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»Du hättest ihn sehen sollen, wie rasend er war, als ich das Pferd zurückbrachte.«

7. Kapitel

Der Kampf der Mutter

Kaum konnte man sich ein verlasseneres und hilfloseres Menschenkind vorstellen als Eliza, nachdem sie Onkel Toms Hütte den Rücken gekehrt hatte.

Ihr Mann in Verzweiflung und Not, ihr Kind in Gefahr, sie selber auf der Flucht, fort von dem einzigen Heim, das sie je gekannt, von der einzigen Freundin, die sie doch liebte und verehrte — dies alles verwirrte sich in ihrem Geist und gab ihr das betäubende Gefühl eines drohenden Wagnisses. Hinzu kam der Abschied von der vertrauten Umgebung, von der Heimat, in der sie aufgewachsen, von den Bäumen, unter denen sie gespielt, von den Sträuchern, unter denen sie in glücklichen Tagen mit dem Geliebten geweilt, alles sprach in der klaren frostigen Sternennacht eine beredte Sprache und schien sie vorwurfsvoll zu fragen, warum sie es im Stich lasse.

Aber stärker als jedes Gefühl war in ihr die Mutterliebe lebendig, welche die drohende Gefahr zum Wahnsinn steigerte. Das Kind war alt genug, um an ihrer Seite zu gehen, bei einer anderen Gelegenheit hätte sie es an der Hand geführt. Aber jetzt erbebte sie bei dem bloßen Gedanken, den Knaben aus ihren Armen zu lassen. Krampfhaft drückte sie ihn gegen ihre Brust, als sie eilends dahinschritt.

Der gefrorene Boden knirschte unter ihrem Tritt, ein Geräusch, das sie erzittern ließ. Bei jedem raschelnden Blatt, jedem gleitenden Schatten erstarrte ihr das Blut in den Adern, sie beschleunigte ihre Schritte. Sie wunderte sich selbst über die Kräfte, über die sie plötzlich verfügte; denn das Gewicht des Kindes erschien ihr federleicht.

Bei jedem Schauder der Furcht aber spürte sie ihre Kräfte wachsen und von ihren bleichen Lippen ertönte unaufhörlich das Gebet an den Vater über den Sternen: O Herr, hilf mir!

Das Kind war eingeschlafen. Zuerst hatte ihn noch das Ungewohnte und die Angst wachgehalten. Aber seine Mutter hatte angestrengt jeden Hauch und jedes Geräusch unterdrückt und ihm so bestimmt erklärt, wenn er nur still wäre, dann würde sie ihn retten, daß er sich vertrauensvoll an ihren Hals schmiegte und nur vor dem Einschlafen noch fragte:

»Mutter, nicht wahr, ich brauche nicht wach zu bleiben?«

»Nein, mein Herzblatt. Schlafe, wenn du kannst.«

»Aber Mutter, wenn ich einschlafe, kann man mich dann holen?«

»Nein, da sei Gott vor«, sagte seine Mutter mit erblassenden Wangen und einem hellen Feuer in ihren großen dunklen Augen.

»Weißt du das ganz genau, Mutter?«

»Ja, mein Herz, ganz genau«, sagte Eliza mit einer Stimme, vor der sie selbst erschrak. Sie schien ihr von einem Geist her zu rühren, an dem sie keinen Teil hatte. Das Kind aber ließ sein müdes Köpfchen auf ihre Schulter fallen und war bald fest eingeschlafen. Das Gefühl seiner warmen Ärmchen, der sanfte Atem an ihrem Hals, jede Bewegung des so vertrauensvoll schlafenden Kindes schien ihre Schritte zu beflügeln. Wie ein elektrischer Strom durchdrang sie immer neue Kraft. So gewaltig ist die Herrschaft des Geistes über den Körper, daß eine Zeitlang Körper und Nerven unempfindlich, die Sehnen von Stahl und die Kräfte der Schwachen übermenschlich werden.

Die Grenzen der Farm, die Sträucher, der Wald flogen wie im Traum an ihr vorbei, als sie vorwärts schritt. Und immer weiter ging sie und ließ alle bekannten Dinge hinter sich, ohne Pause, ohne Rast, bis die Morgenröte sie manche Meile von der Heimat entfernt auf der offenen Landstraße traf.

Sie war mit ihrer Herrin häufig bei einigen Bekannten in dem kleinen Dorfe T., nicht weit vom Fluß Ohio zu Besuch gewesen, daher kannte sie die Straße. Dorthin zu fliehen und sich über den Strom zu retten waren die ersten Phasen ihres Fluchtplanes gewesen. Alles weitere konnte sie nur Gott befehlen.

Als Pferde und Wagen langsam die Straße belebten, wurde sie bald mit unerträglichem Instinkt, wie ihn die Erregung verleiht und der einer inneren Eingebung entspricht, gewahr, daß ihre überstürzte Eile und ihr verstörtes Wesen Aufsehen und Verdacht erregen könnte. Daher setzte sie den Knaben nieder, ordnete ihre Kleider und ging nun so rasch weiter, wie sie meinte, gehen zu können, ohne Aufsehen zu erregen. Ihr kleines Bündel enthielt auch einen geringen Vorrat an Kuchen und Äpfeln, damit wußte sie das Kind zur Eile anzuspornen. Sie kollerte nämlich einen Apfel auf der Straße entlang, so daß das Kind aus Leibeskräften hinterherrannte, diese oft wiederholte List brachte sie manche halbe Meile weiter.

Nach einer Weile erreichten sie ein Gehölz, durch welches murmelnd ein klarer Bach floß. Da das Kind über Hunger und Durst klagte, kletterte sie mit ihm über den Zaun und ließ sich hinter einem großen Felsen, der sie den Blicken der Vorübergehenden verbarg, in weichem Grase nieder und gab ihm ein kleines Frühstück. Das Kind war verwundert und betrübt, daß sie nicht essen wollte; als es seine Ärmchen um sie schlang und ihr ein Stückchen Kuchen in den Mund zu schieben suchte, war ihr, als müsse sie ersticken.

»Nein, nein, mein Herz. Mutter kann nicht essen, solange du nicht in Sicherheit bist. Wir müssen weiter, immer weiter, bis wir den Fluß erreichen.« Und sie drängte zur Straße zurück und bemühte sich, ruhig und gleichmäßig weiterzueilen.

Die Umgegend, in der sie noch persönlich bekannt war, lag nun schon manche Meile hinter ihr. Wenn sie zufällig noch einem Bekannten begegnen sollte, überlegte sie, war die allgemein bekannte Freundlichkeit ihrer Herrschaft Schutz genug, den Verdacht von ihr fernzuhalten, daß sie sich auf der Flucht befände. Außerdem war sie von so heller Hautfarbe, daß nur ein scharfer, kritischer Blick ihre Negerabstammung entdeckt hätte, auch ihr Kind war weiß, das erleichterte es ihr ungemein, unbehelligt ihre Straße zu ziehen.

Daher getraute sie sich auch, bei einem sauberen Farmerhaus Rast zu machen und sich und dem Kinde etwas zu essen zu kaufen. Als die Gefahr sich mit der Entfernung verringerte, löste sich die Spannung ihrer Nerven, und sie begann Hunger und Müdigkeit zu spüren.

Die gute Farmersfrau, eine freundliche, redselige Person, schien sehr erfreut, daß ihr jemand ins Haus schneite, mit dem sie sich unterhalten konnte; ohne weiteres glaubte sie Eliza, daß sie unterwegs sei, um Freunde zu besuchen. Wie sehr hoffte sie im stillen, daß sich dies als richtig erweisen möchte.

Eine Stunde vor Sonnenuntergang erreichte sie das Dorf T. am Ohio, sie hatte wunde Füße und war todmüde, aber ungebrochen im Geist. Ihr erster Blick galt dem Fluß, der wie der Jordan zwischen ihr und dem gelobten Lande der Freiheit dahinströmte.

Es war im Vorfrühling, und der Fluß führte schweres Hochwasser. Große Eisschollen schwammen träge in den trüben Gewässern. Dank der eigentümlich gebogenen Uferlinie auf der Kentuckyseite hatte sich das Eis in großen Mengen aufgetürmt, der schmale Kanal aber, der die Biegung umfloß, brachte neues Eis heran, das sich in hohen Schollen lagerte und zeitweilig ein großes, schwankendes Floß bildete, das die ganze Breite des Flusses ausfüllte und sich bis zum gegenüberliegenden Ufer erstreckte.

Eliza stand einen Augenblick und betrachtete mit Sorgen die ungünstige Lage, denn sie entdeckte sofort, daß hier das gewöhnliche Fährboot nicht übersetzen konnte. Sie wandte sich an ein kleines Wirtshaus, um dort Erkundigungen einzuziehen.

Die Wirtin stand am Feuer und schmorte und briet das Abendessen in vielerlei Töpfen. Mit der Gabel in der Hand blickte sie auf, als Elizas sanfte und fragende Stimme an ihr Ohr schlug.