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»Du wirst deinen Vater wiedersehen, mein Kleiner. Verstehst du das? Dein Vater kommt heute«, sagte sie immer aufs neue, während das Kind sie verwundert anblickte.

Währenddessen ging hinter der Tür eine andere Szene vor sich, Rachel Halliday zog Eliza zu sich und sagte: »Der Herrgott hat sich deiner erbarmt; dein Mann ist der Knechtschaft entflohen.«

Das Blut stieg Eliza in plötzlicher Glut zu Kopf und schoß ebenso plötzlich zum Herzen zurück. Blaß und fast bewußtlos setzte sie sich.

»Habe Mut, mein Kind«, sagte Rachel und legte ihr die Hände auf den Scheitel. »Er befindet sich unter Freunden, die ihn heute abend herbringen.«

»Heute abend!« wiederholte Eliza, »heute abend!« Die Worte hatten keine Bedeutung für sie; ihr Geist war wie umnebelt, alles schwamm ihr vor den Augen.

Als sie wieder zu sich kam, fand sie sich behaglich ins Bett gepackt, eine Decke über sich gebreitet, während die kleine Ruth ihr die Hände mit Kampfer einrieb. Eliza öffnete ihre Augen und fühlte einen Zustand traumhafter, köstlicher Erschlaffung, wie jemand, der lange eine schwere Last getragen, sich auf einmal befreit fühlt und die Entspannung genießt. Elizas Nerven waren angespannt gewesen seit der ersten Stunde ihrer Flucht, nun konnte sie nachgeben, und ein merkwürdiges Gefühl der Sicherheit und Ruhe überkam sie; und während sie mit weit geöffneten dunklen Augen dalag, folgte ihr Blick wie in einem ruhigen Traum den Hantierungen der anderen. Sie sah durch die offene Tür ins Nebenzimmer; sie sah den Eßtisch mit seinem schneeweißen Tuch; sie hörte den Teekessel summen und sah, wie Ruth mit Kuchenplatten und Schüsseln mit Eingemachtem hin und her trippelte und ab und zu innehielt, um Harry einen Kuchen in die Hand zu stecken, ihm den Kopf zu streicheln oder seine langen Locken um ihre schneeweißen Finger zu wickeln. Sie sah Rachels füllige, mütterliche Gestalt, wie sie hin und wieder an ihr Bett trat, das Laken glattstrich und an den Kissen zupfte, um ihren guten Willen kundzutun. Sie sah ferner, wie Ruths Mann hereinkam — wie Ruth auf ihn flog und mit ihm bedeutungsvoll zu flüstern begann, indem sie eifrig mit ihrem kleinen Finger auf das Nebenzimmer deutete; Eliza sah, wie sie sich mit dem Baby auf dem Arm zum Tee setzte; sie sah die ganze Gesellschaft um den Tisch sitzen, der kleine Harry auf dem hohen Stühlchen unter Rachels Obhut; sie vernahm das halblaute Murmeln des Gesprächs, das sanfte Klirren der Teelöffel, das melodische Klappern der Tassen und Teller, alles mischte sich ihr zu einem herrlichen Traum der Erquickung; und Eliza schlief, wie sie nie zuvor geschlafen hatte seit der furchtbaren mitternächtlichen Stunde, als sie ihr Kind genommen und in die frostige Sternennacht geflohen war.

Sie träumte von einem schönen Land — einem Land der Ruhe, wie ihr schien — mit grüner Küste, lieblichen Inseln und herrlich funkelndem Wasser; und dort, in einem Haus, das freundliche Stimmen ihr als Heim zuwiesen, sah sie ihren Knaben spielen als ein freies, glückliches Kind. Sie hörte die Schritte ihres Mannes; sie fühlte ihn näherkommen, seine Arme umschlangen sie, und seine Tränen fielen auf ihr Gesicht. Da erwachte sie, und es war kein Traum! Das Tageslicht war schon verblichen; das Kind lag friedlich schlafend an ihrer Seite, eine Kerze brannte sanft auf dem Nachttisch, und ihr Mann barg schluchzend sein Gesicht in ihren Kissen.

Am nächsten Morgen ging es fröhlich zu im Quäkerhaus. Mutter war beizeiten auf den Beinen, geschäftige Buben und Mädchen hantierten um sie her, die vorzustellen wir gestern keine Gelegenheit hatten; jetzt waren sie alle auf Rachels sanftes Geheiß »Möchtest du wohl?« oder noch sanfter »Möchtest du nicht lieber?« in Bewegung, das Frühstück auf den Tisch zu bringen; denn ein Frühstück in den üppigen Tellern Indianas ist eine vielfältige und umständliche Angelegenheit. Während also John zur Quelle sprang nach frischem Wasser und Simeon der Jüngere das Maismehl für den Kuchen siebte und Mary Kaffee mahlte, ging Rachel ruhig und gelassen hin und her, richtete die Kuchen her, schnitt das Huhn auf und warf ringsumher einen Blick auf alle Vorbereitungen. Drohte ein Zusammenstoß unter den übereifrigen, zahlreichen jungen Helfern, genügte ihr sanftes »Na, na!« oder »Nicht doch!«, um alle Erregung zu glätten.

Während alle Vorbereitungen in vollem Gange waren, stand Simeon der Ältere in Hemdsärmeln vor dem kleinen Spiegel in der Ecke und war von der Tätigkeit des Rasierens vollständig in Anspruch genommen. Alles ging in der großen Küche so gesellig, so ruhig und harmonisch vor sich — jedem einzelnen erschien seine Tätigkeit im Augenblick willkommen, und es herrschte allgemein ein solcher Geist des Friedens und der Verträglichkeit — selbst die Messer und Gabeln klapperten gesellig, als man sie auf den Tisch legte, und Hühnchen und Schinken bruzzelten so vergnüglich in der Pfanne, als sei ihnen dieser Zustand durchaus behaglich -, daß Georg und Eliza und der kleine Harry, als sie aus der Stube traten und so freudig begrüßt wurden, sich wie im Traum vorkamen.

Endlich hatte man sich allgemein um den Frühstückstisch eingefunden, nur Mary stand am Herd und buk die leckeren Griddle–Ku–chen, die dann, kaum daß sie die goldbraune Knusprigkeit erreicht hatten, dampfend auf den Tisch kamen.

Rachel sah nie so von Herzen und gesegnet glücklich aus wie im Kreise der Familienrunde. In der Art, wie sie dann die Kuchenplatten weiterreichte oder den Kaffee einschenkte, lag so viel Mütterlichkeit und Herzlichkeit, daß sie sich dem Essen und Trinken förmlich mitzuteilen schienen.

Es geschah zum erstenmal, daß sich Georg gleichberechtigt an den Tisch eines weißen Mannes setzte, zuerst war er noch etwas befangen und zugeknöpft, aber seine Bedenken zerstreuten sich wie Nebel vor den Sonnenstrahlen dieser einfachen und überströmenden Herzlichkeit.

Dies war in der Tat eine Heimat, ein Wort, das bisher für Georg keine Bedeutung besessen hatte; und ein neuer Glaube an Gott, ein Vertrauen an seine Vorsehung begannen sein Herz zu erfüllen, als sich alle dunklen, menschenfeindlichen, harten Zweifel, alle wilde Verzweiflung in einer goldenen Wolke der Zuversicht und der Geborgenheit verflüchtigten in dem Licht eines lebendigen Evangeliums, das in den Gesichtern ringsum atmete und sich in tausend unbewußten Gesten der Liebe und der Hilfskraft kundtat.

»Was geschieht, Vater, wenn sie dich wieder erwischen?« fragte Simeon der Jüngere, während er sich Butter auf seinen Kuchen strich.

»Dann werde ich meine Strafe bezahlen müssen«, sagte Simeon ruhig.

»Aber wenn sie dich ins Gefängnis werfen?«

»Kannst du dann nicht mit Mutter zusammen die Farm bewirtschaften?« fragte Simeon lächelnd.

»Mutter kann freilich alles«, meinte der Junge. »Aber ist es nicht eine Schande, daß es solche Gesetze gibt?«

»Du sollst von deiner Obrigkeit nichts Böses reden, Simeon«, sagte sein Vater ernst. »Der Herrgott gibt uns unsere irdischen Güter bloß, damit wir Gerechtigkeit und Erbarmen üben, verlangt die Obrigkeit dafür einen Preis, müssen wir ihn erstatten.«

»Ach, wie ich sie doch hasse, diese alten Sklavenhalter!« sagte der Junge.

»Das überrascht mich aber, mein Sohn«, sagte Simeon; »das hat dich deine Mutter nicht gelehrt. Ich würde dem Sklavenhalter dieselben Dienste erweisen wie dem Sklaven, sollte er in einer Heimsuchung an meine Tür klopfen.«

Simeon der Zweite wurde puterrot; aber seine Mutter lächelte nur und sagte: »Simeon ist mein lieber Junge, er wird langsam größer werden und dann seinem Vater nacheifern.«

»Ich hoffe, guter Herr, daß Ihr unsertwegen nicht in Schwierigkeiten geratet«, sagte Georg ganz ängstlich.

»Keine Angst, Georg, dazu sind wir in die Welt gesandt. Wenn wir nicht gewillt sind, einer guten Sache wegen Mühsal auf uns zu nehmen, sind wir unseres Namens nicht wert.«