Cassy blickte ihn von ihrer Ecke aus durchdringend an. Wieder erschien das seltsame Licht in ihren Augen, das Legree immer mit Unruhe erfüllte.
»Der Lärm neulich rührte nur von Ratten und vom Wind her«, fing er wieder an. »Ratten können ja einen Höllenspektakel machen. Im Schiff hatten wir welche, die hörte ich auch; und der Wind — bei Gott, aus Wind kann man alles raushören.«
Cassy wußte, daß es Legree bei ihrem Blick nicht geheuer war, deshalb gab sie keine Antwort, sondern saß nur unbeweglich und starrte ihn mit seltsamen, unwirklichen Augen an.
»Komm, sag etwas — bist du anderer Meinung?«
»Können Ratten Treppen steigen und über den Flur gehen? Können sie eine verriegelte Tür öffnen, wenn man innen einen Stuhl dagegenlehnt?« fragte Cassy; »können sie mit langen, langen Schritten an dein Bett treten und dir eine Hand auflegen, so?«
Cassy hatte beim Sprechen Legree mit ihren glitzernden Augen fest angeblickt, und er starrte sie wie unter einem schweren Alpdruck an, bis sie geendet und ihre eiskalte Hand auf die seine legte; da sprang er mit einer Verwünschung in die Höhe.
»Was soll das heißen! Das hat doch niemand getan?«
»Oh, nein — gewiß nicht — hab ich das behauptet?« erwiderte Cas–sy und lächelte in eiskaltem Spott.
»Aber — haben sie — hast du sie wirklich gesehen? Komm, Cass, nun sprich schon!«
»Du kannst ja selbst da schlafen, wenn du es wissen willst!«
»Kam es vom Speicher, Cassy?«
»Es? Was?«
»Na — du sagtest doch.«
»Ich sagte gar nichts«, sagte Cassy in störrischem Eigensinn.
Legree ging jetzt unruhig im Zimmer auf und ab.
»Ich werde dieser Sache nachgehen. Ich werde es noch heute nacht feststellen. Ich werde meine Pistole mitnehmen.«
»Tu das, schlaf in dem Zimmer. Das würde ich gern sehen. Schieß deine Pistole ab — tu das!«
Legree stampfte mit dem Fuß auf und fluchte heftig.
»Fluche nicht«, sagte Cassy; »niemand kann wissen, wer zuhört. Horch! Was war das?«
»Was?« fragte Legree auffahrend.
Die schwere, alte Holländeruhr in der Zimmerecke schlug zwölf Uhr. Aus unerklärlichen Gründen blieb Legree stehen, er verstummte und rührte sich nicht; eine unbestimmte Angst befiel ihn, während Cassy, in den Augen noch immer das harte, höhnische Grinsen, ihn ansah und die Schläge zählte.
»Zwölf Uhr; ja jetzt wollen wir sehen«, sagte sie; sie öffnete die Tür zum Flur und blieb lauschend stehen.
»Horch, was ist das?« fragte sie und hob den Finger.
»Nur der Wind!« antwortete Legree. »Hörst du nicht, wie wild er bläst?«
»Simon, komm mal her!« flüsterte Cassy, berührte seine Hand und führte ihn zur Treppe. »Weißt du denn, was das ist? Horch!«
Ein wildes Kreischen ertönte durchs Treppenhaus. Es kam vom Speicher. Legrees Knie schlotterten; sein Gesicht war leichenblaß vor Angst.
»Holst du nicht lieber deine Pistole?« fragte Cassy mit einem Lachen, das Legree durch Mark und Knochen fuhr. »Man muß der Sache doch einmal nachgehen. Mir wäre es am liebsten, du gingst jetzt hinauf; jetzt sind sie dabei.«
»Jetzt will ich nicht hinauf!«
»Warum nicht? Du weißt doch, daß es Geister und dergleichen nicht gibt! Komm doch!« und Cassy floh lachend die gewundene Treppe hinauf und rief zurück: »Komm doch!«
»Ich glaube, du bist selbst der leibhaftige Teufel! Komm zurück! Komm zurück, Cass! Du sollst auch nicht hinaufgehen.«
Aber Cassy eilte mit wildem Lachen weiter. Er hörte, wie sie die Flurtür öffnete, die zum Speicher führte. Ein heftiger Windstoß fuhr herab und löschte die Kerze aus, die er in der Hand hielt, dabei erklangen grausige, unwirkliche Schreie; es war, als gellten sie ihm direkt in die Ohren. Legree stürzte ins Wohnzimmer zurück, wohin Cassy ihm einige Minuten später folgte, blaß, ruhig und kalt wie ein Racheengel, noch immer das entsetzliche Licht in den Augen.
»Ich hoffe, es hat dir genügt«, sagte sie.
»Die Pest soll dich holen, Cass!« erwiderte Legree.
»Weshalb? Ich bin nur hinaufgegangen und habe die Türen geschlossen. Was hat es mit dem Speicher für eine Bewandtnis, Simon, was denkst du?« fragte sie.
»Das geht dich gar nichts an!«
»So? Na gut«, sagte Cassy, »auf jeden Fall bin ich heilfroh, daß ich nicht mehr darunter schlafe.«
Cassy, die vorausgesehen hatte, daß der Wind sich noch am Abend erheben würde, war am Nachmittag oben gewesen und hatte die Bodenfenster geöffnet. Als sie nun vorhin die Tür aufmachte, war natürlich der Wind mit aller Gewalt heruntergefahren und hatte das Licht ausgeblasen.
In dieser Weise trieb Cassy ihr loses Spiel mit Legree, bis er soweit war, daß er eher seinen Kopf in den Rachen eines Löwen gesteckt, als den Speicher untersucht hätte. Inzwischen aber legte sie nachts, wenn alles schlief, dort oben langsam und umsichtig einen Vorrat an, groß genug, um sie einige Tage lang mit allem Notwendigen zu versorgen; Stück für Stück trug sie auch den größten Teil von Emmelines und ihrer eigenen Garderobe hinauf. Nachdem alles vorbereitet war, warteten sie nur auf eine günstige Gelegenheit, um ihren Plan in die Tat umzusetzen.
Zuletzt hatte sie Legree bei guter Laune gehalten und, sich seine bessere Gemütswandlung zunutze machend, ihn bewogen, daß er sie auf einer seiner Fahrten in die nächste Stadt mitnahm, die direkt am Red River lag. Mit ihrem zu äußerster Schärfe angespannten Gedächtnis prägte sie sich jede Straßenbiegung ein und überschlug in Gedanken die Zeit, die für einen Fußmarsch erforderlich war.
Da nun die Zeit zum Handeln herangereift war, möchte der Leser vielleicht einen Blick hinter die Kulissen werfen, um zu sehen, wie endlich der Handstreich vonstatten ging.
Es war gegen Abend. Legree war am Nachmittag zu Pferde bei einem entfernten Nachbarn gewesen. Seit vielen Tagen schon hatte sich Cassy ungewöhnlich gnädig und umgänglich gezeigt; sie befand sich mit Legree scheinbar in bestem Einvernehmen. Gegenwärtig treffen wir sie bei Emmeline, in deren Kammer sie eilig zwei kleine Bündel auswählt und zusammenschnürt.
»Das wär' geschafft; sie sind groß genug«, sagte Cassy. »Und nun setz dein Häubchen auf und laß uns aufbrechen; jetzt ist der richtige Augenblick gekommen.«
»Aber noch können sie uns sehen«, entgegnete Emmeline.
»Das sollen sie ja«, meinte Cassy kaltblütig. »Weißt du nicht mehr, daß sie uns auf jeden Fall verfolgen müssen? Die Sache soll sich folgendermaßen abspielen: Wir schleichen uns zur Hintertür hinaus und laufen unten beim Quartier vorbei. Sambo und Quimbo werden uns bestimmt erkennen. Sie werden die Jagd aufnehmen, und wir verschwinden in den Sümpfen. Dann können sie uns nicht länger folgen, bevor sie nicht Lärm geschlagen und die Hunde geholt haben; während sie alle durcheinanderrennen und übereinanderpurzeln, wie das immer der Fall ist, werden wir beide uns zu dem Bächlein durchschlängeln, das hinter dem Haus vorbeifließt, und darin zurückwaten, bis wir wieder an der Hintertür angelangt sind. Das wird die Hunde irreleiten, denn im Wasser verliert sich die Spur. Jeder wird aus dem Haus gestürzt sein, um uns zu suchen, wir stehlen uns zur Hintertür hinein und laufen zum Speicher, wo ich uns in den großen Holzverschlägen ein behagliches Lager aufgeschlagen habe. Auf dem Speicher werden wir längere Zeit bleiben müssen; denn, das kann ich dir sagen, Himmel und Erde wird er in Bewegung setzen, um uns zu finden. Er wird sich einige Aufseher von den Nachbarfarmen holen und eine große Jagd veranstalten, zentimeterweise werden sie das Gelände, jeden Busch und die Sümpfe absuchen.«
»Cassy, wie gut habt Ihr das alles geplant!« sagte Emmeline. »Wer hätte sich das wohl sonst so großartig ausgedacht?«
Aber in Cassys Augen spiegelten sich weder Freude noch Triumph — nur eine verzweifelte Entschlossenheit.