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»Na, alter Junge«, sagte er, »anscheinend funktioniert deine Religion nicht mehr recht, was? Ich dachte mir doch, diese Erkenntnis müßte auch einmal durch deine schwarze Wolle dringen.«

Der grausame Hohn war schlimmer als Hunger, Kälte und Blöße. Tom schwieg.

»Du warst ein Dummkopf«, fuhr Legree fort; »ich hatte es gut mit dir gemeint, als ich dich kaufte. Du hättest dich besser stellen können als Sambo oder auch Quimbo und hättest gute Zeiten gehabt; anstatt alle paar Tage Prügel einzustecken, hättest du sie wie ein Herr an andere Nigger austeilen können. Du hättest sogar manchmal einen guten Whisky–Punsch gekriegt. Na, Tom, willst du nicht lieber vernünftig sein? Wirf den alten Plunder ins Feuer und tritt meiner Kirche bei.«

»Der liebe Gott bewahre mich!« sagte Tom erglühend.

»Du siehst doch, daß Gott dir nicht hilft, sonst wärst du nie in meine Gewalt geraten. Deine Religion ist nichts wie Lug und Trug, Tom. Ich weiß es am besten. Halte dich an mich; ich bin jemand und kann allerhand tun!«

»Nein, Herr, ich wanke nicht. Der liebe Gott mag mir helfen oder nicht, aber ich bleibe bei ihm und glaube an ihn bis zuletzt!«

»Um so schlimmer für dich«, sagte Legree, spuckte ihn zornig an und gab ihm einen Fußtritt. »Das macht nichts, ich werde dich schon hetzen und kleinkriegen, warte nur!« Damit wandte er sich ab.

Der gottlose Spott seines grausamen Herrn drückte Toms verzagte Seele auf den tiefsten Stand hinab. Er saß wie betäubt am Feuer. Aber auf einmal schien alles ringsum zu verblassen, und vor ihm stand die Vision des Einen, der mit Dornen gekrönt, verhöhnt und geschlagen wurde. Tom spähte mit Staunen und Verehrung in die erhabene Geduld dieses Antlitzes; die tiefen Augen drangen ihm tief ins Herz, seine Seele erwachte, während er in überströmendem Gefühl mit ausgestreckten Armen auf die Knie sank; da verwandelte sich die Vision allmählich, die scharfen Dornen wurden zu Strahlen der Herrlichkeit, und in unermeßlichem Glanz sah Tom, wie dasselbe Antlitz sich ihm mitleidig zuneigte, und eine Stimme sprach: »Er, der überwindet, soll neben mir auf meinem Throne sitzen, wie auch ich überwunden habe und neben meinem Vater auf dem Thron sitze.«

Als der blasse Schein des Morgens die Schläfer aufrief zur Feldarbeit, da ging einer unter den zerlumpten Elendsgestalten mit beflügeltem Schritt; fester als der Boden unter ihm war sein starker Glaube an die allmächtige, ewige Liebe.

Von nun an war das demütige Herz des Unterjochten eingehüllt in eine Sphäre des Friedens — der stets gegenwärtige Erlöser hatte es zu seinem Tempel erkoren. Vorbei waren die irdischen Bedenken, vorbei das Aufflackern der Hoffnung, der Furcht, des Verlangens–der menschliche Wille, gebrochen und blutend, war nach den langen Kämpfen eingegangen in den göttlichen.

Allen fiel die Wandlung in seinem Äußeren auf. Heiterkeit und Behendigkeit schienen zu ihm zurückgekehrt zu sein, eine Ruhe ihn zu erfüllen, die von keinem Unrecht mehr getrübt werden konnte.

»Was zum Teufel ist in Tom gefahren?« sagte Legree zu Sambo. »Noch vor kurzem war er ganz vergrämt, und nun ist er wieder munter wie ein Fisch im Wasser.«

»Keine Ahnung, Herr, vielleicht will er ausreißen?«

»Das möchte ich erleben«, erwiderte Legree mit wildem Grinsen, »du nicht auch, Sambo?«

Diese Worte wurden gewechselt, als Legree sein Pferd bestieg, um in die nächste Stadt zu reiten. Am Abend, als er zurückkehrte, fiel ihm ein, noch am Quartier vorbeizureiten und nachzusehen, ob alles in Ordnung sei. Er war nicht mehr weit davon entfernt, als er ein Singen vernahm. Das war in dieser Gegend ein ungewöhnlicher Klang, und lauschend blieb er stehen und hielt sein Pferd an. Er vernahm ein kirchliches Lied:

»Wenn ich im Himmel einen Ort Darf als mein Eigen nennen,

Dann wisch' ich meine Tränen fort,

Will keine Furcht mehr kennen …«

»Aha«, sprach Legree zu sich selbst, »so denkt er also? Wie ich diese Lieder hasse! Ha, du Nigger!« sagte er und erschien plötzlich vor Tom.

»Was unterstehst du dich, diesen Lärm zu machen, wenn du längst in der Falle liegen solltest? Halte dein schwarzes Maul und verschwinde!«

»Ja, Herr«, erwiderte Tom mit heiterer Bereitwilligkeit.

Er stand unterwürfig da, aber Legree konnte sich nicht verhehlen, daß er seine Gewalt über seinen Leibsklaven eingebüßt hatte. Und als Tom in seiner Hütte verschwand, riß er sein Pferd herum. Es durchschoß ihn wie ein Blitz, der zuweilen vom Gewissen aus auch die dunkle und sündige Seele streift.

Toms ganze Seele floß über von Mitleid und Sympathie mit seinen armen Leidensgenossen. Ihm selber war zu Mute, als ob seine eigenen Schmerzen vorüber seien, und er fühlte sich gedrängt, von dem seltsamen Schatz des Friedens und der Liebe, der ihm von oben anvertraut war, ihnen mitzuteilen und ihr Leid zu lindern. Es war richtig, er hatte nur sehr spärliche Möglichkeiten; aber auf dem Hin–und Rückweg zur Arbeit und während der Arbeitsstunden selbst konnte er den Mutlosen und Verzagten zuweilen hilfreich zur Hand gehen. Die armen, verrohten, abgearbeiteten Geschöpfe verstanden ihn anfangs gar nicht, aber als er es Woche für Woche und Monat für Monat fortsetzte, begann in ihren verstummten Herzen doch eine Saite zu klingen. Aber unmerklich und allmählich gewann dieser seltsame, stille, geduldige Mensch, der bereitwillig alle Lasten trug und von niemand Hilfe verlangte — der vor jedem zurücktrat, immer zuletzt und dann das wenigste nahm, aber jedem, der es nötig hatte, von seinem geringen Anteil abgab — dieser Mensch, der in kalten Nächten seine zerrissene Decke jeder Frau abtrat, die krank und fröstelnd darniederlag, der den Schwachen auf dem Felde, auf die schreckliche Gefahr hin, selber sein Maß nicht zu erfüllen, die Körbe füllte.

Die arme Mulattin, deren schlichter Glaube durch die Lawine der Grausamkeit und des Unrechts, die über sie hereingebrochen, fast zermalmt und überwältigt worden war, fühlte jetzt, wie ihre Seele sich bei den Chorälen und den Stellen aus der Heiligen Schrift wieder aufrichtete, die ihr der bescheidene Missionar auf dem Wege zur und von der Arbeit mit Unterbrechungen ins Ohr flüsterte; selbst Cassys halbgetrübter, schweifender Geist beruhigte sich unter Toms einfachem unaufdringlichem Einfluß.

Eines Tages, nachdem in Toms Hütte alle in Schlaf gesunken waren, erschien ihr Gesicht plötzlich in einem Loch zwischen den Balken, das als Fenster diente; Tom wurde sofort hell wach, da bat sie ihn mit stummer Geste, herauszukommen.

Tom trat aus der Tür. Es war zwischen ein und zwei Uhr nachts–voll und ruhig schien der Mond. Tom bemerkte in seinem Licht, daß in Cassys großen dunklen Augen ein eigentümlich wilder Glanz leuchtete, ganz unähnlich ihrer sonstigen starren Schwermut.

»Komm her, Vater Tom«, sagte sie; ihre Hand umklammerte sein Handgelenk und zog ihn mit einer Kraft näher, als sei die Hand aus Eisen; »komm her — ich habe eine Neuigkeit.«

»Was denn, Frau Cassy?« fragte Tom ängstlich.

»Tom, hättest du nicht gern deine Freiheit?«

»Ich erhalte sie nach Gottes Willen«, erwiderte Tom.

»Ei, du kannst sie heute nacht schon haben«, sagte Cassy in plötzlicher Energie. »Komm mit.«

Tom zögerte.

»Komm mit!« wiederholte sie flüsternd und starrte ihn aus schwarzen Augen an.

»Komm mit! Er ist fest eingeschlafen. Ich habe ihm genug in seinen Schnaps geschüttet. Wenn ich mehr gehabt hätte, brauchte ich dich jetzt nicht. Aber komm jetzt, die Hintertür ist aufgeriegelt. Da steht die Axt, ich hab sie hingestellt; seine Stubentür ist offen; ich zeige dir den Weg. Ich hätte es selbst getan, aber meine Arme sind zu schwach. Komm rasch!«

»Nicht um alles in der Welt, Frau!« sagte Tom fest und hielt sie zurück, als sie ihn vorwärtsdrängte.

»Denke doch an alle die andern«, sagte Cassy. »Wir könnten sie alle freilassen und in die Sümpfe gehen und dort auf einer Insel leben; das hat man schon früher getan. Jedes Leben ist besser als dieses.«