Auf der Shelbyfarm herrschte eine frohe Geschäftigkeit an dem Tage, als man die Ankunft des jungen Herrn erwartete.
Mrs. Shelby saß in ihrem gemütlichen Wohnzimmer, wo ein munteres Feuer die Kühle des späten Herbstabends vertrieb. Der Abendbrottisch, blitzend von Silber und Kristall, war schon gedeckt; unsere alte Freundin, Tante Chloe, überwachte seine Anordnung.
Angetan mit einem neuen Kalikokleid, einer frischen, weißen Schürze und einem hohen, gutgestärkten Turban, erstrahlte ihr schwarzes, glänzendes Gesicht vor Zufriedenheit; mit unnötiger Gewissenhaftigkeit machte sie sich noch am Tisch zu schaffen, nur um einen Vorwand zu haben, noch ein wenig mit ihrer Herrin schwätzen zu können.
»Gott, nein, wird es ihm wohl so recht sein?« fragte sie. »Da–ich hab ihm seinen Teller genau dort hingesetzt, wo er es gern hat — neben das Feuer. Herr Georg sitzt immer gern warm. Ach, da soll doch — warum hat Sally nicht die beste Teekanne geholt — die kleine neue, die Herr Georg der gnädigen Frau zu Weihnachten schenkte? Ich werde sie holen. Und gnädige Frau bekam Nachricht von Herrn Georg?« setzte sie fragend hinzu.
»Ja, Chloe; aber nur eine Zeile, um zu melden, daß er heute abend heimkäme, wenn er könnte, mehr nicht.«
»Hat wohl nichts über meinen Alten geschrieben?« fragte Chloe und rieb noch an der Teetasse.
»Nein, gar nichts. Er schrieb nichts weiter, Chloe. Er wird alles erzählen, wenn er nach Hause kommt.«
»Ganz der junge Herr; hat immer drauf gebrannt, alles selber zu erzählen. Das hab' ich bei Herrn Georg immer bemerkt. Ich verstehe ja auch nicht, wie weiße Leute so viel schreiben können, wie sie gewöhnlich tun. — Schreiben ist so ein langsames Geschäft.«
Mrs. Shelby lächelte.
»Ich muß immer denken, mein Alter wird seine Söhne und die Kleine gar nicht wiedererkennen. Gott, was ist sie jetzt für ein großes Mädchen! Und wie lieb und fix ist Polly! Sie backt jetzt drüben im Haus den Biskuitkuchen. Er hat dieselbe Füllung, wie sie mein Alter so gern im Kuchen hat. Genau denselben hab' ich ihm damals vorgesetzt, als er morgens fortging. Gott behüte! Wie ist mir an dem Morgen zumute gewesen!«
Mrs. Shelby seufzte. Ein schweres Gewicht drückte bei dieser Erinnerung auf ihr Herz. Seitdem sie den Brief ihres Sohnes erhalten, verspürte sie eine Unruhe, als ob sich irgend etwas hinter dem Vorhang des Schweigens verberge, den ihr Sohn herabgelassen hatte.
»Gnädige Frau hat doch die Scheine?« fragte Chloe besorgt.
»Ja, Chloe.«
»Weil ich meinem Alten die Scheine zeigen möchte, die der >Per–ditor< mir gab. >Und Chloe<, hat er gesagt, >ich wünschte nur, du würdest länger hierbleiben.< >Vielen Dank, Herr<, habe ich gesagt. >Ich bliebe auch, aber mein Alter kommt jetzt heim, und die gnädige Frau schafft es nicht länger ohne mich.< Genau das hab' ich gesagt. Sehr netter Mann, der Mr. Jones.«
Chloe hatte hartnäckig darauf bestanden, daß dieselben Scheine, in denen man ihr den Lohn ausgezahlt hatte, aufgehoben werden sollten, um sie ihrem Mann zu zeigen, als eine Erinnerung an ihre Tüchtigkeit; und Mrs. Shelby war gern einverstanden gewesen, ihr diesen Wunsch zu erfüllen.
»Polly wird er nicht mehr kennen — mein Alter. Gott, es sind fünf Jahre her, seit sie ihn mitnahmen. Da war sie noch ein Baby–konnte gerade stehen. Ich weiß noch, wie er sich die Seiten hielt vor Lachen, weil sie immer hinpurzelte, wenn sie sich ans Laufen machte. Ach, du lieber Gott!«
Jetzt hörte man draußen Räderrollen.
»Herr Georg!« rief Tante Chloe und stürzte ans Fenster.
Mrs. Shelby lief zur Haustür, direkt in die Arme ihres Sohnes. Tante Chloe stand ängstlich am Fenster und sah sich in der Dunkelheit beinahe die Augen aus.
»Oh, du arme Tante Chloe!« rief Georg und blieb mitleidig stehen, mit beiden Händen ergriff er ihre harte, schwarze Hand. »Ich hätte gern mein ganzes Vermögen hingegeben, um ihn mitzubringen, aber er ist in ein besseres Land gegangen.«
Mrs. Shelby stieß einen leidenschaftlichen Schmerzensschrei aus, aber Tante Chloe sagte gar nichts.
Zusammen betraten sie das Eßzimmer. Da lag das Geld, auf das Chloe so stolz war, noch auf dem Tisch. »Hier«, sagte sie, es zusammenraffend, und hielt es ihrer Herrin mit zitternden Händen hin, »will nie wieder etwas davon sehen oder hören. Ich hab' gewußt, daß es so kommt — verkauft und ermordet — da unten auf den alten Plantagen!«
Chloe wandte sich ab und wollte stolz das Zimmer verlassen. Aber Mrs. Shelby folgte ihr sanft, nahm sie bei der Hand und zog sie auf einen Stuhl, dann setzte sie sich zu ihr.
»Meine arme gute Chloe!« sagte sie.
Da lehnte Chloe ihren Kopf an die Schulter ihrer Herrin und schluchzte auf. »Oh, gnädige Frau, verzeiht mir, mein Herz will brechen, weiter nichts!«
»Ich weiß«, sagte Mrs. Shelby, und ihre Tränen flossen; »und ich kann es nicht heilen, aber Jesus kann es. Er heilt die gebrochenen Herzen und verbindet ihre Wunden.«
Einige Zeit herrschte Schweigen. Schließlich setzte sich Georg neben die Trauernde, nahm ihre Hand und erzählte in schlichten Worten die ergreifende Sterbeszene ihres Mannes und seine letzte Botschaft der Liebe.
Ungefähr einen Monat später wurden eines Morgens alle Leute der Shelbyfarm in die große Halle zusammengerufen, die sich der Länge nach durch das Haus erstreckte, um eine kurze Mitteilung ihres jungen Herrn entgegenzunehmen.
Zur allgemeinen Überraschung erschien er unter ihnen mit einem Stoß Papieren, die für jeden einzelnen eine Freilassungsurkunde enthielten, die er nacheinander verlas und unter allgemeinem Schluchzen, Tränen und Zurufen an jeden verteilte.
Doch viele drängten sich um ihn und baten inständig, er möge sie nicht wegschicken, mit angstvollen Gesichtern reichten sie ihm ihre Freibriefe zurück.
»Wir wollen nicht freier sein als vorher. Wir haben immer alles gehabt, was wir brauchen. Wir wollen hier nicht fort und den Herrn und die gnädige Frau und alle verlassen.«
»Gute Freunde«, sagte Georg, sobald er sich Ruhe verschafft hatte. »Ihr braucht mich nicht zu verlassen. Das Gut braucht nach wie vor alle Hände zur Arbeit. Aber ihr seid jetzt freie Männer und freie Frauen. Ich werde eure Arbeit entlohnen, das machen wir noch ab. Der Vorteil liegt nur darin, daß ihr, falls ich in Schulden gerate oder sterbe — was geschehen kann -, jetzt nicht geholt und verkauft werden könnt. Ich beabsichtige, das Gut weiter zu führen, und dann sollt ihr bei mir lernen, was wohl einige Zeit dauert, wie ihr die Rechte gebrauchen sollt, die ich euch als freie Menschen einräume. Ich erwarte, daß ihr fleißig und willig lernt, und ich vertraue auf Gott, daß ich euch getreulich und bereitwillig unterweise. Jetzt aber, meine Freunde, blickt hinauf und dankt Gott für den Segen der Freiheit.«
Nun erhob sich ein bejahrter Negerpatriarch, der auf dem Gut grau und blind geworden war, hob seine zitternde Hand auf und sagte: »Laßt uns dem Herrgott Dank sagen.« Da sanken alle gleichzeitig auf die Knie, und nie ist ein rührenderes Tedeum zum Himmel gestiegen — sei es auf Orgelklängen, Glockengeläut oder Choralstimmen als jenes, das aus diesen ehrlichen Herzen drang.
»Und noch etwas«, sagte Georg und gebot den Dankesbezeugungen der Menge Einhalt. »Ihr kennt doch alle noch unsern guten, alten Onkel Tom?«
Georg gab ihnen eine kurze Schilderung seiner Todesstunde; er bestellte seine liebevollen Lebewohlgrüße an alle auf dem Gut und setzte hinzu:
»An seinem Grabe, meine Freunde, beschloß ich vor Gott, daß ich niemals wieder einen Sklaven besitzen will, wenn es mir möglich wäre, ihn freizulassen; niemand soll mehr durch mich der Gefahr ausgesetzt werden, von Heimat und Familie fortgerissen, auf einer einsamen Plantage zu sterben wie er. Wenn ihr also jetzt euch eurer Freiheit freut, vergeßt es nicht, daß ihr sie dieser treuen, alten Seele verdankt, und vergeltet es mit Freundlichkeit an seinem Weib und seinen Kindern. Denkt an eure Freiheit, jedesmal, wenn ihr an Onkel Toms Hütte vorbeikommt, und laßt sie zum Denkmal werden, damit ihr in seine Fußstapfen tretet und so ehrlich und treu seid und ebenso christlich, wie er es war.«