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»Welche Sünde, Emily? Du hast doch selber zugegeben, daß wir nicht anders handeln konnten.«

»Dennoch bleibt das nagende Gefühl der Schuld«, sagte Mrs. Shelby. »Das läßt sich nicht mit Vernunftgründen vertreiben.«

»Hier, Andy, du Nigger, schlaf nicht ein«, rief Sam unter der Veranda. »Führ die Pferde in den Stall. Hörst du nicht, daß der gnädige Herr mich gerufen hat?«

Und Sam erschien alsbald mit seinem Palmblatthut in der Hand in der Wohnzimmertür.

»Nun, Sam, erzähle mal genau, was sich zugetragen hat«, sagte Mr. Shelby. »Weißt du, wo Eliza ist?«

»Aber ja, Herr, ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie sie über die Eisschollen sprang. Es war einfach wunderbar. Es war ein Wunder, das war es. Und ich sah, wie ein Mann ihr drüben auf der Ohioseite an Land half, dann war sie in der Dunkelheit verschwunden.«

»Sam, dies Wunder kommt mir etwas merkwürdig vor. Über treibende Eisschollen zu springen ist keine Kleinigkeit«, sagte Mr. Shel–by.

»Eine Kleinigkeit? O Gott bewahre! Ohne den Herrgott wäre es nicht gegangen. Hört nur, wie es zuging! Mr. Haley und Andy und ich kommen an das kleine Gasthaus am Fluß, und ich reite ein Stück voraus (Ich brannte wahrscheinlich darauf, Lizzy zu fangen–deshalb), und am Gasthausfenster, da stand sie doch wahrhaftig, in Lebensgröße, und die anderen mir auf den Fersen. Na, ich meinen Hut verloren und losgeschrien, als ob ich Tote auferstehen lassen wollte. Lizzy hat mich natürlich gehört und zuckte zurück, als Mr. Haley an der Tür vorbeibraust, und dann stürzt sie aus der Seitentür hinunter zum Fluß. Mr. Haley sieht sie, brüllt los und er und ich und Andy hinterher. Sie kommt zum Fluß, da fließt das offene Wasser, zehn Fuß breit, und dahinter türmen sich die Eisschollen und schwanken und schaukeln wie eine große Insel. Wir kommen dicht hinterher, und bei meiner Seele, ich dachte, jetzt hat er sie. Da schreit sie los, wie ich es noch nie gehört habe, und ist auf einmal auf der anderen Seite der Strömung auf dem Eis, und von da ging es weiter, sie schrie und sprang. Das Eis krachte, plumps und platsch und plauds, und sie sprang wie eine Geiß. Es war nicht von Pappe. Der Himmel ist mein Zeuge.«

Mrs. Shelby hörte atemlos zu. Sie war bleich vor Erregung.

»Gott sei Lob, sie lebt«, sagte sie. »Aber wo ist das arme Kind jetzt?«

»Der Herr wird sie begleiten«, sprach Sam und verdrehte fromm die Augen. »Wie ich schon sagte, das war die Vorsehung. Ihr habt es uns gelehrt. Der Herrgott hat immer ein Werkzeug zur Hand. Wenn ich heute nicht gewesen wäre, hätte man sie längst gefangen. War ich es nicht, der die Pferde aufscheuchte und sie nicht vor dem Mittagessen wieder einfing? Habe ich nicht Mr. Haley heute abend in die Irre geführt? Sonst hätte er Lizzy eingefangen, so leicht wie der Hund den Bären. Das nenne ich alles Vorsehung.«

»Mit dieser Vorsehung, bitte ich mir aus, recht vorsichtig umzugehen, mein Junge. Solche Freiheiten gegen meine Gäste darf sich keiner herausnehmen«, sagte Mr. Shelby strengen Tones, soweit ihm die Strenge zu Gebote stand.

Aber bei einem Neger ist es nicht anders als bei einem Kind. Man kann ihm nicht weismachen, man sei böse, wenn man es gar nicht ist. Instinktiv durchschauen sie alle Verstellungen. Daher nahm sich Sam den Vorwurf in keiner Weise zu Herzen, wenn er auch eine Armesündermiene aufsetzte und seine Mundwinkel sich bedenklich senkten.

»Der gnädige Herr hat recht, sehr recht. Es war garstig von mir, das läßt sich nicht bestreiten. Der gnädige Herr und die gnädige Frau dürfen solche Dinge nicht erlauben; ich sehe es ja ein. Aber so ein armer Nigger ist manchmal versucht auszuschlagen, wenn so einer wie Mr. Haley solche Töne anschlägt. Er ist gewiß kein feiner Mann. Bei meiner Erziehung erkenne ich das sofort.«

»Na, Sam«, sagte Mrs. Shelby, »dann scheinst du dein Vergehen ja einzusehen. Nun geh, und sage Tante Chloe, sie möchte dir etwas von dem kalten Schinken geben, der vom Abendessen übrigblieb, dir und Andy. Ihr müßt ja Hunger haben.«

»Die gnädige Frau ist gütig«, sagte Sam, sich eilfertig verbeugend.

Zweifellos besaß Sam — wie wir schon früher darlegten — ein angeborenes Talent, das ihm in einer politischen Laufbahn zu großem Ansehen verhelfen würde, aus allen Ereignissen etwas herauszuschlagen, nämlich alles zu seinem eigenen Ruhm auszuwerten. Nachdem er seine Frömmigkeit und Bescheidenheit zur allgemeinen Zufriedenheit in der Wohnstube hatte spielen lassen, stülpte er sich jetzt elegant und großspurig seinen Palmenblatthut auf den Kopf und begab sich in das untere Stockwerk, um dort eine recht flotte Rolle zu spielen.

»Ich werde es den Niggers einmal zeigen«, sprach Sam zu sich selber. »Die Gelegenheit kommt nicht wieder. Staunen sollen sie!«

Wir müssen hier einflechten, daß es immer zu Sams besonderen Vergnügen gehört hatte, seinen Herrn auf alle möglichen politischen Versammlungen zu begleiten, wo er, auf einem Eisengitter balancierend oder auf einem Baum versteckt, den Rednern hingerissen zuzuhören pflegte. Wenn er dann unter seinen zahlreichen Brüdern der eigenen Hautfarbe, die sich alle zum selben Zweck eingefunden hatten, auftauchte, pflegte er sie mit den komischen Sprüngen und Nachahmungen, die er alle mit todernstem Gesicht und feierlichster Miene zum besten gab, auf das Ausgiebigste zu erheitern. Die meisten seiner Zuhörer waren Schwarze, aber zuweilen geschah es, daß sich auch hellhäutige Zuschauer einfanden, die zuhörten, lachten und Beifall klatschten, was Sam mit riesiger Genugtuung erfüllte. Tatsächlich betrachtete Sam sich zum Redner geboren und ließ sich keine Gelegenheit entgehen, mit seinen Gaben zu prunken.

Nun hatte zwischen Sam und Tante Chloe seit uralten Zeiten immer eine Feindschaft bestanden oder, besser, eine betonte Kühle; aber da Sam eine Unterlage aus der Speisekammer für den nötigsten Grundstein seines Vorhabens ansah, beschloß er, in seiner gegenwärtigen Lage besonders liebenswürdig zu sein. Denn er wußte genau, >Befehle der gnädigen Frau< wurden zwar buchstabengetreu ausgeführt, aber besser war es, sie wurden darüber hinaus ihrem Sinn nach treulich befolgt. Deshalb erschien er vor Tante Chloe mit einem rührend unterwürfigen und ergebenen Gesicht, wie einer, der zugunsten eines verfolgten Kameraden unsägliche Mühsal auf sich genommen hat — vergrößert durch den Umstand, daß die gnädige Frau ihn geschickt hatte, sein gestörtes Gleichgewicht bei Tante Chloe durch Speis und Trank wieder herstellen zu lassen. So erkannte er widerspruchslos ihre Rechte und Überlegenheit im Küchenreich und über alle Dinge an, die dort zu holen waren.

Die Sache machte sich wie geschmiert. Kein armer, schlichter und tugendhafter Staatsbürger fiel leichter auf die Schliche eines um Wahlstimmen werbenden Politikers herein als Tante Chloe auf Meister Sams wortreiche Schmeichelei. Und wäre er der verlorene Sohn in Person gewesen, keine mütterliche Güte hätte größer sein können als die ihre. Da saß er also, glücklich und stolz, und vor ihm dampfte in einer großen Eisenpfanne die Speisenfolge von mindestens drei Tagen. Leckere Stücke Schinken, goldgelbe Brocken Maiskuchen, Überbleibsel sämtlicher Pasteten, Geflügelkuchen, Hälse und Beine, das alles war malerisch und bunt durcheinandergemengt, und Sam war König dieser Pfanne. Den Hut keck auf die Seite geschoben, saß er auf seinem Stuhl, schmauste und zeigte gegen Andy eine würdevolle Herablassung. Die Küche war bevölkert mit dunkelhäutigen Insassen der verschiedenen Hütten, die alle herbeigekommen waren, das Ende der Tagesereignisse mit–anzuhören. Sams große Stunde war gekommen. Die Geschichte des Tages wurde wiederholt und mit allem möglichen Schmuck, der ihre Wirkung erhöhen könnte, ausgestattet, aufgebügelt und frisch lackiert. Denn Sam ließ keine Gelegenheit verstreichen, eine Geschichte in vollem Glanz aufleuchten zu lassen. Stürmisches Gelächter unterbrach seine Erzählung und wurde von dem kleinen Gemüse eifrig aufgenommen und zurückgegeben, das sich in allen Ecken auf dem Boden herumkugelte. Auf der Höhe des allgemeinen Beifalls und Gelächters bewahrte Sam aber stets einen unverbrüchlichen Ernst; nur zuweilen verdrehte er die Augen und warf seinen Zuhörern anzügliche Blicke zu, ohne im geringsten den salbungsvollen Ton seiner Rede zu ändern.