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Das Kind stand da und betrachtete ernsthaft die Mutter in ihrem neuen und seltsamen Aufzug, es sagte nichts, atmete nur tief und spähte verstohlen unter seinen dunklen Locken hervor.

»Kennt Harry seine Mama nicht mehr?« sagte Eliza und streckte die Arme nach ihm aus.

Das Kind schmiegte sich schüchtern an die andere Frau.

»Komm, Eliza, warum willst du ihn locken, du weißt doch, wir wollen ihn fernhalten?«

»Ich weiß, es ist töricht«, erwiderte Eliza, »aber es ist mir schrecklich, wenn er sich abwendet. Aber, komm — wo ist mein Mantel? Hier — wie tragen Männer ihren Mantel, Georg?«

»Du mußt ihn so tragen«, sagte ihr Mann und warf ihn über die Schulter.

»So also«, sagte Eliza und imitierte die Bewegungen; »und ich muß aufstampfen, große Schritte machen und keck aussehen.«

»Übernimm dich nicht«, riet ihr Georg. »Es gibt auch hin und wieder einen bescheidenen jungen Mann; die Rolle wird dir leichter fallen.«

»Und diese Handschuhe! Gott steh mir bei!« rief Eliza; »meine Hände verlieren sich darin.«

»Ich rate dir, behalte sie auf alle Fälle an«, sagte Georg, »dein schmales Pfötchen kann uns alle verraten. Also, Mrs. Smyth, Sie gehen jetzt zu uns und sind unsere Tante — nicht vergessen!«

»Ich habe gehört«, antwortete Mrs. Smyth, »daß Männer unten waren und alle Schiffskapitäne vor einem Mann und einer Frau mit einem kleinen Jungen gewarnt haben.«

»So, so«, sagte Georg. »Na, wenn wir die Leute sehen, werden wir sie melden.«

Eine Kutsche hielt jetzt vor der Tür, und die freundliche Familie, welche die Flüchtlinge aufgenommen, drängte sich abschiednehmend herbei.

Die Verkleidung der Gesellschaft ging auf Tom Lockers Vorschlag zurück. Mrs. Smyth, eine angesehene Frau aus einer Quäkersiedlung in Kanada, dem Ziel ihrer Flucht, befand sich gerade auf der Rückreise und hatte sich bereit erklärt, als Tante des kleinen Harry zu gelten. Damit er sich ihr leichter anschloß, hatte er die letzten zwei Tage völlig unter ihrer Obhut verbracht. Besondere Verwöhnung, verbunden mit Unmengen von Bonbons und Mohnkuchen, hatten die Freundschaft auf Seiten des kleinen Herrn fest untermauert.

Die Kutsche brachte sie an die Werft. Die beiden jungen Männer stiegen aus und betraten das Fallreep, Eliza reichte Mrs. Smyth galant den Arm, und Georg kümmerte sich um das Gepäck.

Georg stand vor dem Billettschalter, um für seine kleine Gesellschaft zu bezahlen, als er zwei Männer neben sich reden hörte.

»Ich habe alle Fahrgäste auf dem Schiff beobachtet«, sagte der eine; »ich weiß, daß sie nicht hier sind.«

Die Stimme gehörte einem Schiffsangestellten; sein Nachbar, an den er seine Worte richtete, war unser ehemaliger Freund Marks, der in lobenswerter Hartnäckigkeit nach Sandusky gekommen war, um zu sehen, wen er dort verschlingen könnte.

»Man kann die Frau kaum von einer Weißen unterscheiden«, antwortete Marks. »Der Mann ist ein sehr heller Mulatte. Er trägt ein Brandmal auf der Hand.«

Georgs Hand zitterte leicht, als er Fahrkarten und Kleingeld an sich nahm; aber er drehte sich kaltblütig um, streifte den Sprecher mit einem gleichgültigen Blick und schritt gelassen zu dem anderen Schiffsende, wo Eliza auf ihn wartete.

Mrs. Smyth suchte mit dem kleinen Harry die Geborgenheit der Damenkabinen auf, wo die dunkle Schönheit des angeblichen kleinen Mädchens die Mitreisenden zu mancher schmeichelhaften Bemerkung veranlaßte.

Mit Befriedigung sah Georg, daß Marks beim Abschiedsläuten der Schiffsglocke über das Fallreep zurück an Land ging; und er stieß einen tiefen Seufzer der Erleichterung aus, als der Dampfer einen unüberbrückbaren Abstand zwischen sich und die Küste legte.

Wer konnte ermessen, welche Gedanken Georgs Brust bewegten, als er ruhig auf Deck des Dampfers hin und her ging, neben sich seinen schüchternen Gefährten! Das mächtige Gut, dem er sich immer mehr näherte, schien zu schön, zu groß zu sein, um Wirklichkeit zu werden; den ganzen Tag war er voll Unruhe, es möchte ihm in letzter Minute noch entrissen werden.

Aber der Dampfer durchpflügte das Wasser — Stunden flogen vorbei, und schließlich tauchte klar und greifbar die kanadische Küste auf, die Küste, die wie ein mächtiger Zauber bannte — die mit einem Schlag alle Spuren der Sklaverei austilgte, gleichgültig in welcher Sprache sie aufrechterhalten oder von welcher nationalen Macht sie bestätigt wurde.

Georg stand Arm in Arm mit seinem Weib an der Reling, als der Dampfer sich der kleinen Stadt Amherstberg in Kanada näherte. Sein Atem ging schwer und mühsam, ein Schleier legte sich ihm vor die Augen; stumm preßte er die Hand, die zitternd auf seinem Arm lag. Die Glocke läutete — das Schiff legte an. Kaum wissend, was er tat, suchte er sein Gepäck zusammen und versammelte seine kleine Gesellschaft. Zusammen gingen sie an Land. Sie standen noch und warteten, bis sich das Schiff geleert hatte. Und dann knieten Mann und Weib mit dem verwunderten Kind in der Mitte unter Tränen und Umarmungen auf dem Boden der Freiheit nieder.

Bald geleitete Mrs. Smyth die kleine Gesellschaft zu dem gastlichen Hause eines guten Missionars, der in christlicher Barmherzigkeit wie ein Schafhirte die Vertriebenen und Heimatlosen sammelte, die stets Zuflucht an dieser Küste fanden.

37. Kapitel

Der Sieg

Als Tom seinem Verfolger von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand, seine Drohungen hörte und in tiefster Seele dachte, seine letzte Stunde habe geschlagen, schwoll sein Herz in heißer Tapferkeit. Aber als der andere gegangen und die Erregung verebbt war, kehrte der Schmerz seiner zerschlagenen Glieder und das Bewußtsein seines unwürdigen, trostlosen Zustandes zurück, und der Tag schlich kummervoll dahin.

Lange, ehe seine Wunden verheilt waren, bestand Legree darauf, daß er wieder an der Feldarbeit teilnahm, und nun folgte täglich Pein und Plage, erschwert durch jede Art von Ungerechtigkeit und Niedertracht, die ein bösartiges, heimtückiges Gemüt nur ersinnen konnte. Wer immer von uns in unsern Verhältnissen Schmerzen auszustehen hat, selbst mit allen Erleichterungen, die uns gewöhnlich erreichbar sind, kennt die Gereiztheit, die damit Hand in Hand geht. Tom wunderte sich nicht mehr über die beständige Verdrossenheit seiner Leidensgenossen; nein, er sah, wie selbst seine gelassene Heiterkeit, die ihm zur Lebensgewohnheit geworden war, gefährlich in die Brüche ging und unter der täglichen Mühsal dahinschwand. Er hatte sich getröstet, in seinen Mußestunden die Bibel lesen zu können, aber hier konnte von Mußestunden keine Rede sein. Auf der Höhe der Ernte zögerte Legree nicht, seine Leute sonntags und werktags gleichermaßen zu schinden. Warum sollte er nicht? Dadurch erntete er mehr Baumwolle und gewann seinen Einsatz. Anfangs hatte Tom nach der Plage des Tages noch ein oder zwei Verse aus der Bibel beim flackernden Schein des Feuers gelesen, aber nach der grausamen Behandlung, die er empfangen, war er fortan am Abend so erschöpft, daß sein Kopf dröhnte und seine Augen versagten, wenn er zu lesen versuchte; er konnte sich nur noch mit den andern in völliger Erschöpfung auf dem Boden ausstrecken.

Eines Abends saß er vollkommen niedergeschlagen und mutlos vor einem niedergebrannten Feuer, an dem er sein grobes Abendbrot buk. Er legte etwas Reisig auf, schürte das Feuer zu hellerem Licht und zog seine abgegriffene Bibel aus der Tasche. Da waren alle die angestrichenen Stellen, die seine Seele so oft erhoben hatten. Worte der Patriarchen und Propheten, der Dichter und Weisen, die seit frühen Zeiten den Menschen Trost gespendet, Stimmen aus der großen Schar der Zeugen, die im Laufe unseres Lebens uns immer gegenwärtig sind. Hatte das Wort auf einmal seine Gewalt verloren, oder konnte das versagende Auge, seine stumpfen Sinne den Anruf dieser mächtigen Inspiration nicht mehr wahrnehmen? Ein rohes Lachen ließ ihn aufblicken — Legree stand ihm gegenüber.