»Dann lebe wohl«, sagte Georg, Elizas Hände ergreifend und ihr bewegt in die Augen blickend. Beide verharrten in tiefem Schweigen. Ihre Hoffnung auf ein Wiedersehen hing an einem Seidenfaden, letzte Worte des Abschieds, Schluchzen und bittere Tränen–das war alles, dann riß er sich los, und sie blieb weinend zurück.
4. Kapitel
Ein Abend in Onkel Toms Hütte
Onkel Toms Hütte war ein kleines Blockhäuschen neben dem >Hause<, wie die Neger die herrschaftliche Wohnung allgemein bezeichnen. An seine Vorderfront grenzte ein sauberes Stück Garten, wo jeden Sommer Erdbeeren, Himbeeren und manche andere Früchte und Gemüsearten unter sorgfältiger Pflege gediehen. An der Vorderseite der Hütte wucherten eine rote Begonie und eine einheimische Heckenrose, die so ineinander verwachsen waren, daß sie kaum eine Spur von den rohen Balken freiließen. Ferner wuchsen hier im Sommer in bunter Eintracht viele einjährige Pflanzen, Ringelblumen, Petunien und Löwenmäulchen, die unbekümmert und so recht zur Freude und Genugtuung von Tante Chloe ihren Glanz entfalten konnten.
Betreten wir also das Häuschen. Die Abendmahlzeit im Herrenhause war vorbei, und Tante Chloe, die als erste Köchin alle Vorbereitungen überwachte, hatte untergeordneten Kräften das Geschäft des Spülens und Aufräumens überlassen, um nun im eigenen blitzblanken Heim ihrem Alten das Abendbrot zu richten. In höchsteigener Person steht sie dort am Feuer und beobachtet voll Spannung und Interesse, wie es dort in der Pfanne brutzelt, oder sie lüftet mit heiligem Ernst den Deckel einer Kuchenform, deren Dämpfe zweifellos etwas Gutes verheißen. Sie hat ein rundes, schwarzes, glänzendes Gesicht, so glänzend, daß man denken könnte, sie habe es mit Eiweiß glasiert wie ihre leckeren Obsttörtchen. Unter dem gutgestärkten karierten Turban strahlt ihr fettes Gesicht vor Zufriedenheit und Genugtuung, ja wir müssen gestehen, ein Zug von Selbstbewußtsein findet sich auch darin, wie es sich für die erste Köchin der Umgegend gehört, als welche sie allgemein gilt und auch zu gelten beansprucht.
Da gab es im ganzen Hühnerhof kein Huhn, keinen Truthahn und keine Ente, die bei ihrem Anblick nicht nachdenklich wurden und angstvoll ihr letztes Stündlein nahen fühlten. Denn ihr ganzes Trachten war so sehr auf Schlachten, Füllen und Braten gerichtet, daß es jedes empfindsame Gefühl in Angst und Schrecken versetzen mußte. Ihr Maiskuchen in allen Formen seiner Abwandlung, wie Waffeln, Hörnchen und Plinsen, war allen Uneingeweihten ein heiliges Geheimnis. Ihr fetter Leib bog sich vor stolzer Heiterkeit, wenn sie von den vergeblichen Anstrengungen berichtete, die man in der Konkurrenz nicht gescheut hatte, um den Stand ihrer Vollkommenheit zu erreichen. Erwartete man >im Hause< Gäste, waren Mittagsoder Abendtafeln besonders festlich zu richten, dann erwachten ihre Lebensgeister, dann war sie in ihrem Element. Kein Anblick war ihr mehr willkommen, als ein Stapel Reisekoffer, der sich in der Veranda türmte, dann witterte sie heiße Küchenschlachten und neue Triumphe.
Gegenwärtig jedoch ist sie vertieft in den Anblick ihrer dampfenden Kuchenform, bei welcher Beschäftigung wir sie getrost belassen können, um so lange die Hütte zu betrachten.
In einer Ecke stand ein Paradebett, sauber, mit einer schneeweißen Decke überzogen, davor lag ein Teppich von beachtlicher Größe. Auf diesen Teppich war Tante Chloe mächtig stolz, er gehörte zu einem vornehmen Leben, deshalb pflegte und hütete sie ihn, und auch das Bett, das er schmückte, ja die ganze Ecke, wie ihren Augapfel und wehrte dem Toben und Tollen des jungen Volkes, das hier nichts berühren durfte. Denn diese Ecke war der Salon der Hütte. In der anderen Ecke hingegen stand ein Bett von viel bescheidenerem Ausmaß, offensichtlich zum Gebrauch bestimmt. Über dem Kamin hingen herrliche Bilder aus der Heiligen Schrift, neben einem Porträt des Generals Washington, so erstaunlich gezeichnet und gemalt, daß es den Helden, hätte er es je zu Gesicht bekommen, bestimmt höchlichst belustigt hätte.
Auf einer einfachen Holzbank in der dritten Ecke unterhielten sich ein paar wollköpfige Jungen mit funkelnden schwarzen Augen und fettglänzenden Wangen damit, die ersten Gehversuche der Jüngsten zu überwachen, die, wie das zu sein pflegt, nur darin bestanden, daß das Baby sich aufrichtete, einen Augenblick balancierte, um dann wieder hinzufallen, wobei die Lausbuben jeden einzelnen Vorgang weidlich bewunderten.
Den Tisch, der sich etwas mühsam auf den Beinen hielt, hatte man vor dem Kaminfeuer aufgestellt. Auf dem Tischtuch prangten Tassen und Teller in schreiendem Muster, anscheinend sollte die Mahlzeit alsbald beginnen. An diesem Tisch nun saß Onkel Tom, Mr. Shelbys erste Kraft, und als den Helden unserer Geschichte müssen wir ihn dem Leser etwas näher beschreiben. Er war ein großer, breitschultriger, kräftig gebauter Mann, von glänzender tiefschwarzer Farbe, mit einem Gesicht, auf dessen typisch afrikanischen Zügen sich ein Ausdruck von ernster und verständiger Ruhe spiegelte, der von Wohlwollen und Freundlichkeit erhellt wurde.
Seine ganze Erscheinung drückte neben Würde und Selbstbewußtsein eine treuherzige und bescheidene Einfachheit aus.
In diesem Augenblick war er völlig in eine Schreibübung vertieft. Langsam und umständlich malte er auf eine Schiefertafel einige Buchstaben, wobei ihn der junge Herr Georg beaufsichtigte, ein aufgeweckter frischer Junge von dreizehn Jahren, der sich der Würde eines Lehrmeisters durchaus bewußt zu sein schien.
»Nicht nach der falschen Seite, nicht doch«, rief er eifrig, als Onkel Tom die Schleife eines g nach rechts abbrechen wollte, »das wird ja ein q, sieh doch!«
»Ihr habt recht«, sagte Onkel Tom, und sah voll Bewunderung und Respekt, wie sein junger Lehrer wahllos beliebig viele g und q auf die Tafel zauberte, um den Stift aufs neue in seine Hand zu nehmen und von vorn zu beginnen.
»Wie leicht das alles den Weißen fällt«, sagte Tante Chloe, einen Augenblick innehaltend — sie wischte gerade eine Bratpfanne mit einer Speckschwarte aus — und den jungen Georg bewundernd anblickend, »wie fein er schreiben und lesen kann, und dann auch noch jeden Abend herüberzukommen, um seine Lektion vorzulesen, das ist allerhand.«
»Ich bin hungrig, Tante Chloe, das ist auch allerhand«, sagte Georg. »Ist dein Kuchen in der Form nicht endlich fertig?«
»Beinahe, junger Herr, beinahe«, sagte Tante Chloe, indem sie den Deckel prüfend in die Höhe hob, »wird schön braun, goldbraune Farbe. Da soll mir einer kommen! Neulich ließ die Gnädige Sally einmal backen, damit sie es lerne, wie sie sagte. >Ach, gnädige Frau<, sagte ich, >das kann ich nicht mit ansehen, da wird mir schlecht, wenn so die guten Zutaten verschleudert werden, ein Kuchen, der nur an einer Seite aufgeht und keine richtige Form annimmt wie ein alter Schuh, der kann mir gestohlen bleiben.<«
Mit diesem abschließenden Urteil ihrer Verachtung für Sallys Anfängerkünste entfernte Tante Chloe endgültig den Deckel von der Kuchenform und brachte einen herrlich gebackenen Kuchen zum Vorschein, dessen sich kein Konditor in der Stadt hätte zu schämen brauchen. Er war als Höhepunkt der Mahlzeit gedacht, so daß Tante Chloe sich nun dem anderen Teil des Abends widmen mußte.
»Weg mit euch, Mose und Peter, geht mir aus dem Weg, ihr Nigger, du auch, Polly, mein Honigkuchen, wart noch ein bißchen, Mammi gibt dir gleich etwas. Und jetzt, junger Herr, nehmt eben die Bücher fort und setzt Euch hin mit meinem Alten, ich nehme jetzt die Würstchen heraus, und dann bekommen Sie die ersten Puffer auf den Teller.«
»Ich sollte eigentlich nach Hause gehen zum Abendessen«, sagte Georg, »aber ich wußte schon, wo ich etwas Gutes bekommen würde, Tante Chloe.«
»Recht hast du, recht hast du, mein Goldjunge«, sagte Tante Chloe und häufte ihm die knusprigen Puffer auf den Teller. »Du hast gewußt, deine alte Tante hebt dir etwas Leckeres auf, du kennst dich aus«, und damit schubste sie ihn strahlend in die Seite, lachte herzlich und wandte sich wieder voll Eifer ihrer Bratpfanne zu.