Wenn der Heizer zuweilen schweißtriefend von seiner schweren Arbeit aufblickte, traf sein Blick auf die großen, blauen Augen des Kindes, die es staunend auf die brodelnde Tiefe des Kessels richtete, um sie dann voll Angst und Mitleid auf ihn zu heften, als ob er sich in schreckliche Gefahr begeben hätte. Ebenso hielt der Steuermann an seinem Rad zuweilen lächelnd inne, wenn der Blondkopf an seinem runden Fensterchen auf einmal auftauchte und im selben Augenblick wieder verschwand. Tausendmal am Tage wurde sie von rauhen Stimmen gesegnet, sie ging nur vorbei, und schon glitt ein Lächeln in ungewohnter Sanftheit über harte Gesichter; trippelte sie aber furchtlos an gefährlichen Stellen vorüber, streckten sich unwillkürlich grobe, rauchgeschwärzte Hände nach ihr aus, ihr den Weg zu ebnen.
Tom mit der weichen empfänglichen Natur seiner freundlichen Rasse, die immer dem Kindlichen und Einfachen zustrebt, hatte das junge Geschöpf täglich mit wachsender Teilnahme beobachtet. Für ihn war sie beinahe ein göttliches Wesen; jedesmal, wenn ihr goldener Blondkopf und die tiefen blauen Augen hinter einem grauen Baumwollballen nach ihm ausspähten oder von den aufgetürmten Kisten auf ihn herablugten, war er beinahe im Glauben, einen Engel aus seinem Neuen Testament zu erblicken.
Viele Male kam sie traurig an der Stelle vorüber, wo Haleys Sklaventransport in seinen Ketten hockte. Sie glitt dann zwischen ihnen hindurch und betrachtete sie alle mit einem Ausdruck ernster und verwunderter Trauer; zuweilen hob sie mit ihren zarten Händen die schweren Sklavenketten auf, seufzte bekümmert und huschte wieder fort. Verschiedentlich erschien sie plötzlich unter den Unglücklichen, beide Hände voll Süßigkeiten, Nüssen und Orangen, die sie fröhlich verteilte, um rasch wieder zu verschwinden.
Tom hatte das kleine Fräulein genau beobachtet, ehe er eine erste Annäherung wagte. Er konnte eine Unmenge kleiner Kunststücke, um das junge Volk anzulocken und zu unterhalten, und er beschloß, diesmal recht behutsam zu Werke zu gehen. Er konnte zierliche Körbchen aus Kirschkernen schnitzen, aus Hickory–Nüssen komische Gesichter machen und aus Holundermark Purzelmännchen schneiden; im Schnitzen von Flöten und Pfeifen jeder Art und Größe war er ein wahrer Meister. Seine Taschen waren mit allerhand Schnickschnack vollgestopft, den er in seinen guten Tagen für die Kinder seines Herrn aufgehoben hatte. Stück für Stück zauberte er nun hervor, aber erst allmählich, um damit eine freundliche Bekanntschaft mit dem kleinen Mädchen anzubahnen.
Die Kleine war bei allem lebhaften Interesse, das sie den Geschehnissen rings um sie her bezeugte, sehr scheu, und es war nicht leicht, ihr Zutrauen zu gewinnen. Anfangs hockte sie noch wie ein Kanarienvogel auf einer Kiste oder einem Ballen und sah nur von weitem zu, wie Tom seine genannten Künste trieb. Verschämt und ernsthaft nahm sie die kleinen Geschenke entgegen, die er ihr anbot. Aber schließlich verkehrten sie ganz freundschaftlich miteinander.
»Wie heißt das kleine Fräulein?« fragte Tom schließlich, als er der Meinung war, die Dinge seien jetzt weit genug gediehen, um diese Frage zu stellen.
»Evangeline St. Clare«, sagte die Kleine, »aber Papa und alle anderen nennen mich Eva. Aber wie heißt du denn?«
»Ich heiße Tom; die kleinen Kinder in meiner Heimat, drüben in Kentucky, nannten mich immer Onkel Tom.«
»Dann will ich dich auch Onkel Tom nennen. Denn, weißt du was? Du gefällst mir«, sagte die kleine Eva. »Wo fährst du hin?«
»Das weiß ich nicht, Fräulein Eva.«
»Das weißt du nicht?«
»Nein. Ich werde an jemand verkauft. Ich weiß aber nicht an wen.«
»Mein Papa soll dich kaufen«, sagte Eva rasch; »wenn er dich kauft, dann wird es dir gut gehen. Ich will ihn gleich fragen.«
»Vielen Dank, kleines Fräulein.«
Inzwischen hatte der Dampfer an einem kleinen Landeplatz haltgemacht, um eine Ladung Holz aufzunehmen, und Eva hatte kaum ihres Vaters Stimme gehört, als sie eilends fortsprang. Tom stand auf und begab sich nach vorn, um beim Verladen seine Dienste anzubieten; er war alsbald mit der Mannschaft tätig.
Eva und ihr Vater standen zusammen an der Reling und sahen zu, wie das Schiff vom Landeplatz abstieß. Das Rad hatte sich zwei-, dreimal ruckartig gedreht, als die Kleine durch eine plötzliche Bewegung auf einmal das Gleichgewicht verlor und über den Schiffsrand kopfüber ins Wasser stürzte. Ihr Vater, ohne recht zu wissen, was er tat, stand im Begriff, ihr nachzuspringen, aber die Umstehenden hielten ihn zurück, denn dem Kinde wurde schon wirksame Hilfe zuteil.
Tom hatte gerade unter ihr auf dem Zwischendeck gestanden, als sie hinabstürzte. Er sah sie auf dem Wasser aufschlagen und untergehen und sprang ihr im selben Augenblick nach. Bei seiner breiten Brust und seinen starken Armen war es ihm eine Kleinigkeit, sich im Wasser zu halten und abzuwarten, bis das Kind nach wenigen Augenblicken wieder auftauchte. Er ergriff sie mit beiden Armen, schwamm mit ihr zum Dampfer zurück und reichte sie, triefend naß, den hundert hilfreichen Händen hinauf, die sich ihr eifrig entgegenstreckten. Nach wenigen Augenblicken trug ihr Vater sie, noch immer völlig durchnäßt und bewußtlos, zur Damenkabine, unter deren weiblichen Bewohnern sich alsbald ein wohlgemeinter und gutherziger Wettstreit erhob, wer wohl die meisten Umstände machen und am erfolgreichsten die Wiederbelebung der Kleinen verhindern könnte.
Am andern Tage, als der Dampfer sich New Orleans näherte, herrschte ein schwüles, drückendes Wetter. Auf dem Schiff erhob sich überall das geschäftige Treiben der allgemeinen Erwartung und Vorbereitung; in den Kabinen packte man schon seine Siebensachen zusammen. Stewards und Zimmermädchen waren eifrig beschäftigt, das stattliche Schiff zu säubern, zu polieren und zu seiner glänzenden Einfahrt in den Hafen herzurichten.
Auf dem Zwischendeck saß unser Freund Tom, er hielt die Arme verschränkt und warf von Zeit zu Zeit ängstliche Blicke auf eine Gruppe von Männern, die auf der anderen Schiffsseite standen.
Die liebliche Evangeline stand daneben, ein wenig blasser als am vorigen Tag, aber sonst hatte der Unfall weiter keine Spuren an ihr zurückgelassen. Ein schöner, noch jüngerer Mann von eleganter Gestalt stand nachlässig mit einem Ellbogen auf einen Baumwoll–ballen gelehnt, während eine große Brieftasche offen vor ihm lag. Es ließ sich mit einem Blick erkennen, daß dieser Evas Vater war. Er hatte dieselben edlen Umrißlinien des Kopfes, dieselben großen, blauen Augen, dasselbe goldbraune Haar, aber sein Ausdruck war ein völlig anderer. In den großen, klaren, blauen Augen, waren sie in Schnitt und Farbe auch denen des Kindes vollständig gleich, fehlte jene unbestimmte, traumhafte Tiefe; bei dem Vater war alles klar, kühn und hell, das Licht in seinen Augen aber stammte ganz von dieser Welt; der schön geschnittene Mund hatte einen stolzen und leicht spöttischen Ausdruck, jede Biegung und Wendung seiner schönen Gestalt aber drückte eine freie und lässig–anmutige Überlegenheit aus. Mit gutmütiger, nachlässiger Miene, halb belustigt und halb verächtlich hörte er jetzt Haley zu, der ihm wortreich und lobend die Ware anpries, um die sie handelten.
»Alle moralischen und christlichen Tugenden in Schwarzleder gebunden, vollzählig beieinander« sagte er, als Haley geendet hatte. »Also, mein guter Mann, wie hoch ist der Schaden, wie man bei uns in Kentucky sagt? Kurz und gut, wieviel wollen Sie haben bei diesem Geschäft? Um wieviel wollen Sie mich übers Ohr schlagen? Heraus mit der Sprache!«
»Na«, sagte Haley, »wenn ich dreizehnhundert Dollar für diesen Burschen verlange, dann komme ich gerade mit heiler Haut davon.«
»Armer Kerl«, sagte der Mann, den scharfen, spöttischen Blick seiner blauen Augen auf ihn heftend, »aber ich hoffe, aus besonderem Entgegenkommen werden Sie ihn mir dafür ablassen, wie?«
»Na, das junge Fräulein scheint ja ganz versessen auf ihn zu sein, mit gutem Grund.«
»Ja freilich, und das appelliert an Ihre Großmut, mein Freund. Also aus christlicher Barmherzigkeit, wie billig können Sie ihn ablassen, um einer jungen Dame gefällig zu sein?«