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»Komm«, sagte sie und nahm Emmeline bei der Hand.

Lautlos glitten die beiden Flüchtlinge aus dem Hause und huschten bei einbrechender Dunkelheit unten am Quartier vorbei. Die zunehmende Mondsichel stand wie ein Silberzeichen am westlichen Abendhimmel und zögerte noch ein wenig die Ankunft der Nacht hinaus. Wie Cassy erwartet hatte, hörten sie, als sie sich dem Rande der Sümpfe näherten, welche die Plantage umgab, wie eine Stimme sie anrief und zum Halten aufforderte. Es war allerdings nicht Sambo, sondern Legree, der sie mit wilden Flüchen verfolgte. Bei diesem Klang gaben Emmelines schwache Nerven nach; sie umklammerte Cassys Arm und sagte: »O Cassy, ich werde ohnmächtig!«

»Untersteh dich! Dann bring ich dich um!« erwiderte Cassy und zückte einen kleinen, blitzenden Dolch, den sie dem Mädchen drohend vor die Augen hielt.

Damit hatte sie ihre Absicht erreicht. Emmeline wurde nicht ohnmächtig, sondern brachte es fertig, mit Cassy in die Sumpfwildnis einzudringen, wo es so dicht und dunkel war, daß Legree zunächst die Verfolgung als hoffnungslos aufgeben und Hilfe holen mußte.

»Na«, sagte er mit brutalem Grinsen, »auf jeden Fall ist mir das Pack in die Falle gegangen. Da sind sie sicher. Das sollen sie mir büßen!«

»Heda! Sambo! Quimbo! Hallo, Leute!« rief Legree, beim Quartier angekommen, als gerade alle Frauen und Männer von der Arbeit zurückströmten. »Da sind zwei Ausreißer in den Sümpfen. Ich geb' jedem Nigger, der sie mir fängt, fünf Dollar, hört ihr, fünf Dollar! Laßt die Hunde los. Laßt Tiger und Wutgeheul laufen.«

Bei dieser Nachricht brach augenblicklich ein Aufruhr los. Viele der Leute sprangen eilfertig herbei und boten ihre Dienste an, teils in der Hoffnung auf die Belohnung, teils aus jener servilen Kriecherei, eine der beschämendsten Folgen ihrer Knechtschaft. Einige rannten hierhin, andere dorthin. Einige besorgten sich Kienfackeln, andere banden die Hunde los, deren heiseres, wütendes Gebell nicht wenig zu dem allgemeinen Trubel beitrug.

»Herr, sollen wir schießen, wenn wir sie aufspüren?« fragte Sambo, als sein Herr ihm ein Gewehr aushändigte.

»Du kannst auf Cassy schießen, wenn du willst; es wird Zeit, daß man sie in die Hölle befördert, wo sie hingehört; aber nicht auf das Mädchen«, sagte Legree. »Und nun Jungens, munter und flink! Fünf Dollar für den, der sie fängt; und für jeden ein Glas Schnaps obendrein.«

Nun brach die ganze Horde im Schein der lodernden Fackeln unter dem wütenden Gebell der Tiere und dem gellenden Geschrei der Menschen zu den Sümpfen auf, gefolgt von dem gesamten Hauspersonal. Infolgedessen lag das ganze Gebäude völlig verlassen da, als Cassy und Emmeline es von rückwärts betraten. Noch war die Luft angefüllt von dem Lärmen ihrer Verfolger; durch die Wohnzimmerfenster konnten die beiden Frauen den Trupp mit seinen Fackeln sehen, wie er sich am Rande der Sümpfe in langer Kette auflöste.

»Da sieh!« sagte Emmeline und deutete hinaus, »die Jagd hat begonnen! Sieh, wie die Lichter tanzen! Horch! Die Hunde! Hörst du sie nicht? Wenn wir jetzt da unten wären, stünde es schlecht um uns! O Gott, wir wollen uns bloß verstecken. Schnell doch!«

»Jetzt eilt es nicht«, antwortete Cassy kaltblütig; »die sind alle auf der Jagd — das ist das Vergnügen des Abends. Langsam werden wir uns hinaufziehen. Inzwischen«, sagte sie und zog vorsichtig einen Schlüssel aus der Jackentasche, die Legree in der Eile über einen Stuhl geworfen hatte, »inzwischen werde ich mir hier unser Reisegeld besorgen.«

Sie schloß den Schreibtisch auf und nahm ein Bündel Banknoten heraus, das sie eilig nachzählte.

»Ach, das wollen wir doch lieber nicht tun!« sagte Emmeline.

»Nicht?« fragte Cassy, »warum nicht? Willst du in den Sümpfen verhungern oder hiermit die Reise in die freien Staaten bezahlen? Geld vermag alles, Mädchen.« Und schon hatte sie das Geld in ihren Kleidausschnitt gesteckt.

»Es wäre doch Diebstahl«, flüsterte Emmeline in ängstlichem Flüsterton.

»Diebstahl!« Cassy lachte zornig. »Wer uns an Leib und Seele bestiehlt, darf nicht davon sprechen. Jeder einzelne dieser Scheine ist gestohlen — gestohlen von armen, verhungerten Geschöpfen, die für ihn schuften und schließlich seinetwegen vor die Hunde gehen müssen. Laß ihn von Diebstahl reden! Aber komm jetzt, wir können nun ebensogut hinaufgehen; ich habe da oben auch Kerzen aufgehoben und ein paar Bücher, damit uns die Zeit nicht lang wird. Du kannst ganz beruhigt sein, dort wird uns niemand suchen; sonst werde ich als Gespenst umgehen.«

Als Emmeline den Speicher betrat, fand sie den riesigen Holzverschlag, in dem einst schwere Möbel transportiert worden waren, auf die Seite gerückt, so daß die Öffnung sich der Wand oder vielmehr der Dachrinne gegenüber befand. Cassy zündete eine kleine Lampe an, dann krochen sie unter der Dachrinne entlang und richteten sich in dem Verschlag häuslich ein. Er war mit ein paar kleinen Matratzen und Kissen ausgelegt, eine Kiste daneben trug einen reichlichen Vorrat von Kerzen, Lebensmitteln und den nötigen Reisekleidern, die Cassy in zwei erstaunlich kleinen Bündeln untergebracht hatte.

»Dies wird also eine Zeitlang unsere Bleibe sein«, sagte Cassy und hängte die Lampe an einen kleinen Haken, den sie zu diesem Zweck in die Holzwand geschlagen hatte. »Wie gefällt sie dir?«

»Seid Ihr auch ganz sicher, daß man den Speicher nicht durchsucht?«

»Ich möchte Simon Legree wohl dabei sehen«, antwortete Cassy. »Nein, er wird wahrhaftig heilfroh sein, daß er sich fernhalten kann. Und was das Personal angeht, so wird sich jeder eher an die Wand stellen und erschießen lassen, als daß er sich hier herauf wagt.«

Etwas beruhigter lehnte sich Emmeline in die Kissen zurück.

»Was meintet Ihr damit, Cassy, als Ihr sagtet, Ihr wolltet mich töten?« fragte sie.

»Ich wollte dich am Ohnmächtigwerden hindern, und das ist mir gelungen. Laß dir das gesagt sein, Emmeline, du mußt dir fest vornehmen, nicht in Ohnmacht zu fallen, was auch immer kommen mag; dafür haben wir jetzt keine Verwendung. Hätte ich dich nicht gehindert, wärest du dem Bösewicht jetzt in die Hände gefallen.«

Emmeline fuhr schaudernd zusammen.

Beide verstummten für eine Weile. Laute Rufe, Pferdegetrappel und Hundegebell weckten sie; mit einem unterdrückten Schrei fuhr sie in die Höhe.

»Das sind nur die zurückgekehrten Jäger«, sagte Cassy beruhigend; »hab keine Angst, schau hier durch das Astloch. Siehst du sie nicht alle da unten? Simon muß es für heute abend aufgeben; sieh nur, wie schlammbedeckt sein Pferd ist von dem Umherstreifen im Sumpf; auch die Hunde sehen recht abgekämpft aus. Ach, lieber Herr, und wenn Ihr die Jagd aufs neue wagt — das Wild ist dort längst entschlüpft!«

»Oh, sprecht doch nicht!« bat Emmeline; »was geschieht, wenn Euch jemand hörte?«

»Wenn sie wirklich etwas hören, haben sie allen Grund, sich fernzuhalten«, sagte Cassy. »Da besteht keine Gefahr; wir können jeden Lärm machen, das wird unsere Wirkung nur steigern.«

Schließlich senkte sich die Stille der Mitternacht über das Haus, und Legree ging, sein Pech verwünschend, zu Bett; für den morgigen Tag schwor er bittere Rache.

39. Kapitel

Der Märtyrer

Cassys und Emmelines Flucht steigerte Legrees gallige Laune zu maßloser Wut; wie zu erwarten gewesen, entlud sich sein Zorn über Toms schutzlosem Haupt. Als er eilig seinen Leuten Nachricht gebracht hatte, war es ihm nicht entgangen, wie in Toms Augen ein Licht der Freude aufblitzte und er unwillkürlich die Hände zum Himmel hob. Er sah auch, daß er sich nicht an der Verfolgung beteiligte, und überlegte noch, ob er ihn zwingen sollte. Da er aber Toms Unbeugsamkeit schon genug erfahren hatte und genau wußte, daß Tom sich immer strikt geweigert hatte, seine Hand zu einer unmenschlichen Tat zu reichen, zog er es vor, sich in der Eile auf keinen weiteren Konflikt einzulassen.