1. Kapitel
Ein Mann von gütiger Gesinnung
Es war am späten Nachmittag eines frostigen Februartages, als in der Stadt P. in Kentucky zwei Herren in einem hübsch eingerichteten Wohnzimmer allein beim Weine saßen. Bediente waren nicht zugegen, und beide Herren hatten ihre Stühle eng zusammengerückt und schienen mit großem Ernst wichtige Dinge zu besprechen.
Der Einfachheit halber sagten wir zwei Herren. Doch schien diese Bezeichnung bei näherer Betrachtung auf einen der beiden nicht ganz zuzutreffen. Er war ein kurzer, untersetzter Mann mit groben, gewöhnlichen Gesichtszügen und jener schwänzelnden Beflissenheit, die den ungebildeten Menschen kennzeichnet, der sich mit seinen Ellbogen den Weg nach oben bahnt. Er war auffallend gekleidet: Zu einer Weste in schreienden Farben trug er ein blaues Halstuch mit gelben Tupfen, das zur modischen Krawatte gebunden dem herausfordernden Wesen des Mannes entsprach. Seine groben Hände waren mit Ringen bedeckt, an einer schweren, goldenen Uhrkette trug er ein Bündel von Petschaften in allen Farben und von riesiger Größe, mit denen er im Eifer des Gesprächs mit sichtlichem Behagen zu spielen pflegte. Seine Rede spottete jeder Grammatik und enthielt zahllose ordinäre Ausdrücke (die wir trotz aller Bemühungen um ein korrektes Konterfei nicht zu wiederholen beabsichtigen).
Sein Partner, Mr. Shelby, hatte das Aussehen eines Herrn, auch die Einrichtung des Hauses und das Äußere des Haushalts verrieten einen wohlhabenden, wenn nicht üppigen Lebensstil. Wie wir bereits erwähnten, waren diese beiden in einer ernsten Unterhaltung begriffen.
»Auf diese Weise würde ich die Sache erledigen«, sagte Mr. Shel–by.
»Das kann ich mit meinem Geschäft nicht vereinbaren — das ist ausgeschlossen, Mr. Shelby«, erwähnte der andere und hielt sein Glas Wein gegen das Licht.
»Aber, Haley, Tom ist wirklich ein ungewöhnlicher Bursche. Auf jeden Fall ist er diese Summe wert; ehrlich, tüchtig und zuverlässig verwaltet er meine Farm; es geht alles wie am Schnürchen.«
»Sie meinen, was man bei Schwarzen so ehrlich nennt«, sagte Ha–ley und schenkte sich ein Glas Brandy ein.
»Nein, ich meine es wörtlich. Tom ist ein guter, zuverlässiger, verständiger und frommer Bursche. Er hat die christliche Religion auf einem Lagertreffen kennengelernt; und ich glaube, er hat sie wirklich tief in sich aufgenommen. Seit jener Zeit habe ich ihm alles, was ich habe, anvertraut — mein Geld, mein Haus, meine Pferde -, ich lasse ihn landauf, landab frei umhergehen, und er war immer ehrlich und treu.«
»Manche Leute bezweifeln, daß es überhaupt fromme Nigger gibt, Shelby«, sagte Haley mit einer großartigen Handbewegung. »Aber ich bin überzeugt, es gibt welche. Ich hatte jetzt im letzten Schub, den ich nach Orleans brachte, einen Kerl; es war wie in der Kirche, wenn man den beten hörte, und zahm und ruhig war er auch. Er brachte mir ein gut Stück Geld ein, denn ich hatte ihn billig kaufen können von jemand, der verkaufen mußte; er brachte mir 600 Dollar Reingewinn. Ja, ja, Religion ist etwas Schönes bei einem Neger, sie muß nur echt sein und kein Humbug.«
»Bei Tom ist sie kein Humbug«, entgegnete der andere. »Sehen Sie, letzten Herbst schickte ich ihn geschäftlich nach Cincinnati. 500 Dollar sollte er zurückbringen. >Tom<, sagte ich, >ich vertraue dir, denn du bist ein Christ; du wirst mich nicht betrügen.< Und richtig, Tom kam zurück. Ich hatte es gewußt. Ein paar gemeine Kerle hatten ihm zugeredet: >Tom, warum brennst du nicht durch nach Kanada?< >Der gnädige Herr hat mir doch vertraut, da kann ich nicht.< Hinterher hat man es mir erzählt. Ich muß sagen, es wird mir sauer, ihn herzugeben. Er müßte die ganze Schuld tilgen, Ha–ley, wenn Sie eine Spur von Gewissen hätten, müßten Sie das einsehen.«
»Nun, was mein Gewissen betrifft, so reicht es gerade so weit, wie man sich das im Geschäft leisten kann, daß man dabei noch fluchen darf, verstehen Sie«, sagte der Händler, seinen Witz belachend. »Außerdem tue ich allerhand für meine Freunde. Aber das ist zuviel verlangt.« Der Händler seufzte voll Selbstmitleid und goß sich einen weiteren Brandy ein.
»Na, Haley, wie denken Sie sich denn den Handel?« fragte Shelby nach einer ungemütlichen Pause.
»Ja, haben Sie nicht einen Jungen oder ein Mädchen als Zugabe zu Tom?«
»Hm, ich kann kaum einen entbehren. Um ganz offen zu sein, nur die Not zwingt mich, überhaupt einen von ihnen zu verkaufen. Tatsache ist, ich trenne mich nicht gern von meinen Leuten.«
Da ging die Tür auf, und ein kleiner Quadrone, vier–oder fünfjährig, trat ins Zimmer. Er war ein auffallend schönes und anziehendes Kind. Sein schwarzes Haar, fein wie gesponnene Seide, umrahmte in glänzenden Locken sein rundes Grübchengesicht, während seine großen, dunklen Augen voll Feuer und Sanftmut unter dichten langen Wimpern neugierig in die Stube blickten. Ein lustiger Kittel, rot und gelb kariert, gut geschnitten und hübsch gearbeitet, betonte vorteilhaft den dunklen Stil seiner aparten Schönheit. Und eine gewisse komische Mischung von Keckheit und Schüchternheit bekundete, daß er gewohnt war, von seinem Herrn verhätschelt und beachtet zu werden.
»Hallo, Dreikäsehoch«, sagte Mr. Shelby und warf ihm pfeifend eine Weintraube zu, »da, fang auf.«
Das Kind lief mit eiligen Beinchen nach der verlockenden Gabe. Sein Herr lachte.
»Komm her, du Racker«, rief er. Das Kind kam herbei, und Mr. Shelby streichelte ihm den Lockenkopf und klopfte ihm die Wange. »Na, nun zeig einmal, wie du singen und tanzen kannst.« Und schon stimmte das Kind mit voller klarer Stimme einen jener wilden, grotesken Negergesänge an, wobei es sich selbst in genauem Takt mit der Musik und vielen komischen Gesten der Hände und Füße begleitete.
»Bravo«, sagte Haley und warf ihm das Viertel einer Orange zu. »Und jetzt geh einmal wie der alte Onkel Cudjoe, wenn er Rheumatismus hat«, rief sein Herr. Sogleich verzerrten sich die biegsamen Glieder des Kindes, und es humpelte mit gekrümmtem Rücken, auf den Stock seines Herrn gestützt, durchs Zimmer, das kindliche Gesicht schmerzlich verzogen, rechts und links ausspuckend, ganz wie der alte Mann.
Beide Herren mußten schallend lachen.
»Na, du Schlingel, nun zeig noch, wie der alte Vater Robbin den Psalm anstimmt.« Der Junge zog sein pausbäckiges Gesicht entsetzlich in die Länge und begann, mit unerschütterlichem Ernst eine Psalmmelodie durch die Nase zu intonieren.
»Hurra, bravo! Welch ein Rübchen!« sagte Haley. »Aus dem wird was, das prophezeie ich. Ich schlage Ihnen etwas vor«, erklärte er plötzlich und schlug Mr. Shelby auf die Schulter. »Geben Sie das Kerlchen drauf, und das Geschäft ist gemacht. Los, willigen Sie ein, dann ist alles erledigt.«
In diesem Augenblick ging die Tür geräuschlos auf und eine junge, ungefähr 25 Jahre alte Quadronenfrau trat herein.
Man brauchte nur einen Blick von dem Kind auf sie zu werfen, um zu erkennen, daß sie die Mutter war. Sie hatte dieselben schönen, großen, dunklen Augen mit den langen Wimpern, dasselbe seidig gewellte, schwarze Haar. Der braune Ton ihrer Haut vertiefte sich auf den Wangen zu einem sichtbaren Rot, als sie den Blick des fremden Mannes in unverhohlener Bewunderung auf sich gerichtet fühlte. Ihr Kleid war von feinstem Schnitt und brachte ihre Gestalt vorteilhaft zur Geltung, eine zartgegliederte Hand, ein schmaler Fuß und schlanke Fesseln waren Einzelheiten, die dem scharfen Auge des Händlers nicht entgingen, da er gewöhnt war, mit schnellem Blick die Vorzüge einer guten, weiblichen Ware zu taxieren.
»Nun, Eliza?« fragte ihr Herr, als sie stehenblieb und ihn zögernd anblickte.
»Verzeihen Sie, gnädiger Herr, ich suchte Harry«, und schon lief das Kind auf sie zu und zeigte ihr die Früchte, die es in seinem Kittelchen gesammelt hatte.
»Da, nimm ihn nur mit«, sagte Mr. Shelby, und eilig entfernte sie sich mit dem Kind auf dem Arm.