Von da an war die Malaria des Sajjids praktisch kuriert. Als wir Kazvin erreichten, war er munter wie ein Spatz und dachte wehmütig an seine deutschen Mademoiselles. «Ich werde eine Deutsche heiraten», sagte er. «Ich habe eine Bekannte in Deutschland, eine Ärztin, die Tochter eines Oberst. Ich denke, sie wird mich heiraten, wenn ich so weit bin. Ich könnte keine Perserin heiraten. Sie sind sehr hübsch, aber zurückgeblieben. Es wäre so, als würde man ein Tier heiraten ... Aber das wird sich alles ändern. Sie werden sehen!»
7. Das Gästezimmer in Kazvin
Kazvin war voller Platanen, in denen massenhaft Krähen saßen, die in der Abenddämmerung unter lautem Geschrei umherflogen. Wir kamen bei dem Bruder des Sajjid unter, der uns fürstlich bewirtete, obwohl Moharram war, der Monat, in dem die Perser keinen Wein trinken und auf jedes Vergnügen verzichten. Der schlichte Lebensstil der persischen Mittelschicht hat etwas sehr Angenehmes. Die Zimmer sind, bis auf ein paar Teppiche, ein paar Stühle und ein Sofa, meist leer. Es gibt keine Diener, bei den Mahlzeiten tragen die Söhne des Hauses Zinntabletts herbei und bedienen die Gäste. Betten oder irgendwelchen Zierat gibt es nicht. Abends und zur Siesta-Stunde werden Matratzen und Decken aus Schränken geholt und ausgerollt. Alles geht eigentümlich ruhig und unaufgeregt vonstatten. Aus den Teppichmustern und Teetassen, den leisen, feinsinnigen Gesprächen und dem fast unangenehmen Geschmack süßer Getränke ergibt sich eine bemerkenswert harmonische Langsamkeit. In Persien – ich vermute, das gilt für die ganze islamische Welt – kann man den Eindruck gewinnen, als sei das Leben frei von Ungestüm und Hektik. Es ist wie ein ausgetrockneter Wasserlauf, der früher einmal ein reißender Strom war, heute aber nur noch aus ein paar stillen Pfützen besteht, die das Blau und die Wolken spiegeln und auf ihre Weise vielleicht mehr von der Intensität eines unruhigen, verschlungenen Lebens enthalten als der Fluss, die aber irritierend zusammenhanglos, unberechenbar sind.
In Persien ist es offenbar Sitte, sich unmittelbar nach dem Abendessen zurückzuziehen, und an diesem Abend in Kazvin, ganz allein mit meinem Bettzeug in einem der Zimmer im Obergeschoss des Hauses, packte mich der übermächtige Wunsch, in die Stadt hinauszugehen. Aber das Haus war bestimmt abgeschlossen, und ich befürchtete, in eines der Frauengemächer zu stolpern, wenn ich mein Zimmer verließ. Ersatzweise stieg ich durch mein Fensterchen auf ein kleines Dach, von wo aus ich die flachen Dächer und die tintenschattigen Innenhöfe der Stadt sehen konnte, die sich ringsum unter dem Mond erstreckte. Mir gegenüber war die dicke Kuppel und das gedrungene kachelgeschmückte Minarett der Freitagsmoschee. Auf vielen Dächern waren Gestalten zu erkennen, die sich dort zum Schlafen hingelegt hatten, und manchmal eine Bewegung in einem Innenhof. Ich musste an eine Erzählung von Maupassant denken, in der ein nacktes Mädchen im Mondschein auf dem flachen Dach eines Hauses in Marokko steht. Und aus irgendeinem Grund überkam mich eine Abscheu vor den ganzen romantischen Orientklischees, von denen es ja selbst im Orient wimmelt, so dass ich fast wieder in mein Zimmer geklettert wäre, um all diese Gedanken in mein Notizbuch zu schreiben. Ja, das Spektakel, die karminroten Bärte und die safrangelben Bärte und die mächtigen Turbane und die hohen runden Filzhüte und die Teppiche und die buntgeschmückten Pferde und die anmutigen Gesten alter Männer und die gespenstisch verhüllten Frauen und die Kamele mit ihren langen, federnden Schritten und die dunkle Fülle der gewölbten Lagerräume in den Basaren – war das nicht alles leblose Routine, ein halbvergessenes Ritual, vor Ewigkeiten gelernt? Es ist der Westen, wo das Blut heiß in den Adern fließt und die Welt ungeordnet und romantisch ist, wo phantastische, unerwartete Dinge passieren. Hier ist alles versucht und erfahren und verschlissen worden. Mit sehnsüchtigen Gedanken an den Broadway und die Zweiundvierzigste Straße legte ich mich auf meine weiche Matratze. Kaum hatte ich mich beruhigt, hörte ich eine Trommel in der Ferne und kehlige, angespannte, wilde Stimmen, die in raschem Rhythmus «Hassan, Hossein, Hassan, Hossein» riefen, als wäre Hossein, der ritterliche Enkel des Propheten, erst gestern in Kerbela gestorben.
Bevor wir am nächsten Morgen Kazvin verließen, führte der Sajjid eine Operation durch. Dann brachen wir auf, mit viel Tamtam und eskortiert von berittenen Gendarmen und unter Zurücklassung des Opfers, das blutend auf einem wackeligen Tisch in der Apotheke des Gouverneurs lag und durch seinen Äther stöhnte. Wir aßen Weintrauben, während der Zweispänner mit eindrucksvoller Gemächlichkeit über staubige Pisten dahinrumpelte und der Sajjid über die Revolution in Asien sprach. Begonnen, sagte er, habe alles mit der Niederlage Russlands im japanischen Krieg, die die Asiaten auf die Frage brachte, ob in den Büchern des Schicksals geschrieben stand, dass sie ein für alle Mal die Sklaven Europas sein müssten. Sodann hätten die türkische Verfassung und die persische Verfassung gezeigt, dass die schattigen und verfallenen Gärten des Orients nicht völlig verdorrt waren unter dem tödlichen Ansturm des Westens. Und während Europa Krieg führte, dachte Asien nach. In Asien entwickelten sich die Dinge immer sehr langsam, so langsam, dass die Europäer nichts bemerkten und erklärten, dass sich dort überhaupt nichts bewege, aber irgendwann wird die Zeit kommen, da die mächtigen Ausbeuter plötzlich feststellen, dass sie nicht mehr wissen, wohin ihr Weg sie führt. So ist das in Asien. «Nehmen Sie nur mich», rief der Sajjid mit schriller Stimme. «Als Kind habe ich die Europäer für eine überlegene Rasse gehalten, vor fünf, sechs Jahren hatten sie so viel erreicht; Persien könnte sich glücklich schätzen, wenn es von den Briten regiert würde. Aber heute ... Ich habe alle Länder gesehen, habe ihre Propaganda gehört. Ich habe gesehen, welche Schmiergelder sie bezahlen und mit welchen Methoden sie kämpfen, all die hochzivilisierten, vornehmen Völker Europas, und ich weiß, was ich weiß. Und was ich weiß, das wissen auch der Maultiertreiber und der Töpfer und der Bademeister, der einen durchwalkt, und der Bauer und der Nomade. Nein, ich werde gern sterben, bevor mein Land von irgendeiner europäischen Nation dominiert wird. Und ich bin nicht der Einzige.»
«Und was die Briten hier in Persien angeht ... ja, ich weiß, sie sind ein großes Volk. Ich war mal drei Tage in London, die ganze Zeit hat es geregnet, aber ich bin durch die Stadt gegangen und habe die Leute gesehen und wusste, es waren braves gens. Aber hier sind sie anders, uns gegenüber, und deshalb werde ich zeit meines Lebens gegen sie kämpfen, avec Diplomatik. Und den Türken geht es genauso und den Arabern und den Afghanen. Erst haben wir die Briten gemocht, weil sie besser sind als die Russen, doch nun gibt es keinen Druck von Russland, und die Briten haben sich verändert. Und im Islam ist nicht mehr so viel Fatalismus wie früher. Europa ist unser Lehrmeister, Europa gibt uns Waffen.»
8. Die kleinen Leute in Persien
Später, auf der letzten Etappe nach Teheran, sagte der Sajjid wieder: «Welchen Fehler machen alle europäischen Mächte in Bezug auf Persien? Ich werde es Ihnen sagen. Sie denken nur an die großen Leute. Es ist ihnen nicht klar, dass es auch kleine Leute gibt, wie mich, Ärzte, Mollahs, kleine Händler, und dass selbst die Bauern in den Teehäusern an der Straße über Politik sprechen. Sie wissen, dass sie die großen Leute bestechen und unter Druck setzen können, und sie glauben, sie haben Persien in der Hand. Aber uns, die kleinen Leute, können sie nicht bestechen, denn wir sind zu viele. Wenn sie mich kaufen oder mich töten lassen, dann gibt es Hunderte anderer, die genauso denken wie ich und an meine Stelle treten. Es wird ihnen also nichts nützen.»