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»Ich kann euch sagen«, versicherte Jung Bill, wenn die Rede darauf kam, »damals bekam ich einen tödlichen Schrecken. Wie eine Wilde ging Mutter auf uns los, wir bekamen unsere Prügel und wurden ohne Abendbrot zu Bett geschickt, daß uns Hören und Sehen verging. Und hinterher hörte ich, wie Mutter an der Tür weinte, das war das Allerschlimmste. Aber ich kann euch sagen, keiner von uns Knaben hat es jemals wieder getan.«

Jetzt erhob sich Mrs. Bird unverzüglich und ging entschlossen mit flammenden Wangen, die ihr allerliebst standen, auf ihren Ehegemahl zu und sprach mit Nachdruck:

»Sage mir, John, findest du ein solches Gesetz richtig und christlich?«

»Erschieß mich nicht, Mary, wenn ich sage: ja!«

»Das hätte ich nie von dir gedacht, John. Du hast doch nicht dafür gestimmt?«

»Sogar das, mein hübsches Frauchen.«

»Du solltest dich schämen, John! Diese armen Heimatlosen und Vertriebenen! Es ist ein schändliches, gottloses Gesetz, und ich werde es bei der ersten Gelegenheit brechen, hoffentlich bietet sich bald eine! Es ist weit mit uns gekommen, wenn eine Frau darbenden Flüchtlingen nicht mehr eine warme Mahlzeit oder ein Bett abtreten kann, nur weil es Sklaven sind, die ihr Leben lang mißbraucht und unterdrückt wurden.«

»Aber Mary, nun hör doch einmal zu. Dein Gefühl in Ehren, ich liebe dich deshalb, aber, Liebste, man muß doch die Dinge auch mit dem Verstand betrachten. Es geht hier nicht um unsere Privatgefühle, es handelt sich um Allgemeininteressen, es herrscht bereits eine allgemeine Aufregung, da müssen unsere Privatgefühle zurückstehen.«

»Ach, John, ich verstehe nichts von Politik, aber meine Bibel kann ich lesen, und da heißt es, daß ich die Hungrigen speisen, die Nackten kleiden und die Traurigen trösten soll. Und dieser Bibel will ich folgen.«

»Aber für den Fall, daß daraus der Allgemeinheit ein großer Schaden entsteht.«

»Gott gehorchen bringt niemals öffentlichen Schaden. Das weiß ich zu gut. Am Ende ist es immer das sicherste, seinen Willen zu tun.«

»Hör doch mal zu, Mary, ich kann dir klipp und klar beweisen …«

»Ach Unsinn, John. Nichts kannst du, und wenn du die ganze Nacht redest. Gesetzt den Fall, so ein armes verfolgtes Geschöpf klopfte an unsere Tür, könntest du es abweisen, nur weil es entflohen ist? Könntest du das?«

Nun hat unser Senator, um die Wahrheit zu gestehen, das persönliche Pech, ein Mann von besonders humaner und nachgiebiger Gemütsart zu sein. Jemanden abzuweisen, der in Not war, gehörte nicht zu seiner Stärke. Das Schlimme in seiner Lage aber war, daß seine Frau das wußte und ihn natürlich deshalb so gewissenlos in die Enge trieb.

Er nahm daher Zuflucht zu den üblichen Mitteln, Zeit zu gewinnen: er räusperte sich umständlich, holte sein Taschentuch hervor und putzte seine Brillengläser.

Mrs. Bird brauchte bloß den wehrlosen Zustand ihres Gegners zu sehen, um ihn gebührend auszunutzen:

»Ich möchte dich ja dabei sehen, John, wahrhaftig! wie du eine Frau im Schneesturm von deiner Tür jagst, oder nimmst du sie am Ende fest und lieferst sie dem Gefängnis ab? Du würdest eine prächtige Figur dabei abgeben.«

»Es wäre natürlich eine sehr schmerzliche Pflicht«, begann Mr. Bird in gemäßigtem Ton.

»Pflicht, John! Nimm das Wort nicht in den Mund. Du weißt, daß es keine Pflicht ist, daß es keine sein kann. Wenn die Leute ihre Sklaven am Weglaufen hindern wollen, sollen sie sie besser behandeln, das ist meine Ansicht. Wenn ich Sklaven hätte (was ich im Ernst nicht hoffe), würde ich es darauf ankommen lassen, ob sie uns davonliefen. Keiner läuft davon, wenn er sich wohlfühlt. Wer aber flieht, der leidet genug an Hunger und Kälte und tödlicher Angst, ohne daß auch noch wir ihm den Rücken zu drehen brauchen, John. Gesetz oder kein Gesetz, ich werde es nie tun, so wahr mir Gott helfe.«

»Mary! Mary! Liebste, nimm doch Vernunft an!«

»Ich hasse die Vernunft, John, besonders bei diesem Gegenstand. Ihr Politiker habt eine Art, eine einfache klare Sache in ihr Gegenteil zu verkehren, dabei glaubt ihr selber nicht daran. Ich kenne dich doch, John. Du hältst dies Ganze auch nicht für richtig, und du würdest es ebensowenig tun wie ich.«

An diesem kritischen Punkt steckte der alte Cudjoe, das schwarze Faktotum, seinen Kopf durch den Türspalt und bat die gnädige Frau in die Küche. Der Senator, sichtlich erleichtert, sah seiner kleinen Frau halb amüsiert und halb betroffen nach; dann lehnte er sich in seinen Lehnstuhl zurück und vertiefte sich in seiner Zeitung.

Kurz darauf hörte man an der Tür die Stimme seiner Frau in dringlichem Ton: »John! John! Bitte komm gleich mal her!«

Er legte seine Zeitung weg und begab sich in die Küche und fuhr betroffen zurück vor dem unerwarteten Anblick — da lag in tödlicher Ohnmacht auf zwei Stühlen ein junges, schlankes Weib in zerrissenen und vereisten Kleidern mit nur einem Schuh und an dem blutenden Fuß einem zerrissenen Strumpf. Auf ihrem Gesicht, das eine leidvolle Schönheit zeigte, trug sie zwar den Stempel ihrer verabscheuten Rasse, aber niemand konnte sich bei dem Anblick ihrer maskenhaft erstarrten Züge eines heißen Erbarmens erwehren. Er hielt den Atem an und sah schweigend zu. Seine Frau und ihr einziges farbiges Hausmädchen, die alte Tante Dinah, machten eifrige Wiederbelebungsversuche, während der alte Cudjoe den Knaben auf seine Knie genommen hatte, ihm Schuhe und Strümpfe auszog und behutsam die kalten Füßchen rieb.

»Sie könnte wahrhaftig einen Stein erbarmen«, sagte die alte Dinah mitleidig. »Es war wahrscheinlich die plötzliche Hitze, da ist sie ohnmächtig geworden. Sie war noch ganz munter, als sie eintrat und fragte, ob sie sich nicht einen Augenblick wärmen könne, und ich fragte sie gerade, wo sie herkäme, da fiel sie um. Hat nie viel harte Arbeit getan, nach ihren Händchen zu urteilen.«

»Armes Geschöpf«, sagte Mrs. Bird mitleidig, als das junge Weib seine großen, dunklen Augen aufschlug und sie verloren anblickte. Plötzlich fuhr ein Ausdruck des Schreckens über ihre Züge, sie sprang auf und rief: »Oh, mein Harry! Haben sie ihn geholt?«

Bei diesen Worten sprang das Kind von Cudjoes Knien, lief hin zu ihr und streckte seine Ärmchen aus. »Oh, da ist er!« rief sie glücklich.

»O Madam«, sagte sie, sich leidenschaftlich an Mrs. Bird wendend, »beschützen Sie uns! Dulden Sie nicht, daß man ihn mir wegnimmt!«

»Niemand tut euch hier etwas zuleide«, sagte Mrs. Bird ermutigend, »hier seid ihr sicher, fürchtet euch nicht.« »Gott segne Euch«, sagte das arme Weib und bedeckte schluchzend ihr Gesicht, der kleine Junge sah ihre Tränen und strebte sofort auf ihren Schoß.

Nach manchen sanften und weiblichen Diensten, die ihr niemand besser als Mrs. Bird erweisen konnte, beruhigte sich die verlassene Frau ein wenig. Man rüstete ihr ein Lager in der Nähe des Feuers, wo sie nach kurzer Zeit in einen schweren Schlummer fiel, während das Kind, nicht weniger erschöpft, fest in ihren Armen schlief, denn seine Mutter hatte in ihrer furchtbaren Angst alle die freundlichen Angebote abgeschlagen, ihn von sich zu lassen, so daß sie ihn noch im Schlafe fest umschlungen hielt, damit ihn niemand ihrer Obhut entreiße.

Mr. und Mrs. Bird waren ins Wohnzimmer zurückgekehrt, wo niemand, so merkwürdig es klingt, auf das unterbrochene Gespräch zurückkam. Mrs. Bird nahm vielmehr emsig ihr Strickzeug auf, und Mr. Bird tat, als lese er die Zeitung.

»Ich möchte nur wissen, wer sie ist und woher sie kommt«, sagte Mr. Bird schließlich, seine Lektüre aufgebend.

»Wenn sie aufwacht und ein bißchen zu Kräften kommt, werden wir es ja hören«, erwiderte Mrs. Bird.

»Hör einmal, liebe Frau«, sagte Mr. Bird, nachdem er eine Weile seinen Gedanken nachgehangen.