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Mr. Wilson, ein gutherziger, aber äußerst ängstlicher und vorsichtiger alter Herr, ging unruhig im Zimmer auf und ab und fühlte sich hin und her gerissen, einerseits Georg zu helfen, andererseits Ordnung und Gesetz aufrechtzuerhalten. Seinem verwirrten Herzen machte er mit den Worten Luft: »Also Georg, du bist ausgerissen–verlierst deinen gesetzmäßigen Herrn — kein Wunder — und doch tut es mir leid, Georg, ja entschieden, ich muß dir sagen, Georg, ich halte es für meine Pflicht.«

»Warum tut es Euch leid?« sagte Georg ruhig.

»Nun, weil du dich sozusagen gegen die Gesetze deines Landes auflehnst.«

»Meines Landes!« sagte Georg mit starker und bitterer Betonung. »Welches Land habe ich außer dem Grabe? Und ich wünschte bei Gott, ich läge dort!«

»O Georg, du bist in einer schrecklichen Gemütsverfassung. Das ist ja die reine Verzweiflung. Es geht mir wirklich nahe. Einfach die Gesetze deines Landes zu brechen!«

»Ihr habt ein Vaterland, aber welches habe ich und meinesgleichen, die wir von Sklavenmüttern geboren sind? Welche Gesetze gelten für uns? Wir erlassen sie nicht, wir stimmen nicht zu — wir haben nichts mit ihnen zu tun, und sie zermalmen uns nur und halten uns unten. Habe ich nicht Eure Reden gehört zum 4. Juli? Sagtet Ihr uns nicht einmal im Jahr, daß die Regierung ihre Macht von der Zustimmung des Volkes hat? Kann einer wie ich sich nicht einen Vers darauf machen, wenn er das hört? Kann er nicht zwei und zwei zusammensetzen und sagen, was daraus entsteht?«

Mr. Wilson hatte ein Gemüt, das man gar wohl mit einem Ballen Baumwolle vergleichen konnte. Es war luftig, weich, verheddert und versponnen. Er bedauerte Georg ganz aufrichtig und hatte auch eine verschwommene Vorstellung von den Gefühlen, die ihn bewegten. Aber er hielt es für seine Pflicht, ihm mit unermüdlicher Hartnäckigkeit gut zuzureden.

»Georg, dies ist schlimm. Ich muß es dir als Freund sagen, du weißt ja, daß du dich besser von solchen Gedanken fernhältst, sie sind gefährlich, Georg, für Männer in deiner Lage viel zu gefährlich«, und Mr. Wilson setzte sich am Tisch nieder und begann nervös an dem Griff seines Regenschirms zu nagen.

»Hört doch einmal, Mr. Wilson«, sagte Georg herzutretend und sich entschlossen dem alten Herrn gegenübersetzend. »Seht mich einmal an. Sitze ich nicht vor Euch, in jeder Beziehung ein Mann wie Ihr selber? Seht mein Gesicht — meine Hände — meinen Körper« - und der junge Mann richtete sich stolz in die Höhe. »Warum bin ich nicht ein Mann so gut wie jeder andere? Also, Mr. Wilson, jetzt hört mich an. Mein Vater war einer von den Herren in Kentucky, der sich nicht genug um mich gekümmert hatte, um mir das Los seiner Hunde und Pferde zu ersparen, die bei seinem Tode verkauft wurden, um die Schulden des Gutes zu decken. Ich sah, wie man meine Mutter auf der Versteigerung mit ihren lieben Kindern ausstellte. Vor ihren Augen wurden sie verkauft, eins nach dem anderen, jedes an einen anderen Herrn; und ich war das jüngste. Sie kam und ging in die Knie vor meinem ersten Herrn und flehte, er möge sie auch kaufen, damit sie wenigstens ein Kind behalten könnte. Er aber trat nach ihr mit seinem Stiefel. Ich sah es mit an, und das letzte, was ich von ihr hörte, war ihr Klagen und Schreien, als ich an den Hals des Pferdes gebunden wurde, das mich wegtrug auf das Gut.«

»Und dann?«

»Mein Herr verhandelte noch mit einem der Leute und kaufte auch meine älteste Schwester. Sie war ein frommes, gutes Mädchen, gehörte zur Baptistensekte — und war so schön wie meine arme Mutter. Sie hatte eine gute Erziehung genossen und hatte feine Manieren. Zunächst war ich sehr froh über ihren Kauf, daß ich einen Freund in der Nähe hatte, aber bald sollte ich es beklagen. Ach, ich habe an der Tür gestanden und gehört, wie man sie auspeitschte, und jeder Schlag zielte auf mein bloßes Herz, aber ich konnte nichts tun, um sie zu schützen. Man schlug sie für ihren christlichen Lebenswandel, den Eure Gesetze keinem Sklavenmädchen erlauben, und schließlich sah ich sie in Ketten in einem Sklavenschuh stehen, mit dem zusammen sie auf dem Markt in Orleans verkauft wurde, einzig aus diesem Grunde. Seitdem habe ich nie wieder etwas von ihr gehört. Ich selber wuchs heran — lange, lange Jahre ohne Vater, ohne Mutter, ohne Schwester, ohne eine einzige lebendige Seele, die sich mehr um mich kümmerte als um einen Hund, nichts als Schläge, Schimpfen und Hungern wurde mir zuteil. Ach, Mr. Wilson, so hungrig bin ich gewesen, daß ich froh war über die Knochen, die man den Hunden zuwarf. Und dennoch, als ich noch klein war und ganze Nächte wach lag, und weinte, geschah es nicht wegen des Hungers und wegen der Schläge. Nein, ich weinte nach meiner Mutter und nach meiner Schwester, ich weinte, weil ich auf der weiten Welt nicht einen Freund hatte; auch Frieden und Behagen kannte ich nicht. Ich hatte nie ein freundliches Wort gehört, bis ich zu Ihnen in die Fabrik kam, Mr. Wilson, Ihr habt mich gut behandelt. Ihr habt mich ermutigt, Lesen und Schreiben zu lernen und was aus mir zu machen. Gott allein weiß, wie dankbar ich Euch bin. Und dann traf ich mein Weib–Ihr wißt, wie schön sie ist. Als ich merkte, sie liebte mich, als ich sie heiratete, konnte ich kaum glauben, daß ich lebte, so glücklich war ich; dabei ist sie ebenso gut wie schön. Und was dann? Dann kommt mein Herr, reißt mich weg von meiner Arbeit, meinen Freunden, von allem, was mir teuer ist und stößt mich in den Schmutz. Und warum? Weil ich, wie er sagte, vergaß, was ich bin; er sagt, um mich zu lehren, daß ich nur ein Nigger bin. Schließlich stellt er sich zwischen mich und mein Weib und verlangt, ich solle sie aufgeben und eine andere nehmen. Zu alldem aber ermächtigt ihn Euer Gesetz, trotz Menschen–und Gottesrecht. Mr. Wilson, begreifen Sie doch! Was meiner Mutter und meiner Schwester und meinem Weibe und mir das Herz gebrochen hat, alle diese Ereignisse. Eure Gesetze gestatten sie und geben jedermann in Kentucky das Recht dazu, und keiner kann ihn hindern. Nennt Ihr das die Gesetze meines Landes? Mr. Wilson, ich habe kein Vaterland, ich habe auch keinen Vater. Aber ich werde mir eines verschaffen. Ich verlange nichts von Eurem Land als meine Ruhe, daß man mich in Frieden ziehen läßt; und wenn ich nach Kanada komme, wo die Gesetze mich anerkennen und beschützen, dann soll das mein Vaterland werden, und seinen Gesetzen will ich Untertan sein. Aber wenn einer mich hindern will, soll er sich hüten, denn ich bin ein Verzweifelter. Ich werde um meine Freiheit kämpfen bis zum letzten Atemzug. Ihr sagt ja, Eure Väter taten das damals auch; was ihnen recht war, soll auch mir recht sein!«

Diese Rede, die Georg, teils am Tische sitzend und teils im Zimmer auf und ab gehend, begleitet von Tränen, von sprühenden Blicken und Gebärden der Verzweiflung gehalten hatte, überwältigte den gutherzigen alten Mann, an den sie gerichtet war, derartig, daß er sein großes gelbseidenes Taschentuch hervorzog und sich energisch die Augen rieb.

»Der Teufel hole sie«, brach er plötzlich los. »Habe ich es nicht immer gesagt, diese elenden Schweinehunde! Hoffentlich gilt das nicht als Fluchen! Also, zieh weiter, Georg, zieh weiter. Aber sei vorsichtig, mein Junge. Nicht schießen! Es sei denn — ach, besser nicht schießen. Wenigstens niemand treffen, weißt du. Wo ist eigentlich dein Weib, Georg?« fügte er hinzu, als er aufstand und im Zimmer auf und ab ging.