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Dieses Attest lautete: »Ich, der Gefertigte, bezeuge mit der Beidrückung meines Siegels, daß der Kollegiensekretär Ilja Oblomow mit Herzverfettung und der Erweiterung der linken Herzkammer behaftet ist (Hypertrophia cordis cum dilatatione ejus ventriculi sinistri) und außerdem ein chronisches Leberleiden hat (Chepatitis), das sich gefährlich zu entwickeln droht und sowohl die Gesundheit als auch das Leben des Kranken schädigen könnte; die darauf hinweisenden Anfälle werden wohl durch den täglichen Amtsdienst verursacht. Darum halte ich es, um diesen krankhaften Anfällen vorzubeugen und dieselben zu beschwichtigen, für notwendig, Herrn Oblomow den Dienst vorläufig zu verbieten und ihm überhaupt das Vermeiden jeder geistigen Arbeit und jeder Tätigkeit vorzuschreiben.«

Doch das half nur für einige Zeit; er mußte ja einmal wieder gesund werden - und dann folgte wieder das tägliche Versehen seines Amtes. Oblomow konnte das nicht länger ertragen und suchte um seine Entlassung nach. So schloß seine amtliche Tätigkeit, um niemals wieder aufgenommen zu werden.

Seine gesellschaftliche Laufbahn wollte ihm besser gelingen. In den ersten Jahren seines Aufenthaltes in Petersburg, in seiner ersten Jugend, belebten sich seine ruhigen Gesichtszüge häufiger, die Augen leuchteten lange vor Lebensfeuer, ihnen entströmten Strahlen von Licht, von Hoffnung und von Kraft. Er regte sich wie die anderen auf, hoffte, freute sich über jede Kleinigkeit und litt auch um einer jeden Kleinigkeit willen. Doch das war schon lange her, noch in jener zarten Periode, in welcher man in jedem Nebenmenschen einen aufrichtigen Freund sieht, sich fast in jede Frau verliebt und bereit ist, einer jeden Hand und Herz anzubieten, was manche auch ausführen, um dann das ganze übrige Leben darüber zu trauern. In diesen seligen Tagen fielen auch Ilja Iljitsch nicht wenig weiche, samtene, ja selbst leidenschaftliche Blicke aus den Augen der Schönen zu, außerdem sehr häufig ein vielversprechendes Lächeln, zwei, drei unprivilegierte Küsse und noch mehr freundschaftliche Händedrücke, die bis zu Tränen schmerzten.

Er ließ sich übrigens niemals von den Schönen gefangennehmen, war niemals ihr Sklave und nicht einmal ihr sehr fleißiger Arbeiter, schon deshalb nicht, weil mit der Annäherung an Frauen viel Scherereien verbunden sind. Oblomow beschränkte sich häufiger auf ein Anbeten aus der Ferne, in ehrerbietiger Entfernung. Das Schicksal führte ihn selten in der Gesellschaft mit einer Frau zusammen, daß er für ein paar Tage aufflammen und sich für verliebt halten konnte. Infolgedessen entwickelten sich seine Liebesverhältnisse nicht zu Romanen. Sie blieben gleich im Anfang stehen und ließen sich an Unschuld, Einfachheit und Reinheit von der Liebe irgendeiner erwachsenen Pensionärin nicht überbieten.

Am meisten mied er jene bleichen, traurigen Jungfrauen, die größtenteils schwarze Augen haben, in denen sich die »qualvollen Tage und nicht ganz schuldlosen Nächte« widerspiegelten, Jungfrauen mit von niemand gekannten Leiden und Freuden, mit blauen Ringen unter den Augen, Jungfrauen, die immer etwas anzuvertrauen und zu sagen haben und die, wenn es dazu kommt, erbeben, in plötzliche Tränen ausbrechen, dann den Hals des Freundes plötzlich mit den Armen umschlingen, ihm lange in die Augen, dann gen Himmel schauen und sagen, daß ihr Leben von einem Fluch bedroht sei, und manchmal in Ohnmacht fallen. Er wich ihnen ängstlich aus. Seine Seele war noch rein und jungfräulich; sie erwartete vielleicht ihre Liebe, ihre Zeit, ihre pathetische Leidenschaft, und später hörte sie mit den Jahren scheinbar zu warten auf und verzweifelte.

Noch kühler verabschiedete sich Ilja Iljitsch von dem Haufen seiner Freunde. Gleich nach dem ersten Brief seines Dorfschulzen von den Rückständen und der Mißernte vertauschte er seinen nächsten Freund, den Koch, mit einer Köchin, verkaufte dann die Pferde und schickte dann seine übrigen »Freunde« fort.

Fast nichts übte auf ihn eine genügende Anziehungskraft aus, um ihn aus dem Hause herauszulocken, und er setzte sich mit jedem Tage immer mehr und ständiger in seiner Wohnung fest.

Zuerst fiel es ihm schwer, den ganzen Tag angekleidet zu verbringen; dann wurde er zu faul, auswärts zu speisen, außer bei sehr nahen Verwandten, meistens bei ledigen Kameraden, bei denen man die Krawatte ausziehen und die Weste aufknöpfen durfte, es sich sogar »bequem« machen und eine Stunde lang schlafen konnte. Bald wurden ihm auch die Abende lästig. Er mußte einen Frack anziehen und sich täglich rasieren. Er hatte irgendwo gelesen, nur die Morgendünste wären gesund, während die Abenddünste schadeten, und begann sich vor Nässe zu fürchten. Trotz allen diesen Grillen gelang es seinem Freunde Stolz, ihn unter Menschen zu bringen; aber Stolz verreiste oft aus Petersburg nach Moskau, nach Nischnij-Nowgorod, in die Krim und auch ins Ausland, und ohne ihn gab sich Oblomow gänzlich seiner Abgeschlossenheit und Einsamkeit hin, aus welcher ihn nur etwas Außerordentliches, das sich vom gewöhnlichen Gang seines Lebens scharf abhob, aufscheuchen konnte; doch etwas Ähnliches kam nicht vor und war auch nicht vorauszusehen.

Außerdem war zu ihm mit den Jahren eine kindliche Schüchternheit zurückgekehrt, und weil er die verschiedenartigen äußeren Erlebnisse nicht mehr gewohnt war, erwartete er von allem, was außerhalb der Sphäre seines äußeren Lebens lag, Gefahr und alles Böse.

Ihn erschreckte zum Beispiel nicht der Riß im Plafond seines Schlafzimmers. Er hatte sich daran gewöhnt; es fiel ihm auch nicht ein, daß die stets geschlossene Luft seines Zimmers und das beständige Zuhausesitzen für seine Gesundheit beinahe verderblicher waren als die nächtliche Feuchtigkeit und daß die tägliche Überfüllung des Magens eine Art von progressivem Selbstmord bedeutete. Doch er hatte sich daran gewöhnt und fürchtete das alles nicht. Doch Bewegung, Leben, viele Menschen und Trubel waren ihm etwas Ungewohntes. Er fühlte sich in der Menschenmenge beengt; er stieg mit der schwankenden Hoffnung, glücklich ans Ufer zu gelangen, ins Boot und erwartete, wenn er im Wagen fuhr, die Pferde würden scheu werden und umschmeißen. Manchmal überlief ihn eine nervöse Angst. Er fürchtete sich vor der ihn umgebenden Stille und wußte oft selber nicht, warum es ihn kalt überlief. Es kam vor, daß er ängstlich in eine dunkle Ecke schielte, in der Erwartung, seine Phantasie würde ihm einen Streich spielen und ihm eine übernatürliche Erscheinung zeigen.

Das war das Ende seiner gesellschaftlichen Laufbahn. Er wies mit einer trägen Handbewegung alle seine Jugendhoffnungen von sich, die ihn betrogen hatten oder die er betrogen hatte, all die zarten, traurigen und lichten Erinnerungen, die manchem das Herz noch im Alter klopfen machen.

Sechstes Kapitel

Was macht er denn zu Hause? Liest er? Schreibt er? Lernt er? Ja, wenn ihm ein Buch oder eine Zeitung in die Hand kommt, liest er. Wenn er von irgendeinem merkwürdigen Werk hört, erwacht in ihm der Wunsch, es kennenzulernen; er sucht danach, bittet, ihm das Buch zu bringen; und wenn man es bald bringt, nimmt er es vor und beginnt sich eine Vorstellung über den Gegenstand zu bilden; nur noch ein einziger Schritt, und er würde denselben beherrschen; wenn man aber nach einer Weile hinsieht, ruht er schon wieder, apathisch auf die Zimmerdecke blickend, und das Buch liegt, nicht zu Ende gelesen und unverstanden, neben ihm. Die Abkühlung erfaßt ihn noch schneller als die Begeisterung. Er kehrt nie mehr zu dem verlassenen Buch zurück. Und dabei hatte er wie die andern, wie alle, bis zum fünfzehnten Jahr im Pensionat gelernt; dann entschlossen sich die alten Oblomows nach langem Kampf, Iljuscha nach Moskau zu schicken, wo er, ob er wollte oder nicht, den Lehrkursus bis zu Ende verfolgen mußte. Sein schüchterner, apathischer Charakter hinderte ihn daran, seine Faulheit und seine Launen vor fremden Leuten, in der Schule, wo man zugunsten von verwöhnten Muttersöhnchen keine Ausnahme machte, ganz zu äußern. Er saß notgedrungen in gerader Haltung in der Klasse da, hörte zu, was die Lehrer sagten, weil er nicht anders durfte, und lernte mit Mühe, schwitzend und seufzend seine Aufgaben.