Auch Cassy war aus ihrem Versteck geschlüpft und hatte, im Hause lauschend, von dem Opfer gehört, das Tom ihr und Emme–line gebracht; vergangene Nacht war sie, aller Gefahr zum Trotz, im Schuppen erschienen und hatte sich von den wenigen letzten Worten, die zu äußern Toms liebevolle Seele gerade noch Kraft genug besaß, so rühren lassen, daß der lange Winter der Verzweiflung, das jahrelange Eis auf ihrer Seele endlich nachgegeben hatte; die dunkle verzweifelte Frau hatte gebetet und geweint.
Als Georg den Schuppen betrat, fühlte er, wie ihm alles vor den Augen schwamm und sein Herz sich Zusammenkrampfte.
»Ist es denn möglich? — Ist es denn möglich?« sagte er und kniete neben Tom nieder. »Onkel Tom! Mein armer, armer, alter Freund!«
Etwas Vertrautes in der Stimme schlug an das Ohr des Sterbenden. Sanft bewegte er seinen Kopf, lächelte und sagte:
»Jesus läßt ein Totenbett zu sanften Kissen werden — «
Tränen, die seinem männlichen Herzen alle Ehre machten, rollten dem jungen Mann aus den Augen, als er sich über seinen armen Freund beugte.
»Oh, lieber Onkel Tom! Wach auf — wach noch einmal auf! Sieh her! Hier ist dein junger Herr — dein kleiner Herr Georg! Kennst du mich nicht mehr?«
»Herr Georg!« sagte Tom, die Augen aufschlagend, mit schwacher Stimme, »Herr Georg!«
Aber langsam trat die Erkenntnis in seine Seele; das starre Auge belebte sich und glänzte, das ganze Gesicht erhellte sich. Er faltete die Hände, und Tränen rannen ihm über die Wangen.
»Gott sei gepriesen! Das ist — das ist — alles, was ich mir wünschte! Sie haben mich nicht vergessen, das wärmt mir die Seele, das tut meinem alten Herzen wohl! Jetzt werde ich in Frieden sterben! Lobsinge dem Herrn, meine Seele!«
»Du wirst nicht sterben! Du mußt nicht sterben und darfst gar nicht daran denken! Ich bin doch gekommen, um dich zu kaufen und nach Hause zu holen«, sagte Georg mit ungeduldiger Heftigkeit.
»Oh, Herr Georg, da kommen Sie zu spät. Der Heiland hat mich gekauft und wird mich nach Hause holen — und mich verlangt danach. Der Himmel ist besser als Kentucky.«
»Ach, stirb nicht! Es bringt mich um — es bricht mir das Herz, wenn ich bedenke, was du gelitten hast — und wie du hier in dem alten Schuppen liegst! Armer, armer Kerl!«
»Sagt nicht, armer Kerl!« sprach Tom feierlich. »Ich bin ein armer Kerl gewesen, aber das ist jetzt vorbei und abgetan. Ich stehe schon an der Tür und werde eingehen in die Herrlichkeit; oh, Herr Georg! Der Himmel ist gekommen! Der Sieg ist mein! — Der Heiland hat ihn mir geschenkt! Ehre seinem Namen!«
Georg war von Ehrfurcht erfüllt über die Kraft, die Heftigkeit und Gewalt, mit welcher Tom diese abgerissenen Sätze hervorstieß. Er starrte schweigend vor sich hin.
Tom ergriff seine Hand und fuhr fort: »Ihr müßt es nicht Chloe erzählen, der armen Seele, wie Ihr mich gefunden habt. Das wäre ihr zu schrecklich. Sagt ihr nur, Ihr habt mich in die Herrlichkeit eingehen sehen; und daß ich nicht bleiben konnte. Und sagt ihr, daß mir der Heiland allenthalben beigestanden und mir alles erleichtert hat. Ach, und die armen Kinder, und das Kleine — immer wieder hat sich mein Herz nach ihnen gesehnt. Sagt ihnen allen, daß sie mir folgen sollen! Grüßt den gnädigen Herrn und die liebe gnädige Frau und alle andern daheim. Ihr wißt es nicht, wie lieb ich euch alle habe. Jedes Wesen, überall — alles ist voll Liebe! Oh, junger Herr, was ist das für eine große Sache, ein Christ zu sein!«
In diesem Augenblick schlenderte Legree an der offenen Tür des Schuppens vorbei, blickte mürrisch, mit gespielter Gleichgültigkeit herein und ging vorbei.
»Der alte Satan!« rief Georg in seiner Entrüstung. »Es ist nur ein Trost, wenn man bedenkt, daß der Teufel es ihm eines Tages heimzahlen wird!«
»Oh, nicht doch — so dürft Ihr nicht reden!« sagte Tom und tastete nach seiner Hand; »er ist ein armer, elender Mensch. Es ist schrecklich, wenn man daran denkt! Ach, wenn er nur bereuen würde, der Heiland würde ihm noch verzeihen; aber ich fürchte, das wird er nicht tun.«
»Hoffentlich nicht!« antwortete Georg. »Ich will ihm gewiß nicht im Himmel begegnen.«
»Pst, Herr Georg! Das bekümmert mich. So müssen Sie es nicht ansehen. Er hat mir keinen Schaden zugefügt — nur die Tore zu dem himmlischen Reich geöffnet; mehr nicht!«
In diesem Augenblick schwand der Anflug von Kraft, die, hervorgerufen durch die Freude des Wiedersehens mit seinem jungen Herrn, den Sterbenden vorübergehend belebt hatte. Plötzlich setzte der Verfall ein; er schloß die Augen, und über sein Gesicht glitt die geheimnisvolle, erhabene Veränderung, welche das Nahen einer anderen Welt ankündigt.
In langen, rasselnden Atemzügen holte er Luft, mühsam hob und senkte sich die breite Brust. Ein sieghafter Ausdruck trat auf seine Züge.
Georg war in feierlicher Ehrfurcht erstarrt. Es war ihm, als sei der Ort geheiligt; und als er die leblosen Augen des Toten schloß und sich erhob, war er nur von dem einen Gedanken beseelt, den sein einfacher, alter Freund in die Worte gekleidet hatte: »Was ist das für eine große Sache, ein Christ zu sein!«
Er wandte sich ab. Legree stand verdrossen hinter ihm.
Etwas an der Sterbeszene hatte die natürliche Hitze der jugendlichen Leidenschaft gedämpft. Die Gegenwart dieses Mannes war Georg in der Seele verhaßt, und er fühlte nur den einen Wunsch, mit so wenig Worten wie nur möglich von ihm fortzukommen.
Er blickte Legree aus seinen feurigen, dunklen Augen an und sagte nur, auf den Toten deutend: »Jetzt haben Sie alles bei ihm erreicht. Was soll ich Ihnen für den Leichnam zahlen? Ich will ihn mitnehmen und anständig begraben lassen.«
»Tote Niggers verkaufe ich nicht«, antwortete Legree mürrisch. »Meinetwegen können Sie ihn begraben, wo und wann Sie wollen.«
»Burschen«, sagte Georg jetzt mit befehlender Stimme zu zwei, drei Negern, die den Toten betrachteten, »helft mir, ihn aufzuheben und in meinen Wagen zu tragen; und besorgt mir einen Spaten.«
Einer von ihnen rannte nach dem Spaten; die beiden andern halfen Georg, den Leichnam im Wagen unterzubringen.
Georg breitete seinen Mantel im Wagen aus und ließ den Toten behutsam darauf niederlegen, den Sitz nahm er fort, um genügend Raum zu schaffen. Dann kehrte er sich um, blickte Legree an und sagte mit erzwungener Ruhe:
»Ich habe Ihnen bisher noch nicht gesagt, was ich von dieser schändlichen Geschichte halte; dies ist nicht die Zeit und der Ort dazu. Aber, mein Herr, dieses unschuldige Blut soll gesühnt werden. Ich werde diesen Mord anzeigen. Bei der ersten Magistratsperson werde ich Anklage gegen Sie erheben.«
»Bitte«, erwiderte Legree und schnippte höhnisch mit den Fingern. »Das möchte ich sehen. Wo wollen Sie die Zeugen hernehmen? — Wie wollen Sie es beweisen? Da sehen Sie!«
Georg konnte sich der Überzeugungskraft dieser Verteidigung nicht verschließen. Auf der ganzen Plantage gab es keinen weißen Zeugen, und vor allen südlichen Gerichten ist das Zeugnis der Farbigen gleich Null. In diesem Moment hätte er den Himmel mit dem empörten Schrei seines Herzens nach Gerechtigkeit stürmen können; aber vergebens.
»Wozu auch soviel Aufhebens um einen toten Nigger!« sagte Legree.
Diese wegwerfende Bemerkung fiel wie ein Funken in ein Pulverfaß. Klugheit gehört nicht zu den Haupttugenden der Jungen Kentuckys. Georg fuhr herum und schlug mit einem hitzigen Schlag zu, so daß Legree auf das Gesicht stürzte, und als Georg noch sprühend vor Zorn und Entrüstung über ihm stand, da gab er keine schlechte Personifizierung seines großen Namensvetters ab, der über den Drachen triumphiert hatte.
Manchen Menschen jedoch tut es entschieden gut, wenn sie einmal umgelegt werden. Wenn ein Mann sie glatt in den Staub wirft, scheinen sie sofort Respekt zu bekommen; zu dieser Sorte gehörte Legree. Als er daher aufstand und sich den Staub aus den Kleidern klopfte, sah er dem langsam verschwindenden Wagen mit einiger Betroffenheit nach und öffnete nicht eher den Mund, als bis er außer Sicht war.