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Während seiner Kindheit zeichnete er sich durch eine ungewöhnliche Weichheit des Charakters aus, wie man sie mehr bei der Sanftheit des weiblichen Geschlechts als bei der üblichen Härte seines eigenen vermutet. Mit der Zeit jedoch überzog sich diese Weichheit mit der rauhen Rinde seiner Männlichkeit, nur wenige ahnten, wie lebendig und frisch sie noch darunter fortbestand. Er besaß reiche Gaben des Geistes. In einem der Randstaaten lernte er ein hochgesinntes, schönes Mädchen kennen, gewann ihre Liebe und verlobte sich mit ihr. Er kehrte in den Süden zurück, um die Vorbereitungen zur Hochzeit zu treffen, als er völlig unerwartet seine Briefe durch die Post zurückerhielt und eine kurze Mitteilung ihres Vormundes ihn in Kenntnis setzte, daß seine Braut noch vor Eintreffen dieser Zeilen die Gattin eines anderen sein werde. St. Clare glaubte, den Verstand zu verlieren. Zu stolz, um Erklärungen zu erbitten oder einzuholen, warf er sich unverzüglich in den Strudel rauschender Geselligkeit und war schon vierzehn Tage nach Empfang des Briefes der Auserwählte der gefeierten Schönheit der Saison. Die Hochzeit wurde sogleich angesetzt, und schon war er der Gemahl einer Frau, die ihm eine blendende Figur, glänzende, dunkle Augen und hunderttausend Dollar in die Ehe brachte. Natürlich hielt ihn alle Welt für einen ausgemachten Glückspilz.

Das junge Paar verbrachte seine Flitterwochen im glänzenden Freundeskreis in einer herrlichen Villa am See Pontchartrein, als man ihm eines Tages einen Brief brachte, dessen Handschrift ihm nur allzu vertraut war. Er erhielt ihn, als er ausgelassen und sprühend eine ganze Gesellschaft unterhielt. Beim Anblick der Handschrift wurde er totenblaß, aber er bewahrte seine Fassung und beendete das Wortgeplänkel mit seiner reizenden Nachbarin, kurz danach vermißte man ihn im Kreise. Allein in seinem Zimmer öffnete und las er den Brief, der doch viel zu spät kam. Er war von ihr und enthielt einen langen Bericht über Verfolgungen, die sie von seiten der Familie ihres Vormundes hatte erdulden müssen, um sie zu veranlassen, sich mit dessen Sohn zu verbinden. Sie berichtete, wie seit längerer Zeit seine Briefe ausgeblieben waren, wie sie immer wieder geschrieben hatte, um endlich voll Zweifel und Elend zu verzagen. Der Brief schloß mit dem Ausdruck der Hoffnung und Dankbarkeit, mit Beteuerungen der unverbrüchlichen Liebe, die dem unseligen jungen Mann bitterer als der Tod erschienen. Umgehend schrieb er zurück:

»Ich habe Deinen Brief erhalten — aber zu spät. Ich habe alles geglaubt, was man mir sagte. Ich war vollkommen verzweifelt. Ich bin verheiratet, und alles ist aus. Du mußt vergessen — das ist alles, was uns beiden übrigbleibt.«

Und so endete das Lebensideal, die ganze Romantik des Lebens für Augustin St. Clare. Nur die Wirklichkeit war ihm verblieben, eine flache, leere Wirklichkeit.

Natürlich, in einem Roman bricht den Leuten das Herz, und sie sterben, damit endigt das Ganze, und in einer Geschichte ist das sehr praktisch. Aber im wirklichen Leben sterben wir nicht, wenn alles, was uns das Leben hell macht, zugrunde geht. Da bleibt noch immer der gewichtige Kreislauf von Essen und Trinken, von Ankleiden und Ausgehen, von Besuchen, von Kaufen und Verkaufen, von Reden und Lesen; was wir gemeinhin das Leben nennen bleibt übrig und ist zu bestehen, und dieses blieb auch Augustin übrig. Wäre seine Frau eine richtige Frau gewesen, hätte sie noch manches tun können — wie Frauen das verstehen -, um die zerrissenen Fäden seines Lebens wieder anzuknüpfen und sie aufs neue zu einem glänzenden Gewebe zu verarbeiten. Aber Marie St. Clare bemerkte nicht einmal, daß sie zerrissen waren. Wie wir bereits berichteten, bestand sie aus einer blendenden Figur, glänzenden Augen und hunderttausend Dollar. Keine dieser Eigenschaften war dazu angetan, ein krankes Gemüt zu pflegen.

Im Grunde seines Herzens war Augustin froh, daß er eine so wenig einsichtige Frau geheiratet hatte; aber als der erste Glanz der Flitterwochen verflogen war, entdeckte er, daß eine schöne, junge Frau, die ihr Leben lang nur verhätschelt und bedient worden war, im täglichen Leben eine sehr harte Herrin sein kann. Marie hatte nie viel Gefühl oder Gemüt besessen, das wenige aber, was sie hatte, wurde von einer großen Selbstsucht aufgesogen.

Als St. Clare anfing, in seinem Unglück die kleinen Aufmerksamkeiten zu unterlassen, kam es zu Tränenströmen, Schmollen und heftigen Ausbrüchen, zu Auftritten, Klagen und Beschwerden. St. Clare war gutherzig und nachgiebig und suchte sie mit Geschenken und Schmeicheleien zu beschwichtigen, und als Marie ihm eine süße, kleine Tochter schenkte, empfand er große Zärtlichkeit für sie.

St. Clares Mutter war eine Frau von ungewöhnlicher Hoheit und Reinheit des Charakters gewesen, daher gab er seinem Kind den Namen seiner Mutter in der zärtlichen Vorstellung, daß sie damit zu deren Ebenbild werde. Dies war seiner Frau nicht entgangen, sie betrachtete die hingebende Liebe ihres Mannes zu dem Kinde mit Argwohn und Abneigung.

Mit ihren Klagen nahm es kein Ende. Aber ihre ganze Stärke schien in der Migräne zu liegen, die sie zuweilen drei Tage in der Woche ans Zimmer fesselte. Damit fiel natürlich die Lenkung des Haushalts den Dienstboten zu, so daß St. Clare sein häusliches Leben keineswegs als behaglich empfand. Seine kleine Tochter war sehr zart. Da niemand sich um sie kümmerte und nach ihr sah, mußte er fürchten, daß ihre Gesundheit und ihr Leben der Unfähigkeit ihrer Mutter zum Opfer fallen könnte. Daher hatte er sie auf eine Reise nach Vermont mitgenommen und seine Kusine, Miß Ophelia St. Clare überredet, gemeinsam mit ihnen in die Südstaaten zurückzukehren. Auf unserem Dampfer, wo wir sie soeben vorstellten, befanden sie sich auf der Heimreise.

Während sich in der Ferne bereits die Türme und Dächer von New Orleans abzeichnen, bleibt uns noch Zeit genug, auch Miß Ophelia vorzustellen.

Auf einer Farm voll Ordnung und Sauberkeit, in einer Familie von strengen Grundsätzen und in einem Hause, das stets aussah, als ob gerade alles frisch aufgeräumt wäre, hatte Miß Ophelia ein ruhiges Leben von ungefähr fünfundvierzig Jahren zugebracht, als ihr Vetter kam und sie nach den Südstaaten einlud. Als Älteste einer großen Familie wurde sie von Vater und Mutter noch immer als >eins der Kinder< betrachtet, und der Vorschlag, nach Orleans zu reisen, war für den ganzen Familienkreis ein Ereignis. Der alte grauköpfige Vater holte den Atlas aus dem Bücherschrank und schlug den genauen Breiten–und Längengrad nach; er zog verschiedene Reiseführer zu Rate, um sich über das fremde Land eine Meinung zu bilden.

Die gute Mutter fragte ängstlich, ob >Orleans nicht ein gottloser Ort sei<, und erklärte, daß ihr eine solche Reise nicht anders vorkäme, als wenn sie nach den Sandwich–Inseln oder unter die Heiden führe.

Der Leser sieht Miß Ophelia jetzt in einem Reisekleid aus glänzend braunem Leinen, eine große, breitschultrige, eckige Gestalt. Ihr Gesicht war dünn, mit scharfen Umrißlinien, die Lippen zusammengepreßt wie bei Leuten, die gewohnt sind, über alle Dinge eine feste Meinung zu haben; während die lebhaften Augen einen merkwürdig forschenden und überlegten Ausdruck hatten und überall umherspähten, ob nicht etwas ihrer Obhut bedürfe.

Jede ihrer Bewegungen war scharf, bestimmt und energisch; und wenn sie auch nicht viel redete, so waren ihre Worte doch klar und unmißverständlich und trafen stets ins Ziel.

In ihren Gewohnheiten war sie die verkörperte Ordnung und Genauigkeit. Ihre Pünktlichkeit war so zuverlässig wie ein Uhrwerk und so unerbittlich wie eine Lokomotive, und sie verachtete und verabscheute entschieden alles, was in dieser Hinsicht ihrer Natur entgegengesetzt war.

Die Sünde aller Sünden in ihren Augen — die Summe aller Übel–gipfelte für sie in dem häufigen und wichtigen Ausdruck — Liederlichkeit^ In der Betonung des Wortes liederlich drückte sie ihre letzte und endgültige Verachtung aus, und damit bezeichnete sie jedes Verhalten, das nicht in direkter Beziehung zur Vollendung einer festen Absicht stand. Leute, die nichts taten oder nicht genau wußten, was sie eigentlich wollten, die nicht geradewegs auf ein festes Ziel zusteuerten, waren Gegenstand dieser völligen Verachtung, einer Verachtung, die sie weniger in Worten als in einem steinernen Ingrimm äußerte, als ob sie es verschmähte, der Sache Erwähnung zu tun.