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DIESE BANDE MUSS STERBEN

«Ah ja», sagt der schnurrbärtige Herr mit Strohhut zu den anderen. «Das bedeutet: Tod den Socialisti.»

4. Express

Dreimal täglich im schaukelnden Speisewagen. Erst durch das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen, dann durch Bulgarien und ein Eckchen Griechenland. Da ist die Dame aus Wellesley, die für den Atlantic Monthly schreibt; ein eiförmiger Armenier aus New York, der im Kloster San Lazzaro in Venedig zur Schule ging, in Asolo Malerei studiert hat, Priester, Pfarrer und Balkanküche hasst und wehmütig von Tiffany’s und dem alten Martin’s Restaurant auf der Achtundzwanzigsten Straße erzählt; ein zweiter Armenier, dessen Mutter, Vater und drei Schwestern in Trapezunt vor seinen Augen von den Türken in kleine Stücke zerhackt wurden; außerdem ein großgewachsener stahlgrauer Standard-Oil-Mann, sehr groß mit einem kleinen Bäuchlein von der Form eines halben Fußballs. Er sagt, er kann Leute auf den ersten Blick beurteilen, und den ganzen Tag sitzt er da und schreibt für seine Lieblingsnichte Knittelverse über seine Reisen. Dann gibt es noch einen Mann mit einer Uhr mit vielen Stempeln, der wie ein Auktionator von der Vierzehnten Straße aussieht, sowie zwei hagere Kolonialengländerinnen. Das alles vor einem immer neuen Hintergrund von blassen Balkanmenschen mit mächtigen Nasen und dunklen Ringen unter den Augen.

Zwischen den Mahlzeiten sitze ich in der Abgeschiedenheit meines kleinen grünen Abteils voller Knöpfe und Stangen aus Nickel und lese Diehl[3], der todlangweilig ist, gelegentlich unterbrochen von Passkontrolleuren, Zollbeamten, Detektiven, Geheimpolizisten oder dem Schaffner, einem älteren Belgier, der wie eine Lokomotive keucht, unendlich erschöpft vom zu vielen Unterwegssein, zu vielen gezählten Telegraphenstangen, zu viel Asche auf grünen Polstersitzen. Bei Zwischenstopps vertrete ich mir mit einem energischen Franzosen auf dem Bahnsteig die Beine, wir rauchen die ortsüblichen Zigaretten; er erzählt kenntnisreich über Bukarest, über die Liebe, über Attentate, Dreiecksgeschichten und Diplomatie. Er weiß alles, und seine Kragen und Manschetten sind stets blütenrein. Sein Lieblingsspruch lautet: Aller dans le luxe ... Il faut toujours aller dans le luxe.

Mit jedem Tag werden die Berge karger und steiniger, der Zug wird immer langsamer, und die Stationsvorsteher haben immer längere Schnauzbärte und immer ungepflegtere Uniformen, bis wir schließlich zwischen einem hellgrünen Meer und gelben sonnenverbrannten Landzungen dahinfahren. Plötzlich sind wir zwischen senffarbenem alten Gemäuer gefangen, das Gleis verläuft zwischen Müllbergen und Zypressen. Der Zug bewegt sich kaum noch, er hält fast unmerklich, als stünde er auf einem Abstellgleis. Sind wir ...? Nein. Doch. Das muss es sein ... Konstantinopel.

II

STAMBUL

JULI 1921

1. Pera Palace

Unter meinem Fenster eine staubige, zerfurchte Straße, hier und da ein einzelner Pflasterstein, über den unablässig Fuhrwerke rumpeln und ruckeln, hinauf in Richtung Pera, hinunter zur alten Brücke, den ganzen Tag, von früh bis spät. Dahinter hohe Häuser, noch dichter gedrängt als in New York, auf einem flachen Dach ein barfüßiges Mädchen beim Wäscheaufhängen, und jenseits von roten Kacheln die staubigen Zypressen eines Friedhofs, Schiffsmasten und das Goldene Horn, stahlfarben, Schiffe liegen dort vor Anker. Und vor dem bewölkten Himmel Stambul, Kuppeln, braunschwarze Häuser, helle Minarette, die wie Elfenbeinstifte auf einem Cribbage-Brett überall herumstehen. Weiter oben, wo die Straße einen Bogen um den Friedhof von Petits Champs macht – wieder staubige Zypressen, schiefe Grabsteine mit eingraviertem Turban –, wird Abfall von Karren abgeladen, Asche, Lumpen, Altpapier, Sachen, die in der Sonne glitzern. Und im nächsten Moment kommen Frauen mit Säcken auf dem Rücken herbeigelaufen, einander beiseitedrängend durchstöbern sie den Abfall mit mageren Händen. Krächzende, klagende Stimmen dringen von dort herüber, vermischt mit den Rufen der Gemüsehändler und dem endlos lärmenden Treiben in den engen Gassen.

Da-damm, da-damm, da-damm, eine riesige Trommel und der ergreifende Gesang eines Dudelsacks. Zwei große Männer mit buntem Turban um den Fes kommen mit einem Affen aus einer Gasse. Das dumpfe Klagelied ist der genaue Ausdruck seines teilnahmslosen unregelmäßigen Gangs. Die Straßenhändler halten inne. Die Bettler, die im Schatten einer Mauer hocken, springen hoch. Die Lumpensammlerinnen richten sich auf und schirmen die Augen ab, um gegen die Sonne etwas zu sehen. Befrackte Kellner beugen sich aus den Hotelfenstern. Zwei Männer, die auf einer Art Tisch mit Griffen ein Grammophon mit weiß emailliertem Trichter tragen, nutzen die Gelegenheit, setzen das Ding ab und lassen es eine erstaunliche Melodie spielen wie ein tropfender Wasserhahn. Die Männer mit dem Affen schlagen verächtlich ihre Trommel und entfernen sich.

Im roten Plüschfoyer des Pera Palace herrscht große Aufregung. Ein Mann im Gehrock mit einer schwarzen Pelzmütze auf dem Kopf wird hinausgetragen. Auf dem roten Plüschsessel ist Blut, auf dem Mosaikfußboden ist Blut. Der Hoteldirektor läuft mit schweißbedeckter Stirn hin und her. Den Fußboden kann man sauberwischen, der Sessel ist ruiniert. Französische, griechische und italienische Gendarmen[4] marschieren umher, reden miteinander, jeder in seiner Sprache. «Der arme Kerl ist tot, Sir», sagt der britische Militärpolizist zu dem Oberst, der nicht weiß, ob er seinen Cocktail austrinken soll oder nicht. Aserbeidschan. Aserbeidschan. Er war der aserbeidschanische Gesandte. Ein Armenier, ein Mann mit Bart, stand in der Tür und schoss auf ihn. Ein Mann mit Brille und glattem Kinn, ein bolschewistischer Spion, trat direkt vor ihn hin und schoss. Der Kellner, der die Drinks serviert, ist verzweifelt. Alle sind gegangen, ohne bezahlt zu haben.

2. Jardin de Taksim

Ein Tisch unter einem gestreiften Sonnenschirm am Rand der Terrasse des Restaurants im Taksim Park (Entrée 5 Piastres, libre aux militaires). Eine russische Kapelle spielt eine Dardanella. Auf dem Hang weiter unten ein Zaun aus flachgehämmerten Standard-Oil-Tonnen um eine Lehmhütte, neben der ein Esel grast. Zwei Männer hocken friedlich am Eingangstor und schauen über ein paar protzige Villen, wie Villen in Nizza, und einen Gasometer mit frischgemalten roten Streifen hinaus auf den Bosporus und die asiatischen Höhenzüge. Es ist fast dunkel. Der Bosporus erstrahlt um die grauen Schlachtschiffe, die vor Anker liegen. Zwischen den braunen Hügeln im Vordergrund und den blauen Hügeln in der Ferne steigt eine dicke Rauchsäule auf. Man denkt an brennende Dörfer, aber das ist zu weit nördlich, und in dieser Jahreszeit werden auf dem Land die Hügel abgebrannt, um Banditen auszuräuchern. Das Orchester legt eine kurze Pause ein. Von der gelben Kaserne linker Hand kommt ein Leierkastenlied und eine tremolierende Singstimme.

Dann erhebt sich aus Asien ein riesiger blutroter Mond.

Und sobald Kaviar und Pilaw und Schwertfisch vom Schwarzen Meer gegessen sind, hinuntergespült mit Nectar-Bier aus der hiesigen Brauerei eines unsagbar reichen Herrn namens Bomonti, beginnt auf der Bühne inmitten der Bäume die Show. Internationales Cabaret. Zunächst eine Russin, die die schüchterne Anmut, mit der sie einen Bauerntanz darbietet und dabei ein grünes Taschentuch schwenkt, gewiss an einer renommierten Moskauer Ballettschule gelernt hat. Sodann zwei überaus zähe junge Engländerinnen in Socken und Trägerrock, vielleicht ehemalige Ballettratten der Folies Bergères. Eine von ihnen summt gelangweilt und eigentümlich abgehackt, während sie die Beine hochwerfen und all jene Schritte machen, die seinerzeit, als Königin Victoria ein junges Mädchen war, die Landpfarrer im Gaiety schockierten. Dann erscheinen die griechischen Akrobaten, eine komische Russin, die nur von ihren Landsleuten verstanden wird, eine Französin in Schwarz mit Opernarmen und Konservatoriumsmanier, die mehrmals zu lautem Applaus die Wahnsinnsarie aus Lucia singt, eine jämmerliche Frau in rosa Tüll, die den Moment Musicale mit jener albernen Gestik tanzt, die Tanzlehrerinnen in der amerikanischen Provinz empfehlen, und so weiter und so fort.

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3

Diehl Vermutlich Charles Diehl (1859–1944), französischer Byzantinist

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4

Französische, griechische und italienische Gendarmen ... Nach dem Waffenstillstand von Mudros (1918) wurden der Bosporus, die Dardanellen und andere wichtige türkische Stellungen unter alliierte Kontrolle gestellt. Istanbul stand von 1920 bis 1923 unter alliierter Besatzung