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»So subaltern, dass Sie mit ihm aneinandergeraten sind?«

Himmler nahm seine Brille ab, rieb sie am Ärmel und setzte sie mit demonstrativer Gelassenheit wieder auf. »Und woher wollen Sie das wissen?«

»Von Ihrem Adjutanten, Reichsführer.«

»Vorausgesetzt, Sie treiben kein doppeltes Spiel, Colonel – auf einen Verräter mehr oder weniger kommt es doch wohl nicht an.«

»So, meinen Sie.« Klug genug, sich seinen Groll nicht anmerken zu lassen, fläzte sich Murphy in einen Sessel, schlug die Beine übereinander und zog an seiner Zigarette. »Reichlich merkwürdig, dass gerade Sie dieses Wort in den Mund nehmen.«

Himmlers Blick verengte sich. »Was wissen Sie denn schon von Treue!«, zischte er, auf dem besten Wege, die aufgesetzte Maske der Jovialität abzustreifen. Und beantwortete seine Frage gleich selbst: »Rein gar nichts.«

»Immerhin genug, um Ihnen keinen Meter über den Weg zu trauen«, konterte Murphy, streckte sich und stand wieder auf. Dann warf er einen Blick aus dem Erkerzimmer, das sich im Erdgeschoss des Backsteingebäudes in der Uelzener Straße 31a befand. »Anderes Thema, Reichsführer«, warf er abrupt ein. »Ich denke, Sie wissen, weshalb Sie hier sind, oder?«

Himmler wedelte mit der Hand, um den Zigarettenrauch zu zerstreuen. »Offen gestanden – nein«, gab er zur Antwort und zupfte seine Häftlingskleidung zurecht.

»Vorschlag zur Güte, Reichsführer: 14 Tage nach Kriegsende wird es langsam Zeit, dass Sie von Ihrem hohen Ross herunterkommen.«

Heinrich Himmler, Henker von Hitlers Gnaden, nahm den Rüffel mit teilnahmsloser Miene hin. »Und womit könnte ich Ihnen Ihrer Meinung nach zu Diensten sein, Colonel?«

»Indem Sie zur Abwechslung einmal detaillierte Angaben machen.«

»Worüber denn?« Mit Blick auf die anwesenden Offiziere, die das Verhör mit skeptischer Miene verfolgten, drückte Murphy seine Kippe aus und räusperte sich. Captain C. J. Wells, ebenfalls anwesender Militärarzt, ließ Himmler keine Sekunde aus den Augen. »Über die eine oder andere Kleinigkeit, Reichsführer«, warf Murphy mit typisch britischem Understatement ein. »So zum Beispiel über die Frage, wohin etliche Mitglieder Ihrer Führungsriege abgetaucht sind.«

»Keine Ahnung.«

Murphy nahm das gefälschte Soldbuch zur Hand, das sich bei seinen Unterlagen befand, und hielt es Himmler unter die Nase. »Mit der gleichen Masche wie Sie, Herr Ex-Feldwebel Himmler, dürften es etliche Ihrer ehemaligen Kameraden versucht haben. Aber keine Bange: Wir werden nicht lockerlassen, bis wir das Spinnennetz, dessen Mittelpunkt Sie sind, zertreten haben.«

»Spinnennetz?«

Mit der Geduld am Ende, warf Murphy das Soldbuch auf den Schreibtisch, packte den ehemaligen Reichsführer-SS am Kragen und zog ihn in die Höhe. »Du hast richtig gehört, Abschaum«, presste er zwischen den Zähnen hervor. »Wo sind die Henkersknechte abgeblieben, mit denen du deine Verbrechen begangen hast?«

»Ist das etwa der Dank, dass ich mich so kooperativ wie möglich …«

»Schon einmal was von Werwölfen gehört, Reichsführer?«, würgte Murphy den Gefangenen barsch ab, stieß ihn von sich und starrte ihn wie ein sprungbereites Raubtier an.

»Aber, aber, Colonel«, gab sich Himmler mäßig beeindruckt, »wo ist denn bloß Ihre gute Kinderstube geblieben.«

»Und wie steht es mit der von Ihnen ins Leben gerufenen Terrorgruppe?«, kam Major Whittaker, ein weiterer Offizier, einem neuerlichen Wutausbruch des Secret-Service-Agenten zuvor und schob ihn mit sanftem Druck beiseite. »›Gruppe W 45‹ – was fällt Ihnen dazu ein?«

»Lügenmärchen, Hirngespinste, Fantasiegebilde.«

»Trifft das auch auf die Tatsache zu, dass Sie bemüht waren, eine Nachfolgeorganisation der SS aufzubauen?«

Zum ersten Mal seit Beginn des Verhörs geriet Heinrich Himmlers emotionslose Fassade ins Wanken. »Was …«, begehrte er auf, hatte sich jedoch Zehntelsekunden später wieder im Griff.

»Was Major Whittaker damit sagen will, wollen Sie wissen?«, machte Murphy wieder auf sich aufmerksam. »Ganz einfach: Nicht jeder Ihrer sogenannten Kameraden, in deren Begleitung Sie uns ins Netz gegangen sind, ist so loyal wie Sie.« Ein süffisantes Lächeln auf den Lippen, fügte der Brite hinzu: »Wenn Sie verstehen, was ich meine.«

»Verzeihung, Gentlemen«, schaltete sich Dr. Wells mit besorgter Miene ein. »Halten Sie es nicht für besser, die Untersuchung des Gefangenen abzuschließen, bevor das Verhör fortgesetzt wird?« Die Blicke des Militärarztes und des Secret-Service-Agenten trafen sich. »Aus Sicherheitsgründen, meine ich.«

»Tun Sie, was Sie nicht lassen können, Doc«, gab Murphy genervt klein bei. »Wenn’s geht, bitte schnell.«

Der Militärarzt, ein Brite wie aus dem Bilderbuch, ging über die Bemerkung des Colonels einfach hinweg, trat zu Himmler und bedeutete ihm, den Mund zu öffnen. Kein Körperteil des Reichsführers, den er während der vergangenen zwei Tage nicht untersucht hätte. Kein Quadratzoll – außer seinem Mund. Aus naheliegenden Gründen hatte er ihn sich bis zuletzt aufgespart. Wenn diese Bestie eine Zyankali-Kapsel versteckt hatte, dann hier.

Kaum war Dr. Wells der Gedanke gekommen, durchzuckte ihn ein heftiger Schmerz, und es kostete ihn große Mühe, den Finger aus Himmlers Mund herauszuziehen. Aber da war es bereits zu spät.

Mit einem Röcheln, das nichts Menschliches an sich hatte, bäumte sich Heinrich Himmler, Herr der Todeslager, mehrere Sekunden lang auf. Er wirkte wie erstarrt, und sein Blick irrte ziellos umher. Dann stürzte er zu Boden, wandte, drehte und verkrampfte sich wie ein tollwütiges Tier. Der Geruch von Blausäure durchströmte den Raum, vermischt mit dem Atem des Todes, der durch den halb geöffneten Kiefer drang. Vor Schreck wie gelähmt, starrten die britischen Offiziere den verendenden Gefangenen mit einer Mischung aus Abscheu und Genugtuung an.

Endlich war es vorüber. Heinrich Himmler, einer der größten Verbrecher aller Zeiten, war tot.

Das Dritte Reich jedoch noch lange nicht.

›Die heute gängige Auffassung, die Werwolf-Gruppen hätten sich allesamt schlicht und einfach aufgelöst, nachdem sie von den Alliierten überrollt worden waren, trifft so nicht zu. Zwar gelang es nicht, im besetzten Deutschland eine Guerilla-Bewegung aufzubauen, dazu fehlte die entscheidende Voraussetzung, die Unterstützung aus der tatsächlich kriegsmüden Bevölkerung. Doch neuere Forschungen zeigen, dass Werwölfe und andere Fanatiker aus der Zivilbevölkerung, die auf eigene Faust den Kampf gegen die Alliierten auch nach der Besetzung fortsetzten, tatsächlich Tausende von Anschlägen verübten, denen Hunderte von alliierten Soldaten und deutsche »Kollaborateure« zum Opfer fallen sollten.‹

Peter Longerich: Heinrich Himmler.

München 2008, S. 735f.

VITTLES

(Berlin, 30. August 1948, Tag 68 der Luftbrücke)

7

Glienicker Brücke, sowjetischer Sektor | 31.08.1948,

00.15 h

Schuld daran, dass der letzte Tag im August auch der letzte im Leben von Sascha Kirilenko war, waren seine Naivität, der Wodka und die Lust auf eine Frau.

In dieser Reihenfolge.

Der Tag, an dem der Countdown zum Dritten Weltkrieg begann, war eine Viertelstunde alt, als der 19-jährige Gefreite der Sowjetarmee die zwei Gestalten auf dem Behelfssteg neben der Glienicker Brücke zum ersten Mal sah. Obwohl Trinken im Dienst verboten war, hatte er kräftig einen zur Brust genommen. Wie im Übrigen auch die Kameraden seiner Wache. Die Nacht würde lang werden, und da sich die Yankees drüben nicht blicken ließen, hatten sie sich Machorka und eine Flasche Fusel organisiert und die Sowjetarmee, ihre Heimat und den Genossen Stalin kräftig hochleben lassen. Alles, was zu ihrem Glück noch gefehlt hätte, wäre die eine oder andere Kurwa2 gewesen. Aber wie hieß es doch so schön: Man soll sein Glück nicht überstrapazieren.