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Nun ja, wenn allein schon die Hoffnung der Bagdadbahn dafür sorgt, dass Münchner Bier über die Staubhügel von Babylon fließt ... Aber das ging auf einen der hebräischen Propheten.

3. Unabhängigkeitserklärung

In Bagdad, genau wie im alten Rom, werden Besuche im Morgengrauen abgestattet. Gähnend dirigierte mich der Guide durch noch nachtkühle Gassen, unter schmalen, zerfallenden Bögen, vorbei an rissigen Lehmmauern, bis wir zu einer steilen Treppe in einer dicken Wand kamen. Am oberen Ende wartete ich in einem dunklen Zimmerchen, während der Guide durch eine Tür mit türkischen Intarsien voranging. Wenig später kam er zurück und führte mich in einen leeren, mit Teppichen ausgelegten Raum. «Und Scheich Soundso?» Er machte eine tätschelnde Handbewegung. «Schwajja, schwajja ...»

Wir setzten uns in eine kleine Fensternische. Unten floss der Tigris, schnell und braun, mit blauem Dunst überzogen. «Heutzutage», fuhr der Mann fort, «ist es für einen irakischen Patrioten sehr gefährlich ... Wir haben die Engländer in ihrem Kampf gegen die Türken gern unterstützt. Aber jetzt ist alles anders. Die Engländer sind wie der alte Mann des Meeres: zuerst sind sie leicht, dann werden sie immer schwerer. Und wenn ein wichtiger Mann sich gegen sie stellt ... nun ja ... Cokus[26] lädt ihn zum Tee ein ... und wenn er am nächsten Tag aufwacht, ist er unterwegs nach Ceylon. Der Mann, den wir heute besuchen, hat große Angst, von Cokus zum Tee eingeladen zu werden.»

Schließlich wurden wir von einem Jungen mit einem roten Tuch um den Kopf in eine Halle geführt, Teppiche auf dem Boden, ringsum große Sitzkissen an der Wand. Nach den unerlässlichen Begrüßungsformeln nahmen wir am anderen Ende des Saals Platz, in der Nähe eines alten Herrn in taubengrauem Gewand mit einem prachtvollen goldenen und silbernen Bart. Wir tranken Kaffee, und schließlich wandte sich der alte Herr an mich. Er sprach mit leiser, warmer Stimme, die Augen zu Boden gerichtet, und mit langen braunen Fingern strich er gelegentlich an seinem Bart entlang, ohne ihn zu berühren. Und wenn er innehielt, damit der Guide dolmetschen konnte, musterte er uns scharf. Mir fiel auf, dass er blaue Augen hatte.

Der große amerikanische Scheich Washiton, sagte er, habe vor vielen Jahren ein Buch geschrieben, in dem er die Unabhängigkeit Amerikas von den Ingliz erklärt habe. Seitdem hätten wir insoweit die Gebote des Propheten befolgt, als wir an einen einzigen Gott glaubten und der Genuss von Wein verboten sei. Das sei alles ganz ausgezeichnet. Und in dem großen europäischen Machtpoker in Paris habe unser Mister Vilson, ebenfalls ein großer Scheich, in seinen Vierzehn Punkten erklärt, dass alle Nationen frei, gleich und unabhängig seien. Auch das sei sehr gut. Wenn es nicht der Wille Gottes gewesen wäre, hätte er eine Nation geschaffen und nicht viele.

Die arabische Nation, die Gemeinschaft der Gläubigen in Bagdad und Damaskus, habe den Ingliz und Faransawi bereitwillig geholfen, die tyrannischen Osmanli zu verjagen, die nun, den Worten von Mister Vilson zufolge, mit aller Welt in Frieden leben wollten. Doch die Alliierten handelten nicht entsprechend den Worten von Mister Vilson und auch nicht entsprechend den Grundsätzen von Scheich Jurj Washiton. Das sei nicht gut. Die Faransawi hätten arabische Patrioten in Damaskus ins Gefängnis geworfen, und die Ingliz brächen ihr Wort und seien dabei, die Iraker zu versklaven. Die Ingliz glaubten, sie könnten die Araber von Bagdad und Basra und Damaskus wie das Volk von Hind behandeln. Sie würden erkennen, dass die Araber aus härterem Holz geschnitzt seien. Sie hätten versucht, durch die Errichtung von sogenannten Königreichen das Volk zu täuschen, wo doch der einfachste Lastenträger im Basar wisse, dass Feisal und Abdullah und selbst der König des Hedschas, obwohl ihm die heiligen Städte unterstehen, sich einzig auf die Gewehre der Ingliz stützten.

Der Amerikai müsse seinen Landsleuten berichten, dass das Volk des Irak weiterhin für seine Freiheit kämpfen werde und für die Prinzipien, die Scheich Washiton und Mister Vilson verkündet haben. Der letzte Aufstand sei gescheitert, weil schlecht vorbereitet. Das nächste Mal ... Seine Stimme wurde ein kleines bisschen lauter.

Wir erhoben uns, er geleitete uns zur Tür. Ich bat meinen Guide, ihn nach dem Plebiszit zu fragen. Der alte Mann lachte. O ja, in den Basaren habe man Zettel verteilt, die aber schon mit einem Ja für das Mandat bedruckt seien, damit die Ungebildeten, ohne es zu wissen, für die Regierung stimmen. Doch nur die Juden hätten ihre Stimme abgegeben und ein paar Ungebildete. Welcher Mensch, der lesen kann und das Gesetz kennt, werde sich durch Teilnahme an dieser Abstimmung erniedrigen?

O Selbstbestimmung, wo ist dein Stachel?

4. Missgeschick eines Konsuls

Aufgrund der Fata Morgana und weil wegen der Erdspalten in alten Wasserläufen der Piste schwer zu folgen war, trafen der Repräsentant des Weißkopfseeadlers und ich erst sehr spät in Samarra ein, nachdem wir in unserem Ford den ganzen Nachmittag durch die kahle, steinübersäte Ebene gefahren waren, in der man immer wieder an Trümmerhaufen verfallener Städte und Türme vorbeikommt. Es war fast dunkel, als wir auf der verrückten Fähre übersetzten und in der Ferne die Silhouette des mächtigen Ziggurat sahen, der an den Turm von Babel in alten Bibelillustrationen erinnerte. Gleich hinter uns kam der Berater in seinem Auto, um herauszufinden, was wir im Schilde führten. Wir begaben uns alle zum Haus des Gouverneurs, wo wir Zimmer bekamen, deren plüschiges Mobiliar frisch aus London importiert worden war. Das Dinner war eine grandiose Angelegenheit. Der Höhepunkt des Abends war, als der Gouverneur, angeregt durch hochprozentige Getränke (der Koran verbietet schließlich nur Wein) uns mit Brillantine salbte. Der Repräsentant des Weißkopfseeadlers war ein hochgewachsener Mann, der weder rauchte noch trank. Er saß aufrecht da, mit einem Glas Arak in der Hand, den er nicht anrührte, Brillantine lief ihm über das Gesicht, während ihm der Gouverneur durchs Haar fuhr. Der Berater, der seinen eigenen Whisky mitgebracht und sich der Operation fröhlich unterzogen hatte, lehnte sich mit puterrotem Gesicht zurück. Es war ein netter Abend.

Auf der Rückfahrt nach Bagdad am nächsten Nachmittag verfransten wir uns völlig. Bei Einbruch der Nacht war kein Tropfen Benzin mehr im Tank. Wir befanden uns auf irgendeiner Piste zwischen Tigris und Euphrat. Nach längerem Palaver, denn es galt als unsicher, sich nach Einbruch der Dunkelheit außerhalb von Städten aufzuhalten, ließen wir den Repräsentanten des Weißkopfseeadlers meloneessend im Wagen zurück, während wir uns auf die Suche nach einem geheimnisvollen Dorf machten, wo wir vielleicht einen Kanister Benzin auftreiben würden.

Geht hin, ihr schnellen Boten, zum Volk, das hochgewachsen und glatt ist, zum Volk, das schrecklicher ist als sonst irgendeines, zum Volk, das befiehlt und zertritt, dessen Land Wasserströme durchschneiden.

Seltsam, wie bibelerfüllt dieses Land ist, wie sehr die Verwünschungen der hebräischen Propheten diese trostlosen Ebenen und Steinhaufen versengt und verdorrt haben.

Der Konsulatsdiener und ich machten uns also auf die Suche nach Benzin. Abdullah war ein verhutzelter, brauner, sorgenzerfurchter Mann, der lange geduckte Schritte machte. Wir entfernten uns in östlicher Richtung von der Straße, einigen schwachen Lichtern entgegen, bei denen es sich vielleicht um ein Dorf handelte. Es war eigentümlich, über den unebenen Boden zu laufen. Am Himmel waren Sterne, aber sie gaben kein Licht. Ein kühler staubiger Wind schlug uns manchmal entgegen, ein Wind, der nach nichts roch. Wir gingen durch eine Leere, aus der sich alle Formen und Farben und Gerüche zurückgezogen hatten, so wie sich eine Schnecke in ihr Haus zurückzieht. Wir gingen und gingen, ohne ein Wort zu sagen. Abdullah legte die Hand auf meinen Arm. Wir blieben stehen. Direkt vor unseren Füßen klaffte ein tiefes Erdloch. Ich erinnerte mich, tags zuvor während der Fahrt Steinbrüche oder Kalkgruben gesehen zu haben. In der Dunkelheit war ein flackerndes Licht zu erkennen. Irgendwo roch es nach brennendem Holz. Wir kletterten und rutschten den Abhang hinunter, bis wir auf schlammigem Grund standen. Abdullah ging voran, ich hinterher, so gut es ging. Wir kamen zu einem brennenden Ofen. Rauchschwaden hüllten uns ein. Da wir niemanden fanden, stiegen wir wieder hinauf. Wir hörten Hundegebell. Als wir uns dem Dorf näherten, kam uns die kläffende Meute entgegen. Wir machten ein paar Lehmhütten aus und gingen dorthin, während die Hunde knurrend und zähnefletschend nach uns schnappten.

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26

Cokus Sir Percy Cox (1864–1937), von 1920 bis 1923 britischer Hochkommissar im Irak