»Allmächtiger, was ist los?« Tante Chloe fuhr auf und nestelte eilig an den Vorhängen. »So wahr ich lebe, ist das nicht Lizzy? Rasch, zieh dich an, Alter, da ist ja auch der alte Bruno. Der Himmel bewahre mich. Ich will nur schnell die Türe öffnen.«
Kaum gesagt flog die Türe schon auf und das Licht der Talgkerze, die Tom rasch entzündet hatte, fiel auf das hohläugige Gesicht und die dunklen wilden Augen des Flüchtlings.
»Gott behüte — wie siehst du aus, Lizzy, du machst mir Angst. Bist du krank, ist was passiert?«
»Ich bin auf der Flucht — Onkel Tom, Tante Chloe -, ich trage mein Kind fort. Der gnädige Herr hat es verkauft.«
»Es verkauft?« echoten beide und hoben entsetzt die Hände.
»Ja, verkauft«, sagte Eliza fest. »Ich schlich heute abend in das Kabinett neben dem Schlafzimmer der gnädigen Frau und hörte, wie ihr der gnädige Herr erzählte, daß er meinen Harry und dich auch, Onkel Tom, an einen Händler verkauft hätte. Er will heute in der Frühe wegreiten, der Händler soll euch dann in Empfang nehmen.«
Während dieser Rede hatte Tom mit erhobenen Händen und weit geöffneten Augen wie im Traum dagestanden. Erst allmählich und langsam brach er, als ihm die Bedeutung klarwurde, auf seinem alten Stuhl zusammen und beugte den Kopf tief auf die Knie.
»Gott erbarme dich«, sagte Tante Chloe, »das kann unmöglich wahr sein. Was hat er getan, daß der gnädige Herr ihn verkaufen will?«
»Nichts hat er getan. Darum geht es nicht. Der gnädige Herr tut es nicht aus freien Stücken und die gnädige Frau — ach, sie ist die Güte selbst. Ich hörte, wie sie für uns bat und flehte. Aber er sagte, es nütze alles nichts. Er hat Schulden bei diesem Mann, und dieser Mann hat ihn in der Gewalt. Wenn er ihm nicht bar zahle, dann müsse er alles verkaufen, das Gut und alle Leute und auswandern. Ja, ich hörte, wie er sagte, er habe keine Wahl, entweder müsse er euch beide oder alle verkaufen, der Mann sei unerbittlich. Der gnädige Herr sagte, es sei ihm fürchtbar und erst die gnädige Frau — ihr hättet sie reden hören sollen! Wenn sie keine Christin und kein Engel ist, dann gibt es keine. Ich bin schlecht, daß ich sie so heimlich verlasse, aber ich kann ja nicht anders. Sie hat selbst gesagt, eine Seele ist mehr wert als die ganze Welt und dieses Kind hat eine lebendige Seele, wenn ich aber zulasse, daß sie ihn mir nehmen, was wird aus seiner Seele? Ich tue kein Unrecht, und wenn es doch eines wäre, dann soll Gott mir verzeihen, ich kann nicht anders.«
»Ach, Alter«, sagte Tante Chloe, »dann geh doch lieber mit. Willst du warten, bis sie dich flußabwärts verschachern, wo sie mit den Niggern kurzen Prozeß machen und sich alle zu Tode abschuften müssen? Tausendmal lieber sterben. Noch ist es Zeit, geh mit Lizzy! Nimm deinen Ausweis, damit kannst du doch kommen und gehen, wie du Lust hast, komm, beeile dich, ich packe deine Sachen.«
Tom hob langsam den Kopf, blickte sich traurig, aber ruhig um und sagte: »Nein, nein, ich gehe nicht. Eliza soll fliehen, das ist ihr gutes Recht. Ihr darf man nicht abreden, das wäre gegen die menschliche Natur. Aber du hast ja gehört, was sie sagte! Wenn ich nicht verkauft werde, fliegt das ganze hier auf. Also sollen sie mich verkaufen. Ich denke, ich tauge ganz gut dazu«, fügte er hinzu, während ein krampfhaftes Schluchzen seine breite haarige Brust erschütterte.
»Der gnädige Herr hat sich immer auf mich verlassen, ich habe sein Vertrauen nie enttäuscht und niemals meinen Ausweis mißbraucht. Dabei bleibe ich. Es ist besser, daß ich gehe, als daß die Farm aufgelöst und alles verkauft wird. Den Herrn trifft keine Schuld, Chloe, er wird sich um dich kümmern und um die armen Kleinen.«
Hier wandte er sich nach dem plumpen Rollbett um, wo die kleinen wolligen Köpfe sich drängten, und dann war es mit seiner Beherrschung vorbei. Er lehnte sich über die Stuhllehne und bedeckte sein Gesicht mit den großen Händen. Schweres, lautes und heiseres Schluchzen erschütterte den Stuhl, und große Tränen tropften durch seine Finger auf den Boden.
»Noch eins«, sagte Eliza unter der Tür, »ich sah meinen Mann heute nachmittag. Da hatte ich noch keine Ahnung von allem, was mir bevorstand. Sie machen ihm dort das Leben zur Hölle, er sagte mir heute, er hielte es nicht länger aus. Versucht doch, ihm Nachricht zu geben. Sagt ihm, daß ich fort sei und warum alles so gekommen. Sagt ihm, ich wolle versuchen, Kanada zu erreichen. Ich laß ihn tausendmal grüßen, und wenn ich ihn nicht wiedersehe…«, sie kehrte sich ab und drehte ihnen minutenlang den Rücken zu, um dann mit heiserer Stimme fortzufahren: »Er soll sich tapfer halten, damit wir uns einst im Himmelreich wiederfinden.«
Letzte Worte, letzte Tränen. Ein letzter Segen und ein schlichtes Lebewohl. Dann nahm sie das erschrockene Kind fest in die Arme und verschwand lautlos in der Dunkelheit.
6. Kapitel
Die Entdeckung
Das Ehepaar Shelby hatte nach der erregten Unterhaltung des letzten Abends erst spät zur Ruhe gefunden; am andern Morgen hatten daher beide länger als gewöhnlich geschlafen.
»Wo nur Eliza bleibt«, sagte Mrs. Shelby, nachdem sie mehrmals die Klingel gezogen. Mr. Shelby stand währenddessen vor seinem Ankleidespiegel und schärfte seine Rasierklinge, als sich die Tür öffnete und ein Negerknabe mit dem Rasierwasser eintrat.
»Andy«, sagte die Herrin, »geh doch an Elizas Tür und sage, ich hätte schon dreimal geklingelt. Armes Ding«, sprach sie seufzend vor sich hin.
Andy kam gleich zurück, beide Augen vor Staunen weit aufgerissen.
»O Gott, gnädige Frau! Lizzys Schubladen stehen alle offen, und ihre Sachen liegen verstreut am Boden. Ich glaube beinah, sie ist durchgegangen.«
Wie ein Blitz erfaßten beide Ehegatten die Wahrheit. Mr. Shelby rief aus: »Sie hat es gewußt! Sie ist entwischt!«
»Dem Himmel sei Dank!« sagte Mrs. Shelby, »hoffentlich ist sie fort.«
»Frau, was redest du! Ich komme in Teufels Küche, wenn sie nicht da ist. Haley hat wohl gemerkt, daß ich zögerte, ihm das Kind zu verkaufen. Er wird denken, ich bin im Komplott mit ihr, um ihn reinzulegen. Das geht mir gegen die Ehre!« Eilig stürzte er aus dem Zimmer.
Nun gab es ein allgemeines Laufen, Rufen und Türenschlagen. In der nächsten Viertelstunde tauchten überall schwarze Gesichter in jeder Tönung auf. Nur eine Person, die den Schleier hätte lüften können, verhielt sich völlig still; das war die Hauptköchin, Tante Chloe. Schweigend, das fröhliche Gesicht schwer umwölkt, fuhr sie fort, ihre Frühstücksbrötchen zu backen, als ob die Aufregung rings umher sie gar nichts anginge.
Es dauerte nicht lange, da hockten fast ein Dutzend Schlingel wie die Krähen auf dem Verandageländer, jeder einzelne entschlossen, dem fremden Herrn sein Mißgeschick als erster in die Ohren zu posaunen.
»Er wird vor Wut platzen, wette ich«, sagte Andy.
»Fluchen wird er«, meinte der kleine schwarze Jack.
»Ja, das kann er«, sagte die wollköpfige Mandy. »Ich habe es gestern beim Abendessen gehört. Alles habe ich gehört, denn ich war nebenan in dem Wandschrank, wo die Herrin die großen Krüge verwahrt, jedes Wort hörte ich.« Und Mandy, die ebensowenig wie eine schwarze Katze über ein aufgeschnapptes Wort nachzudenken pflegte, spreizte sich auf einmal wie ein Pfau und ging geschwollen umher, wobei es ihr ganz entfallen war, daß sie zwar zwischen den Krügen gehockt, dort aber die ganze Zeit wie ein Murmeltier geschlafen hatte.
Als Haley schließlich gestiefelt und gespornt zum Vorschein kam, schrie man ihm die Hiobsbotschaft von allen Seiten zu. Die schwarzen Racker hatten sich in ihren Erwartungen nicht getäuscht. Während sie nach allen Seiten auseinanderstoben, um seiner Reitpeitsche zu entgehen, hörten sie ihn laut fluchen, wobei er ein Feuer und eine Geläufigkeit entwickelte, die sie höchlichst entzückte. Durcheinanderpurzelnd stürzten sie mit unermeßlichem Gelächter auf den dürren Rasen unterhalb der Veranda, wo sie ihre Beine gen Himmel streckten und sich vor Vergnügen nicht zu lassen wußten.