen.«