»Aber nun werdet Ihr Euch die Mühe sparen, was?« sagte der lange Mann. »Es lohnt sich, wenn man die Heilige Schrift kennt. Hättet Ihr Eure Bibel studiert wie dieser gute Mann, hättet Ihr Euer Gewissen beruhigen können. Ihr hättet nur zu sagen brauchen >Verflucht sei< - wie hieß es doch? — , dann wäre alles in Ordnung gewesen.« Und der Fremde, der niemand anders war als der ehrliche Pferdezüchter, den wir unseren Lesern in dem Kentuckywirtshaus vorstellten, setzte sich hin und fing an zu rauchen, ein spöttisches Lächeln auf seinem Gesicht.
Jetzt mischte sich ein hochgewachsener, junger Mann, mit einem Gesicht, das Intelligenz und Mitgefühl verriet, in die Unterhaltung und sprach die Worte: »Was du willst, das dir die Leute tun, das tu du ihnen auch!« »Ich sollte meinen«, setzte er hinzu, »das steht ebenso gut in der Heiligen Schrift wie >Verflucht sei Kanaan<.«
»Na, der Text scheint mindestens ebenso eindeutig zu sein«, sagte John, der Pferdezüchter, »wenigstens für solch arme Teufel wie wir«, und John rauchte wie ein Vulkan.
Der junge Mann hielt inne und sah aus, als wollte er noch weiter sprechen, als plötzlich der Dampfer anhielt und die ganze Gesellschaft wie üblich an die Reling stürzte, um zu sehen, wo man anlegte.
»Sind die beiden Pastoren?« fragte John im Hinausgehen einen der Männer. Der Mann nickte.
Als der Dampfer anhielt, kam ein schwarzes Weib in heller Aufregung die Planke heraufgestürzt, warf sich in die Menge, flog zum Sklavenstand, umhalste mit beiden Armen den unglücklichen Kaufartikel, den man zuvor mit - >John, dreißig Jahre alt< bezeichnet hatte, und begrüßte ihn unter Tränen und Schluchzen als ihren Ehemann.
Aber was brauchen wir diese herzergreifende Geschichte zu erzählen, die jeder Tag aufs neue erzählt — von den Schwachen, die gebrochen und getreten werden zum Nutzen und Gewinn der Starken! Da bedarf es keiner Worte mehr — jeder Tag meldet sie uns–meldet sie auch dem Ohr des Einen, der nicht taub ist, wenn er auch lange schweigt.
Der junge Mann, der vorhin für die Sache Gottes und der Menschlichkeit gesprochen hatte, hatte die Arme über die Brust gekreuzt und sah der Szene zu. Als er sich abwandte, entdeckte er Ha–ley neben sich. »Mein Freund«, sagte er und sprach bewegten Herzens, »wie könnt Ihr es, wie dürft Ihr es wagen, einen solchen Handel zu treiben? Da seht die armen Menschen! Und ich stehe hier und freue mich von Herzen, daß ich heimkomme zu Weib und Kind, dieselbe Glocke aber, die für mich ein Signal ist, daß ich ihnen immer näherkomme, wird diese armen Eheleute für immer voneinander trennen. Verlaßt Euch darauf, Gott wird Euch hierfür einst zur Rechenschaft ziehen.«
Der Händler drehte sich schweigend um.
»Das kann man sagen«, erklärte der Pferdehändler und faßte ihn am Ellbogen, »das ist aber ein Unterschied zwischen diesen Pastoren, nicht wahr? >Verflucht sei Kanaan< scheint dieser nicht durchzulassen, was?«
Haley brummte unwirsch.
»Das will noch nichts besagen«, fuhr John fort, »vielleicht läßt es der Herrgott auch nicht durchgehen, wenn er einst mit Euch abrechnet, wie er es ja vermutlich mit uns allen vorhat.«
Haley wanderte nachdenklich auf die andere Seite des Dampfers.
»Wenn ich bei den nächsten Transporten einen hübschen Pfennig zur Seite legen kann«, überlegte er, »werde ich dieses Geschäft wohl aufgeben müssen, es wird ja geradezu gefährlich.« Und er zog sein Notizbuch hervor und fing an, seinen Gewinn zu überschlagen–eine Beschäftigung, mit der auch andere Leute schon ihr schlechtes Gewissen zu beruhigen verstanden.
Der Dampfer stieß stolz vom Ufer ab, und das Leben an Bord nahm wieder fröhlich seinen Verlauf. Die Männer schlenderten plaudernd einher, lasen und rauchten. Die Frauen machten Handarbeiten, die Kinder spielten, und der Dampfer zog auf seiner Bahn dahin.
Eines Tages, als er für längeren Aufenthalt bei einer kleinen Stadt in Kentucky anlegte, begab sich Haley in den Ort, um geschäftliche Dinge zu erledigen. Tom, dessen Fesseln ihm eine gewisse Bewegungsfreiheit gestatteten, war an die Reling getreten und blickte trübselig auf das Ufer. Nach einer Weile sah er den Händler eiligen Schrittes in Begleitung einer farbigen Frau zurückkehren, die ein kleines Kind auf dem Arm trug. Sie war ganz ordentlich gekleidet, und ein Neger trug ihr einen kleinen Koffer nach. Die Frau schritt fröhlich einher, sprach mit dem Mann, der ihr den Koffer trug, und gelangte über die Planke auf das Schiff. Die Glocke tönte, der Dampfer tutete, die Maschinen stöhnten keuchend, und weiter ging die Fahrt flußabwärts.
Die Frau suchte sich einen Platz zwischen den Kisten und Ballen des Zwischendecks, ließ sich nieder und fing an, ihr Kind zu herzen.
Haley machte ein-, zweimal die Runde um den Dampfer, kam dann heran, setzte sich zu ihr und teilte ihr halblaut in gleichgültigem Tone etwas mit.
Tom gewahrte bald, daß sich die Stirn der jungen Frau umwölkte und daß sie hastig und mit großer Heftigkeit antwortete.
»Das glaube ich nicht — das kann ich nicht glauben!« hörte er sie sagen. »Ihr wollt mich nur zum Narren halten.«
»Wenn du es nicht glaubst, sieh her!« sagte der Mann und zog ein Papier hervor. »Dies ist der Kaufkontrakt und darunter steht der Name deines Herrn, und ich habe gutes, bares Geld dafür bezahlt, daß du es nur weißt — also!«
»Ich glaube nicht, daß der Herr mich so betrogen hat; das kann nicht stimmen!« sagte die Frau in steigender Erregung.
»Da kannst du hier jeden fragen, der lesen kann. Hier!« sagte er zu einem Mann, der vorüberkam. »Lest das doch einmal. Das Mädchen will mir nicht glauben, wenn ich ihr sage, was darin steht!«
»Na, das ist ein Kaufvertrag, unterzeichnet von John Fosdick«, sagte der Mann, »der Euch das Mädchen Lucy mit ihrem Kind abtritt. Soweit ich sehe, ist das alles klar.«
Der leidenschaftliche Widerspruch der Frau lockte eine schaulustige Menge herbei, der der Händler kurz den Grund ihrer Erregung mitteilen mußte.
»Er hat mir gesagt, daß ich nach Louisville käme und in demselben Wirtshaus, wo mein Mann beschäftigt ist, einen Posten als Köchin bekäme — das hat mir mein Herr gesagt, mit eigenen Worten; und ich kann nicht glauben, daß er mich angelogen hat«, sagte die Frau.
»Aber er hat dich verkauft, arme Frau, da besteht kein Zweifel«, sagte ein gutmütiger Mann, der die Papiere überflogen hatte; »daran läßt sich nicht drehen und deuteln.«
»Dann hat auch alles Reden keinen Zweck«, erklärte die Frau und wurde plötzlich ganz ruhig. Ihr Kind fest in die Arme schließend, setzte sie sich auf ihre Kiste, kehrte sich ab und starrte bedrückt auf das Wasser.
»Scheint es sich nicht weiter zu Herzen zu nehmen«, meinte der Händler. »Das Mädel hat Verstand.«
Die Frau sah gefaßt aus, während der Dampfer weiterfuhr. Ein leichter, weicher Sommerwind glitt wie ein mitfühlender Geist um ihre Stirn — der sanfte Wind, der niemals fragt, ob die Stirn, die er umfächelt, schwarz oder weiß ist. Und sie sah den hellen Sonnenschein in goldenen Wellen auf dem Wasser glänzen und hörte die heiteren Stimmen, sorglos und unbeschwert, um sich in der Runde plaudern; aber ihr war das Herz schwer, als sei ein großer Stein darauf gefallen. Das Baby richtete sich empor und streichelte ihr mit seinen Händchen die Wangen. Es zappelte, es krähte und plapperte und schien auf alle Weise seine Mutter ermuntern zu wollen. Sie drückte es plötzlich heftig an sich, nahm es in die Arme und ließ langsam eine Träne nach der anderen auf sein verwundertes, ahnungsloses Gesichtchen fallen, allmählich schien sie sich etwas zu beruhigen und machte sich daran, es zu stillen und zu versorgen.
Das Kind, ein Junge von zehn Monaten, war ungewöhnlich groß und stark für sein Alter und von sehr kräftigen Gliedern. Es hielt nicht einen Augenblick still, seine Mutter hatte alle Hände voll zu tun, es zu hüten.