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»Was gibt's da?« fragte der alte Herr, als sich in der Wirtsstube plötzlich eine Gruppe um einen Anschlagzettel scharte.

»Neger entlaufen«, antwortete einer aus der Menge.

Mr. Wilson, dies war der Name des alten Herrn, erhob sich, rückte vorsichtig Reisetasche und Regenschirm zurecht, nahm umständlich seine Brille heraus, setzte sie auf die Nase und, nachdem alle diese Vorbereitungen getroffen, las er folgendes:

»Unterzeichnetem entlaufen sein Mulattensklave Georg. Besagter Georg sechs Fuß hoch, sehr heller Mulatte, braunes lockiges Haar; sehr intelligent, spricht gewählt, kann schreiben und lesen; wird sich vermutlich als weißer Mann ausgeben. Hat auf Rücken und Schultern tiefe Narben. Rechte Handfläche mit dem Buchstaben H gebrandmarkt.

Gebe für ihn lebendig gefangen 400 Dollar, und dieselbe Summe für zuverlässigen Nachweis seines Todes.«

Der alte Herr las diese Anzeige halblaut von Anfang bis Ende, als wollte er sich alles genau einprägen.

Der langbeinige Krieger, der, wie vorhin erwähnt, das Schüreisen belagert hatte, zog jetzt sein riesiges Untergestell ein, richtete sich in voller Länge auf, ging hin zu dem Anschlag und spuckte genau eine volle Ladung Tabaksaft darauf.

»Das ist meine Meinung von der Sache«, sagte er kurz und bündig, bevor er wieder Platz nahm.

»Hallo, Fremder, was soll das heißen?« fragte der Wirt.

»Ich würde dem Schreiber genau so ins Gesicht spucken, wenn er hier wäre«, antwortete der lange Kerl ungerührt und schnitt sich den nächsten Tabak zurecht. »Ein Mann, der solch einen Burschen hat und ihn nicht besser behandelt, verdient, daß er ihn verliert. So ein Wisch ist eine Schande für Kentucky. Das ist meine ungeschminkte Meinung, falls es jemand interessiert.«

»Läßt sich hören«, sagte der Wirt und vertiefte sich wieder in seine Bücher.

»Ich habe daheim auch meine Leute«, fuhr der Lange fort, den Angriff auf das Schüreisen wieder aufnehmend, »und ich sage ihnen jedesmaclass="underline" >Burschen<, sage ich, >haut ab, verzieht euch, macht was ihr wollt, ich werde euch niemals nachsetzen.< Auf diese Weise halte ich sie. Wenn die das Gefühl haben, daß sie jederzeit auf und davon gehen können, dann vergeht ihnen die Lust. Darüber hinaus habe ich aber ihre Freischeine beantragt, für den Fall, daß mir etwas geschieht, und das wissen sie. Und ich kann dir sagen, meine Burschen sind mit Pferden in Cincinnati gewesen, 500 Dollar wert, und haben mir das Geld abgezählt zurückgebracht, mehr als einmal. Es liegt ja auf der Hand: behandelt sie wie die Hunde, und sie reagieren und arbeiten wie die Hunde, behandelt sie wie Menschen, und sie benehmen sich entsprechend.« Und der brave Pferdehändler bekräftigte seine moralische Anständigkeit mit einem wahren Freudenfeuer von Spuckgeschossen gegen den Kamin.

»Da haben Sie sehr recht, mein Freund«, sagte Mr. Wilson; »und dieser Bursche, den sie hier beschreiben, ist zweifellos ein feiner Kerl. Er hat bei mir sechs Jahre in einer Sackleinwandfabrik gearbeitet und war meine erste Kraft. Ein begabter Bursche, er erfand eine Maschine zur Reinigung des Hanfs, ein wahres Meisterstück. Man hat es bereits in anderen Fabriken eingeführt, sein Herr hat das Patent.«

»Ich wette, er hat es und verdient daran eine Stange Geld, und dann geht er hin und brandmarkt den Jungen. Wenn ich nur könnte, würde ich ihm etwas zeigen, was er nicht so schnell vergißt.«

Hier wurde die Unterhaltung unterbrochen; ein einspänniger, kleiner Wagen, der gar vornehm aussah, hielt vor dem Hause, drinnen saßen ein wohlgekleideter, feiner Herr und ein farbiger Diener, der kutschierte.

Die ganze Gesellschaft betrachtete den Neuankömmling mit einem Interesse, wie es Müßiggänger und Tagediebe an regnerischen Tagen allen Ereignissen entgegenbringen. Er war von hoher Gestalt und dunklem, spanischem Teint, mit ausdrucksvollen, schwarzen Augen und dichtem, krausem Haar von der gleichen glänzenden Schwärze. Seine wohlgeformte Adlernase, seine schmalen Lippen und die herrlichen Umrisse seiner schön geformten Glieder verfehlten nicht, ihren Eindruck auf die Gesellschaft zu machen. Er war kein gewöhnlicher Reisender, er trat leicht und unbefangen unter die Gäste, wies seinem Diener mit einem Kopfnicken den Platz für seine Koffer an, verneigte sich vor der Gesellschaft und schritt mit dem Hut in der Hand gelassen auf den Schanktisch zu, wo er seinen Namen angab: »Henry Butler, Oaklands, Shelby Country.« Dann wandte er sich gleichgültig ab und schlenderte zu der Anzeige an der Wand, die er überflog.

»Jim«, sagte er zu seinem Diener, »mir scheint, wir haben so einen ähnlichen Burschen getroffen, unten in Bernan's.«

»Ja, gnädiger Herr«, erwiderte Jim, »aber mit der Hand, das weiß ich nicht genau.«

»Nein, darauf haben wir natürlich nicht geachtet«, sagte der Fremde und gähnte gelangweilt. Dann wandte er sich an den Wirt und bestellte ein gutes Zimmer, um sofort einige Briefe zu erledigen.

Der Wirt verbeugte sich dienstbeflissen, und eine Schar von sieben Negern, alt und jung, männlich und weiblich, groß und klein, schwirrten alsbald wie aufgescheuchte Rebhühner umher, geschäftig hin und her eilend, einander auf die Zehen tretend und übereinander purzelnd, alle voller Eifer, dem Herrn das Zimmer zu richten, der sich währenddessen unbefangen mitten in der Wirtsstube niedergelassen hatte und mit seinem Nachbarn plauderte.

Der Fabrikant, Mr. Wilson, hatte den Fremden von seinem Eintritt an mit einem Ausdruck ängstlicher und unruhiger Neugierde betrachtet. Es kam ihm vor, als habe er ihn schon einmal getroffen und kennengelernt, aber er konnte sich nicht genau entsinnen. Jeden Augenblick, wenn der andere sprach, sich bewegte oder lächelte, fuhr er auf, starrte ihn an, um seine Augen eilig abzuwenden, wenn die klugen, dunklen Augen des Fremden ihn mit achtloser Kälte musterten. Endlich schien dem alten Herrn die Erleuchtung zu kommen, denn er starrte in so sprachloser Verblüffung und so sichtbarer Betroffenheit auf den anderen, daß dieser auf ihn zuschritt.

»Mr. Wilson, nicht wahr?« fragte er und reichte ihm die Hand. »Verzeihen Sie, daß ich Sie nicht gleich erkannte. Aber ich sehe, Sie entsinnen sich meiner: Mr. Butler von Oaklands, Shelby Coun–try.«

»Ja, ganz recht«, erwiderte Mr. Wilson, wie einer, der im Traume spricht.

In diesem Augenblick erschien ein Negerknabe und meldete, das Zimmer des Herrn sei bereit.

»Jim, du besorgst die Koffer«, sagte der Herr nachlässig, dann sich wieder Mr. Wilson zuwendend, fügte er hinzu: »Ich möchte Sie bitten, mir fünf Minuten Gehör zu schenken, geschäftlich, auf meinem Zimmer, wenn ich bitten darf.«

Mr. Wilson folgte ihm wie ein Traumwandler. Sie gelangten nach oben in ein großes Zimmer, wo ein frisch entfachtes Feuer brannte und noch verschiedene Diener umhereilten und letzte Hand anlegten.

Nachdem alles wohlgelungen war und die Dienerschaft sich entfernt hatte, verschloß der junge Mann sorgfältig die Tür, und, den Schlüssel in die Tasche steckend, kehrte er sich um und blickte mit verschränkten Armen Mr. Wilson freimütig ins Gesicht.

»Georg!« sagte Mr. Wilson.

»Ja, Georg«, wiederholte der junge Mann.

»Das hätte ich nicht gedacht.«

»Ich bin anscheinend ganz gut verkleidet«, sagte der junge Mann lächelnd. »Ein wenig Walnußschale hat meiner gelben Haut ein vornehmes Braun gegeben, und mein Haar habe ich schwarz gefärbt. Sie sehen also, der Anschlagzettel paßt nicht mehr so recht.«

»O Georg, du spielst ein gefährliches Spiel. Ich hätte dir immer abgeraten.«

»Das tue ich auf meine eigene Verantwortung«, erwiderte Georg mit demselben stolzen Lächeln.

Wir bemerken beiläufig, daß Georg väterlicherseits weißen Ursprungs war. Seine Mutter war eine jener Unglücklichen ihrer Rasse, deren persönliche Schönheit sie von vornherein zur Sklavin der Leidenschaften ihres Besitzers und zur Mutter von Kindern machte, die ihren Vater niemals kennenlernen. Von einer der stolzesten Familien in Kentucky hatte er die schönsten europäischen Gesichtszüge und einen hochfliegenden, unbezähmbaren Geist geerbt. Von seiner Mutter hatte er eine leichte Mulattentönung mitbekommen, durch das glänzende, dunkle Auge reichlich wettgemacht. Eine kleine Veränderung in der Färbung seiner Haut und der Tönung seiner Haare hatte ihn in den Spanier verwandelt, als welcher er auftrat. Anmut der Bewegung und Feinheit der Manieren waren ihm so angeboren, daß es ihm keineswegs schwerfiel, die kühne Rolle, die er sich zugelegt hatte, die eines Herrn von Welt und Rang, der mit seinem Diener reist, glaubwürdig zu spielen.