10. Kapitel
Das Eigentum wird abgeholt
Grau und regnerisch blickte der Februarmorgen durch das Fenster von Onkel Toms Hütte. Dort waren nur betrübte Gesichter und verweinte Augen zu sehen. Der Tisch stand vor dem Feuer, bedeckt mit einer Plättunterlage, einige grobe, aber blütenreine Hemden hingen frisch geplättet über der Stuhllehne, während Tante Chloe ein drittes vor sich auf dem Tisch ausgebreitet hatte. Sorgfältig plättete sie jeden Saum und jede Falte und hob nur dann und wann die Hand, um eine Träne abzuwischen, die ihr die Backe hinunterlief. Tom saß daneben, das Neue Testament lag offen auf seinen Knien, den Kopf hatte er auf die Hand gestützt — aber keiner von beiden sprach. Es war noch früh am Morgen, und die Kinder lagen schlafend zusammengerollt auf ihrem groben Rollbett. Tom, der das weiche Herz und den starken Familiensinn seiner unglücklichen Rasse besaß, stand auf und ging schweigend hin, um sie sich anzusehen.
»Zum letztenmal«, sagte er.
Tante Chloe antwortete nicht, sondern fuhr wieder und wieder über das grobe Hemd, bis es so glatt war, wie es nur Frauenhände glätten können; schließlich setzte sie das Eisen mit jähem Ruck nieder, nahm am Tisch Platz und schluchzte laut.
»Ich weiß, wir müssen uns in unser Schicksal fügen, aber o Gott, wie könnte ich das! Wenn ich nur wüßte, wo sie dich hinschaffen und wie sie dich behandeln werden! Die Herrin will dich ja in ein, zwei Jahren einlösen, aber du lieber Gott, niemand kehrt zurück, der da hinunterfährt! Sie bringen sie alle um! Ich habe gehört, sie müssen sich auf den Plantagen zu Tode schuften.«
»Es waltet dort derselbe Gott wie hier, Chloe.«
»Ach«, sagte Tante Chloe, »das mag schon sein. Aber der Herrgott läßt zuweilen schreckliche Geschichten geschehen.«
»Ich steh in Gottes Hand«, antwortete Tom. »Mir kann nichts widerfahren, was gegen seinen Willen ist. Und für eines bin ich jetzt schon dankbar, daß ich es bin, der verkauft wird, und nicht du oder die Kinder; hier seid ihr sicher, was geschieht, geschieht nur mir, und der Herrgott wird mir beistehen, das weiß ich!«
Tom sprach mit belegter Stimme, seine Kehle war wie zusammengeschnürt, aber er sprach tapfer und besonnen.
»Laß uns an Gottes Gnade denken«, fügte er zitternd hinzu, in der richtigen Erkenntnis, daß sie es nötig hätten, gar sehr daran zu denken.
»Gnade! Ich sehe dabei keine Gnade. Es ist nicht recht, es ist nicht recht, daß man das zuläßt. Der Herr hätte es nicht so weit kommen lassen dürfen, daß du nun seine Schulden decken mußt. Du hast ihm schon zweimal so viel eingebracht, wie er jetzt für dich ausgezahlt bekommt. Deine Freiheit schuldet er dir — schon seit Jahren solltest du sie kriegen. Mag ja sein, daß er jetzt nicht anders kann, aber Unrecht bleibt es doch. Das können sie mir nicht ausprügeln. Immer bist du ihm treu gewesen, und hast seine Geschäfte vor deinen eigenen besorgt. Immer kam er zuerst und dann erst kamen dein Weib und deine Kinder. Die ihre Schulden mit Herzblut tilgen, soll der Herrgott strafen!«
»Chloe, komm, sei still. Wenn du mich liebst, mußt du nicht so reden. Es ist vielleicht das letztemal, daß wir zusammensitzen. Du weißt doch, Chloe, ich mag nicht, wenn du ein Wort gegen den gnädigen Herrn sagst. Hat man mir ihn nicht als Baby in den Arm gelegt? Kein Wunder, daß er mir ans Herz gewachsen ist! Von ihm kann man nicht verlangen, daß er auf den armen Tom große Rücksicht nimmt. Daran ist kein Herr gewöhnt. Wenn du ihn mit anderen vergleichst, wer hat eine so gute Behandlung und ein so gutes Leben wie ich? Und er hätte mir dieses Los erspart, wenn er nur gekonnt hätte. Das weiß ich felsenfest.«
»Das mag ja sein, aber Unrecht bleibt es doch«, sagte Tante Chloe hartnäckig, deren Gerechtigkeitssinn sehr ausgeprägt war. »Ich weiß nicht genau wieso, aber daß es Unrecht ist, das fühle ich.«
»Du mußt auf den lieben Gott vertrauen. Er ist dein Herr. Ohne ihn fällt kein Sperling vom Dach.«
»Das gibt mir keinen Trost, aber das kann an mir liegen«, erwiderte Tante Chloe. »Aber was hilft alles Reden, ich werde jetzt den Maiskuchen anrühren und dir ein gutes Frühstück richten. Wer weiß, ob du je wieder eines bekommst.«
Bald dampfte die einfache Morgenmahlzeit auf dem Tisch, denn Mrs. Shelby hatte Tante Chloe eigens den Vormittag im Herrschaftshause entschuldigt. Nun hatte die arme Seele alle Liebe auf dieses Abschiedsmahl verwandt, das beste Huhn war geschlachtet und gebraten worden, der Maiskuchen war herrlich gelungen und entsprach dem Geschmack ihres Mannes, schließlich wurden noch einige geheimnisvolle Töpfe vom Kaminsims heruntergeholt, Leckereien, die nur zu besonders festlichen Gelegenheiten auf den Tisch kamen.
»Mensch, Peter«, sagte Mose freudestrahlend, »heute kriegen wir aber ein Mordsfrühstück!« Dabei griff er fröhlich nach einem Stückchen Huhn.
Tante Chloe gab ihm eine schallende Ohrfeige: »Da hast du's! Schreit hurra beim letzten Frühstück, das sein Vater mit uns teilt.«
»Aber Chloe!« sagte Tom mit sanftem Vorwurf.
»Ach, es tut mir leid«, antwortete Tante Chloe und barg ihr Gesicht in der Schürze. »Ich bin ganz durcheinander, da geht es mit mir durch.«
Die Knaben standen ganz still und blickten erst ihren Vater und dann ihre Mutter an, während sich das Baby an ihre Röcke klammerte und gebieterisch zu schreien begann.
»So!« sagte Tante Chloe, wischte sich die Augen und nahm das Kleine auf den Schoß. »Jetzt nehme ich mich zusammen. Nun eßt mal etwas. Es ist doch unser bestes Huhn. Da, Jungens, ihr sollt auch etwas haben, ihr armen Schlingel. Die Mami war böse mit euch.«
Die Knaben warteten keine zweite Einladung ab, sondern fielen mit großem Appetit über die Herrlichkeiten her, das war ein rechtes Glück, sonst wurde ihnen nicht viel Ehre angetan.
»Und jetzt«, sagte Tante Chloe, geschäftig das Geschirr zusammenräumend, »jetzt muß ich deine Kleider einpacken. Es hat ja nicht viel wert, denn er nimmt sie dir todsicher weg, ich kenne die Brüder, ekelhaft sind sie. Also, hier sind die Flanelljacken für den Rheumatismus, achte gut auf sie, du wirst so bald keine neuen kriegen. Da sind deine neuen Hemden und hier die alten. Diese Strümpfe habe ich gestern abend frisch angestrickt und das Knäuel als Stopfgarn dazugelegt, ach, lieber Gott, wer wird sie dir stopfen?« Tante Chloe wurde aufs neue vom Kummer überwältigt, sie lehnte ihren Kopf gegen die Kiste und weinte bitterlich. »Es ist gar nicht auszudenken. Keine Menschenseele, die dich hegt und pflegt. Wie soll ich es nur aushalten?«
Die Knaben hatten mittlerweile alles Eßbare auf dem Frühstückstisch vertilgt, so daß sie jetzt ein wenig die Sache von ihrer ernsten Seite betrachten konnten. Die Mutter weinte, der Vater blickte kummervoll vor sich hin, da fingen auch sie an zu heulen und rieben sich die Augen. Onkel Tom hielt das Baby auf den Knien, das sich nach Herzenslust vergnügte, es kratzte ihm das Gesicht, zog an seinem Haar und stieß von Zeit zu Zeit einen hellen Jauchzer aus.
»Laß du nur, armer Schatz«, sagte Tante Chloe, »an dich wird die Reihe auch noch kommen. Dir werden sie eines Tages auch den Mann verkaufen oder am Ende dich selber. Und wenn die Knaben was taugen, wird man sie auch verkaufen. Ein Nigger, der nichts hat, ist zu nichts nütze.«
Auf einmal rief einer der Knaben: »Da kommt die gnädige Frau!«
»Sie kann uns auch nicht helfen. Wozu kommt sie dann?« sagte Tante Chloe.
Mrs. Shelby trat ein. Unwirsch und brummig schob Tante Chloe ihr einen Stuhl hin, aber sie schien weder das eine noch das andere zu bemerken. Sie sah blaß und verstört aus.
»Tom«, sagte sie, »ich bin gekommen, um.«, plötzlich hielt sie inne und gewahrte die stumme Gruppe. Da ließ sie sich auf den Stuhl nieder, vergrub ihr Gesicht in ihrem Taschentuch und begann zu weinen.
»Gnädige Frau! Nicht doch, o Gott, nicht doch!« rief Tante Chloe, ihrerseits in Tränen ausbrechend.