Doppelposten wurden aufgestellt, und jedermann legte sich heldenhaft schlafen.
Am Morgen zogen wir nordwärts über einen Hang voller Dornsträucher, in denen Lerchen großen Lärm veranstalteten, zu einem Lagerplatz in der Nähe einer Wasserstelle vor den Zelten der Delaim.
Ging mit dem dicken Scheich hinüber, um den Delaim einen Besuch abzustatten. Ihre Zelte sind sehr groß, offen an der windgeschützten Seite, in der Mitte ein Vorhang, hinter dem das Quartier der Frauen liegt. Für jeden, der in einer Kultur aufgewachsen ist, die den Besitz anbetet, sind diese Zelte unglaublich leer. Ein paar Teppiche, einige Sättel und Gewehre, Schaffelle, Kochtöpfe und die schwarzen schmucklosen Wände ihre Zelte – das ist alles, was die Delaim zwischen der nackten Erde und dem unvorstellbar weiten Himmel für sich haben. Wir saßen auf Teppichen, die für uns ausgebreitet worden waren, Kaffee wurde gebracht, ich blickte über die Ebene, die sich endlos weit nach Süden erstreckte, auf der große Schafherden weideten, dazwischen Männer in braunen Gewändern wie Figuren aus dem Alten Testament, während der dicke Scheich würdevoll mit den Leuten sprach, deren Gäste wir waren. Dann brachte eine Frau eine flache Holzschale mit einem ungesäuerten, noch warmen Fladenbrot, das in Schafsbutter schwamm. Muss die Art Butter gewesen sein, die Jael in einer herrlichen Schale auftrug. Ein kleiner Junge goss uns Wasser aus einem Kupferkrug über die Hände, und das Familienoberhaupt brach mit einem lauten Hamdulillah ein Stück Brot aus der Mitte des Tellers. Daraufhin streckten wir alle die rechte Hand aus und begannen zu essen.
Am Nachmittag ging ich umher, saß an verschiedenen Lagerfeuern und trank Kaffee und versuchte herauszufinden, wie lange wir in den Zelten der Delaim bleiben würden. Alle sagten, dass es bukra inschallah weitergeht, aber sie sagten so oft inschallah und rollten dabei so fürchterlich mit den Augen, dass sie die Entscheidung offenbar an Allah abgegeben haben und wir wohl noch eine Weile bleiben werden.
Zwölfter Tag. Eiskalter Wind. Es ist so kalt, dass man nur am Feuer sitzen kann und einem der Rauch in die Augen steigt.
Besuchte die Damaszener Kaufleute, die mir neulich das Gebäck geschenkt hatten. Der kleine Junge produzierte zum Stolz und Entzücken aller Anwesenden zwei, drei Sätze in exzellentem Englisch. Sein älterer Bruder kennt ungefähr fünf Wörter Französisch, so dass wir eine lebhafte Konversation führten. Der Vater schien unsere Chancen ausgesprochen düster zu beurteilen, er meinte, dass wir vermutlich nach Bagdad zurückkehren. Aber der Kleine, der nicht älter als zehn sein kann, ermutigte alle Anwesenden mit den Worten: «Wir werden Bedawi mit unseren Gewehren erschießen.»
Der Enthusiasmus, mit der die Delaim meine Sachen mustern, gefällt mir nicht unbedingt. Drei prächtige Halunken haben gerade mein Zelt verlassen. Lange saßen sie da, das Wort Bakschisch auf der Zungenspitze, fuhren mit den Fingern über die Leinwand und meine Abaya und meinen Koffer und fragten, was darin sei, und beim Anblick des silberbeschlagenen Sattels, den El-Suadi mir geliehen hat, funkelten ihre Augen vor Gier. Ich versuchte, sie mit Zigaretten abzuspeisen.
Schlecht. Ungefähr Mittag. Der Wind gleicht einer Rasierklinge, und das Lager ist in heller Aufregung. Die lustigen Männer von Ibn Kubain haben uns provoziert und unsere Kamele vom Weidegrund getrieben. Von der kleinen Anhöhe mit dem Steinhaufen habe ich sie hinter dem Horizont verschwinden sehen. Leute aus dem Camp liefen herbei und schossen ihnen hinterher, aber die Kubain sind stärker als wir oder zumindest unverfrorener.
Bagdad-Saleh kam gerade hereingeschlurft, ohne seinen englischen Militärmantel und ohne sein neues rotes Shemagh, sehr niedergeschlagen. «Verfluchte Bedawi haben unsere Kamele gestohlen, Mistbande, verdammte.» Er erklärte, er habe geschlafen, sonst wäre das nie passiert. Sie hätten ihn verprügelt, sein Gewehr, seinen Mantel und sein neues Kopftuch gestohlen. «Bedawi nix gut.»
Ich machte mich auf die Suche nach Jassem, den ich hinter einigen Ballen Tabak neben einem erloschenen Feuer entdeckte. Er lächelte düster, nickte zum Horizont, machte eine Geldzählgeste und sagte mit Nachdruck fluus, fluus ketir, Geld, viel Geld. Missmutig kehrte ich in mein Zelt zurück. Nun ja, mein Spaziergang war vermutlich ganz gut. Ich würde mich von meinem Koffer und seinem nutzlosen Inhalt trennen müssen. Vielleicht würden wir alle als Sklaven in einer gottverlassenen Oase enden. Solange sie mir meine Brille lassen, dachte ich. Eingewickelt in die Bagdader Decke, lag ich auf dem Feldbett und fror vor mich hin. Molière reizte mich nicht mehr, und Zeichnen erschien mir sinnlos. Sämtliche Himmelswinde pfiffen mir um die Beine. Das Zelt bot so viel Schutz wie ein Sieb. Der bleierne Tag löste sich schon in tumultuarischer Dämmerung auf, als ich von fern ein vertrautes schönes kappaluuup und das Knurren von Kamelen hörte. Sie wurden ins Lager gebracht. Sie kamen eines nach dem anderen in das Lager, reckten zerstreut die Hälse hierhin und dorthin, bis der Raum zwischen den Feuern erfüllt war von ihrem Blöken und Grummeln.
Dreizehnter Tag. Das Ganze ist eine Farce, die nach bestimmten Spielregeln abläuft. Die Delaim knöpften sich Ibn Kubains Leute vor und brachten die Kamele zurück, und alles ist, wie es vorher war. Wir werden das Schutzgeld bezahlen, und die Delaim werden für ihre Unannehmlichkeiten einen Teil abbekommen. Die Inschallahs, dass wir morgen abreisen, sind ziemlich dünn, weshalb wir vermutlich noch den Rest der Woche an diesem vermaledeiten Ort zubringen werden. Mein einziges Vergnügen ist es, auf dem Steinhaufen zu sitzen und den Herden der Delaim zuzusehen, die langsam durch die gestrüppreichen Täler rings um die Wasserstellen ziehen. Von Molière habe ich genug. Vom Himmel her kämpften die Sterne, von ihren Bahnen stritten sie wider Sisera.
Gestern Nachmittag, nachdem die Krise beigelegt war, wurde es sehr gesellig im Lager. Grüppchen von Delaim und Fede’an zogen von Lagerfeuer zu Lagerfeuer. Ich saß majestätisch auf meinem Feldbett, und jeder kam in mein Zelt und saß schweigend auf dem Boden. Ich freundete mich mit einem von Ibn Kubains Leuten an, einem jungen Mann, der zwei kleine Zöpfe um die Ohren gewunden hatte. Er zeigte mir sein türkisches Gewehr und sagte, er sei hier der Mann der Osmanen. Aus dem Gefühl heraus, etwas weihnachtliche Stimmung verbreiten zu müssen, verschenkte ich reihum Zigaretten und Tabak. Dem Mann mit den Zöpfchen, der mir so sympathisch war, schenkte ich eine Schachtel Streichhölzer. Woraufhin er sich erbot, mit mir nach Esch-Scham[31] zu gehen oder über das Meer zu fahren oder überallhin. Dann würde ich ihm viele goldene Türkenpfunde schenken. Ich versuchte ihm zu erklären, dass ich ein Fakir sei, ein armer Mann, und kein fluus irgendeiner Art besitze, was er mir aber nicht abnahm. In diesem Moment kam Nawwaf herein. Nun ist Nawwaf ein Freund von Faisal und ein Todfeind der Fede’an, weshalb er sehr verärgert war, mich in freundlichem Gespräch mit einem einfachen Banditen vorzufinden. Ich konnte nicht genug Arabisch, um ihm zu erklären, dass mir diese kleinen, braunen hartgesottenen Männer besser gefielen als die großen, weißen Delaim mit ihren gewachsten Schnurrbärten, obwohl sie Schutzgeld von uns verlangten. Nawwaf ging zutiefst gekränkt davon.
Ein wolkenschwerer, ereignisloser Tag. Die Ältesten von Israel sitzen um Jassems Feuer, wo ein mürrischer Fahd Unmengen Reis für die Menge kocht. Hin und wieder erhebt sich ein Streit, der von anderen Gruppen an anderen rauchenden Feuern aufgegriffen wird, oder es wird eindrucksvoll mit Geld geklimpert.
Vierzehnter Tag. Nachts goss es in Strömen, so dass wir noch einen weiteren Tag warten müssen, denn Kamele sind im Schlamm so hilflos wie Giraffen auf Schlittschuhen. Fünf von vierzehn Tagen verloren. Verdammte Warterei. Ich habe keine Lust mehr, in dieser tristen Gegend festzusitzen, wo die Schafe wie langweilige Maden weiden und die Zelte der Delaim wie tote Käfer am Horizont liegen. Wurde heute nach dem Haferflocken-mit-Kondensmilch-Mittagessen von meinem kleinen Osmanenfreund aufgesucht und dem kleinen schielenden Burschen, dem Anführer der Leute von Ibn Kubain, und einem großen Trupp unserer gestrigen Feinde. Der kleine Scheich zeigte mir voller Stolz sein deutsches Scherenfernrohr. Einige seiner Männer hatten Ferngläser. Alle unterhielten sich prächtig, als der dicke Scheich und Jassem er-Rawwaf hereinkamen und alle davonjagten. Die Karawane missbilligt offenbar meinen Umgang mit unseren Feinden. Das ist der Nachteil, ein Hakim zu sein und in einem karminroten Zelt zu sitzen. Was immer man tut, bekommt eine politische Bedeutung. Nawwaf erschien später noch einmal, guckte sehr gekränkt und machte unfreundliche Bemerkungen über die Fede’an. Um ihn aufzuheitern, ließ ich uns von Jassems Jungen Kaffee bringen, und dann gingen wir hinauf zu dem Steinhügel, von wo er nach Westen auf den markierten Trampelpfad zeigte. Fünf Tage in dieser Richtung nach El Gharra, wo seine Herden seien. Wenn ich bei ihm bliebe, würde er ein Schaf für mich schlachten. Viele Tage solle ich bei ihm bleiben, viele, viele Tage, für immer. Und in dem kräftigen Wind, der dort oben unablässig heulte und in den Steinhaufen fuhr, dachte ich für einen Moment, ja, das ist es. Fortan in einem schwarzen Filzzelt wohnen, ungesäuertes Fladenbrot und Schafsbutter essen, immer den Wind in den Nasenlöchern haben, im Winter nach Süden ziehen, im Sommer nach Norden, zu den Weideplätzen der Kamele und Schafe. Eine schrillstimmige Beduinin zur Frau nehmen, durch eine Gewehrkugel während eines Überfalls sterben und unter einem Steinhaufen neben dem erloschenen Feuer und den runden Dunghaufen des letzten Lagers begraben werden. Wird die Welt irgendetwas bereithalten, was dafür entschädigt, dieses Leben nicht gelebt zu haben?