»Liebes Weib, du ergreifst ja ganz die Partei der Neger!«
»Ach, täte ich es nur! Du weißt es selber, wie ich Sklaverei immer für ein Unrecht hielt und niemals eigene haben wollte.«
»Freilich, und da unterscheidest du dich gewaltig von manchem frommen und klugen Mann«, sagte Mr. Shelby. »Erinnerst du dich an Mr. B.'s Predigt am letzten Sonntag?«
»Ich mag solche Predigten nicht. Ich will den Mr. B. nicht Wiederhören. Geistliche konnten vielleicht dem Übel nicht abhelfen, können ihm ebensowenig steuern, wie wir es können, aber es zu verteidigen -! Das geht mir wider die Natur. Und ich meine, dir hat die Predigt auch nicht gefallen.«
»Na«, sagte Mr. Shelby, »ich muß gestehen, diese Geistlichen treiben die Dinge zuweilen auf die Spitze. Das würden selbst wir armen Sünder nicht wagen. Männer wie wir, die im Leben stehen, müssen oft ein Auge zudrücken. Aber es mißfällt uns, wenn Frauen und Geistliche uns darin noch überbieten und in Dingen der Moral oder der Sitte zu weit gehen. Aber jetzt, Liebste, hoffe ich, daß du meine Zwangslage verstehst und zugibst, daß ich das menschenmögliche getan habe.«
»Aber ja, aber ja«, versicherte Mrs. Shelby eilig, gedankenverloren spielte sie mit ihrer goldenen Uhr -, »ich habe keinen nennenswerten Schmuck«, fuhr sie nachdenklich fort. »Aber könnte diese Uhr nicht eine ganze Menge einbringen? Es war ein sehr teures Stück. Wenn ich nur Elizas Kind retten könnte, ich würde ja alles opfern, was ich nur hätte!«
»Es tut mir leid, Emily«, sagte Mr. Shelby, »daß dir diese Geschichte so nahegeht. Das Schlimme ist, die Sache ist bereits vollzogen. Der Kaufvertrag ist unterzeichnet und in Haleys Händen, und wir können Gott danken, daß es so glimpflich ablief. Der Mann hätte uns alle ins Unglück stürzen können. Wenn du ihn so kenntest wie ich, wäre dir klar, daß wir ihm noch knapp entronnen sind.«
»Ist er denn so hartherzig?«
»Ach, er ist nicht gerade grausam, aber ein Mann von lederner Zähigkeit. Er lebt nur für sein Geschäft und seinen Gewinn — kalt und rücksichtslos, unbarmherzig wie der Tod. Für einen hohen Prozentsatz würde er seine eigene Mutter verkaufen, ohne der alten Frau übel zu wollen — so ist er.«
»Und diese Kreatur soll den guten, treuen Tom und Elizas Kind fortan besitzen!«
»Liebes Herz, ich muß gestehen, daß ich diese Vorstellung auch nicht ertrage. Ich mag gar nicht daran denken. Haley war zu eilig und will morgen die Leute übernehmen. Ich werde mir in der Frühe mein Pferd satteln lassen und davonreiten. Ich kann Toms Anblick nicht ertragen, so viel steht fest. Und ich rate dir, auch eine Spazierfahrt zu machen und Eliza mitzunehmen. Dann kann die Sache vor sich gehen, ohne daß sie dabei ist.«
»Nein, nein«, sagte Mrs. Shelby. »Auf keinen Fall will ich meine Hand in diesem furchtbaren Spiel haben. Ich werde den armen Tom aufsuchen, Gott mag ihm beistehen in seiner furchtbaren Not. Dann sehen sie wenigstens, daß ihre Herrin ein Herz hat für sie. Was Eliza angeht, so sträubt sich alles in mir. Möge Gott uns verzeihen! Was haben wir getan, daß wir in diese grausame Zwangslage kamen?«
Bei dieser Unterhaltung war ein Lauscher zugegen gewesen, dessen Anwesenheit das Ehepaar nicht vermutet hatte.
Neben ihrem Schlafzimmer lag ein kleiner Raum, der mit einer Außentür auf den Korridor führte. Als Mrs. Shelby Eliza für die Nacht entlassen hatte, war diese in ihrem fiebrigen und erregten Zustand auf den Gedanken gekommen, sich dort zu verbergen. Das Ohr dicht an die Tür gepreßt, hatte sie auch nicht ein Wort der Unterhaltung verloren.
Als die Stimmen verstummt waren, richtete sie sich auf und stahl sich leise davon. Blaß und zitternd, mit erstarrten Zügen und zusammengepreßten Lippen war sie nicht länger das sanfte, süße Geschöpf wie bisher. Vorsichtig schlich sie über den Vorplatz, hob vor der Tür ihrer Herrin stumm und flehend die gefalteten Hände gen Himmel, kehrte dann um und verschwand in ihrem Zimmer. Es war ein ruhiger, heller Raum. An dem freundlichen sonnigen Fenster hatte sie oft sinnend mit einer Handarbeit gesessen. Daneben stand das kleine Bücherbrett, und überall lagen die verschiedenen Geräte, die ihr als Weihnachtsgeschenke lieb und teuer waren. Im Wandschrank und in den Schubladen befand sich ihre einfache Garderobe. Kurzum, hier lebte sie, hier war ihre Heimat, hier war sie glücklich gewesen. Aber dort auf dem Bett lag schlafend ihr Knabe, lange Locken fielen achtlos um das schlummernde Gesicht, der rosige Mund stand halb offen, die dicken kleinen Händchen lagen auf der Bettdecke, und ein Lächeln glitt wie ein Sonnenstrahl
über sein Gesicht.
»Armer Junge, armes Kerlchen«, sagte Eliza, »verkauft haben sie dich, aber Mutter wird dich retten.«
Keine Träne fiel auf das Kopfkissen. Sie nahm Papier und Bleistift und schrieb in großer Hast:
»O Herrin, liebe Herrin! Haltet mich nicht für undankbar. Denkt nicht böse von mir. Ich habe alles mitangehört, was Ihr und der gnädige Herr zusammen sprachet heute abend. Ich will versuchen, meinen Knaben zu retten. Ihr werdet mich verstehen. Gott segne Euch und lohne Euch alle Güte.«
In fliegender Eile faltete und adressierte sie das Blatt, dann ging sie an ein Schubfach und schnürte ein kleines Bündel mit Kleidern für das Kind, das sie mit einem Taschentuch an ihren Gürtel knüpfte. Aber die Gedanken einer Mutter sind auch in der Stunde der Schrecken liebevoll und umsichtig; so vergaß sie nicht, ein oder zwei seiner liebsten Spielsachen in das Bündel zu stecken, und hob einen lustig angemalten Papagei auf, um ihn damit abzulenken, wenn sie ihn jetzt weckte. Sie hatte einige Mühe, den kleinen Schläfer wachzurütteln, aber nach einiger Anstrengung richtete er sich schließlich auf und begann mit dem Vogel zu spielen, während seine Mutter sich einen Schal umband und die Haube aufsetzte.
»Wo gehst du hin, Mutter?« fragte er, als sie mit seinem Mäntelchen und seiner kleinen Mütze an sein Bett trat.
Seine Mutter kam heran und blickte ihm so ernst in die Augen, daß er sofort erriet, daß etwas Ungewöhnliches geschehen sein mußte.
»Pst, Harry«, sagte sie. »Du mußt leise sprechen, sonst hören sie uns. Ein böser Mann kam her und will den kleinen Harry holen, weg von Mutter, hinaus in die Dunkelheit. Aber Mutter paßt auf. Siehst du, wir setzen die Mütze auf und ziehen das Mäntelchen an, dann laufen wir rasch zusammen fort, da kann der böse Mann uns nicht fangen.«
Bei diesen Worten hatte sie dem Kind den kleinen Anzug zugeknöpft, es auf den Arm genommen und ihm zugeflüstert, ganz still zu sein; dann öffnete sie die Tür zur Veranda und huschte geräuschlos hinaus.
Es war eine sternenklare, kalte Nacht; den Schal fest um das vor Schreck völlig erstarrte Kind geschlungen, schritt sie leise aus.
Da erhob sich knurrend der alte Bruno, ein großer Neufundländer, der am Ende der Veranda geschlafen und ihr Näherkommen gehört hatte. Sie rief leise seinen Namen, denn das Tier war ein alter Freund und Spielgefährte von ihr, er schlug sofort mit dem Schwanz und war bereit, ihr zu folgen, wenn er sich in seinem einfachen Hundeverstand auch wundern mochte, was dieser mitternächtliche Spaziergang bedeuten sollte.
Eine unklare Vorstellung, daß es nicht ganz passend und außerdem recht unklug sei, schien ihn zu beunruhigen, denn er hielt öfters inne, während Eliza vorauseilte, und blickte nachdenklich erst auf sie und dann zurück auf das schlafende Haus. Als hätten seine Überlegungen ihn beruhigt, trottete er dann hinter ihr her. Nach wenigen Minuten hielten sie an dem Fenster von Onkel Toms Hütte, und Eliza klopfte leise an die Fensterscheibe.
Die Andacht bei Onkel Tom hatte durch das Absingen der Choräle sich bis zur späten Stunde ausgedehnt. Da Onkel Tom sich hinterher noch in einigen langen Sologesängen ergangen hatte, waren sowohl er, obwohl die Zeiger schon zwischen 12 und 1 Uhr standen, wie seine würdige Eheliebste noch immer nicht im Bett.