Neunzehnter Tag. Kühler Morgen. Rauhreif auf den Feuersteinen, aber dann ein angenehm warmer Tag, ritt träge durch Schluchten und trockene Wasserläufe und über sanfte Geröllhügel. Haufenweise Karnickel, sobald es ein bisschen Vegetation gibt, und pingelig aussehende graubrüstige Vögel. Ob das Wiedehopfe sind? Heute Nachmittag erwischte es den Hadschi. Eines von Abdullahs Maultieren, die andauernd Ärger machen, biss dem Kamel in den Schwanz, das daraufhin einen großen Satz machte und sich in dreizehn Richtungen drehte, dass der Hadschi mitsamt Regenschirm und diversen kleinen Päckchen und Kochtöpfen in hohem Bogen aus dem Sattel flog. Der alte Herr stöhnte und rief «Hamdulillah», bis alle herbeikamen und ihm hochhalfen und Abdullah und seine Maultiere verfluchten und den verbogenen Regenschirm richteten. Dann rappelte er sich auf und stieg wieder auf sein Tier, als wäre nichts passiert.
Während wir das Lager errichteten, wurde ein hoffnungslos lahmendes Kamel getötet. Es schien zu wissen, was ihm drohte, stand torkelnd in der Mitte des Lagerplatzes und sah sich glubschäugig um. Einer der kleinen schwarzen Männer aus dem Nedschd, mit hochgekrempelten Ärmeln und straffgegürtetem Gewand, riss das Tier von den Beinen und schnitt ihm blitzschnell die Kehle durch. Noch ehe alles Leben aus dem Leib gewichen war, wurde das Tier gehäutet und mit viel Begeisterung und Gebrüll zerteilt. Fahd, blutig bis zu den Ellbogen, schleppte die Leber und mehrere Rippen an. Die Leber wurde sofort in der glühenden Asche gegrillt, das übrige Fleisch wurde gekocht. Ich las derweil von den grandiosen Idiotien des Amant Magnifique und nahm bei Sonnenuntergang ein exzellentes Dinner aus Porridge und Kamelfleischstücken mit gebratenen Zwiebeln ein. Die Zwiebeln sind tatsächlich aus meinen eigenen Beständen. Ging schlafen und träumte vom Sonnenkönig und von roten Absätzen, die sich zu langsamen Sarabanden bewegen.
Zwanzigster Tag. Als wir heute Morgen aufbrachen, ging hinter uns die Sonne auf, ein unglaubliches Feuerwerk aus Grau und Gummiguttagelb und Lachsrosa. Schläfrig schaukelte ich auf Malek dahin, Stunde um Stunde, unter einem so intensiven Himmel, dass es schien, als könne man durch das blaue Licht der Welt bis in das Schwarz des unendlichen Raums sehen. Abends kampierten wir in einer flachen Ebene voll Ruetha. Entfernte mich weit von der Karawane mit ihren lauten Geräuschen des Kochens und des Zeltaufschlagens, bis sogar die weidenden Kamele hinter den Hügeln verschwanden. Kein Wind wehte. Nur das gelegentliche Knirschen eines Steins unter meinen Füßen war zu hören. Plötzlich dachte ich an die Wüstendämonen, von denen Marco Polo erzählt, die dem Reisenden ins Ohr flüstern, ihn von den Zelten und der Karawane weglocken, über immer neue Hügel, bis er die Orientierung verliert und in der Leere umherirrt und schließlich stirbt. Es war fast dunkel. Dicke Kondorwolken türmten sich über dem blutenden Westen. Ein schwacher Wind kam auf und pfiff, wisperte leise zwischen den Flintsteinen. Fast war es, als flüsterte er meinen Namen. Ich raffte den Saum meiner Abaya und lief und lief, bis ich im letzten Dämmerlicht die Zelte sehen konnte und die Ballenstapel und den Kreis der Lagerfeuer und die vielen unruhigen langhalsigen Kamele, die für die Nacht angebunden wurden.
Manche Leute sprechen von acht, andere von fünfzehn Tagen bis Esch-Scham.
Einundzwanzigster Tag. Im Westen zwei kleine kegelförmige Berge. Ich glaube, der eine heißt Dschebel Suab. Die Gruppe der Granden, die weit vor der Karawane ritt, kam plötzlich über dem Kamm einer niedrigen Anhöhe in Sichtweite einer großen Herde von Gazellen. Eine ganze Weile sahen sie uns nicht. Jeder hatte sein Gewehr bereit. Doch dann sprangen die vordersten Gazellen hoch in die Luft wie Brecher an einem Meeresfelsen und stürmten davon. Im Nu war die ganze Herde verschwunden. Zu schade, denn meine Vorräte sind aufgebraucht, ich lebe von Reis und frittierten Datteln, die ich von Jassem bekomme. Auch mein Zigarettenvorrat ist aufgebraucht, was sich in der Karawane anscheinend herumgesprochen hat, denn diese feinen Leute sorgen dafür, dass ich immer etwas zu rauchen habe. Dauernd kommen Männer, denen ich nie freundschaftlich verbunden war, und bringen etwas, so dass ich, um sie nicht vor den Kopf zu stoßen, mehr rauchen muss, als mir lieb ist. Hassun beispielsweise will, dass ich zwei auf einmal rauche. Komisches Gefühl, die ganze Zeit hungrig zu sein. Habe stundenlang Visionen von Gänsebraten und Vallisneria-Ente und Horsd’œuvre im Bristol. Wenn ich aufwache, sehe ich lauter Mais-Muffins und Waffeln rings um mein Feldbett. Die Essensbeschreibungen in Martials Epigrammen treiben mir Tränen in die Augen.
Zweiundzwanzigster Tag. Prächtiger Morgen in einer wunderschönen Steppenlandschaft mit aromatischen Sträuchern voll von Karnickeln und eigentümlichen weißen Vögeln, die ganz sanft fliegen. Umgehen die beiden kleinen Berge, Suab und Damlough, unter einem Himmel, an dem sich rosa und bernsteinfunkelnde Kumuluswolken auftürmen. Ich ritt mit den Granden voraus. Jeder schien ein wenig nervös, da einer der Agail einen Reiter ausgemacht hatte, der von einem Bergkamm aus die Karawane beobachtete. Plötzlich erscholl überall der Ruf «Harami», Banditen, und mit klappernden Satteltaschen und hochgehaltenen Gewehren ritten wir sofort zurück zur Karawane. In der Ferne sausten Männer auf Ponys wie Karnickel die Hügel hinunter. Jassem ritt zu seinen Leuten und ließ sie in einer kleinen Schlucht halten. Die Kamele knieten unter lautem Gestöhne nieder und wurden eiligst festgebunden. Die Tanzmädchen sprangen kreischend aus ihren Sänften. Die übrigen Teile der Karawane hielten ebenfalls an, bis schließlich alle Kamele dicht an dicht in einem unruhigen Karree am Boden lagen. Das Geröllbett der Schlucht hallte wider von den Rufen und dem Klagen der Frauen. Die beiden Pferde wurden bestiegen, eines von dem Sajjid, über den sich alle aufregten, weil er extra seine beste Abaya anlegte, und das andere von Abdullah. Und die Agail und all die anderen Kämpfer unter den Karawanenteilnehmern bezogen Stellung auf den Anhöhen ringsum. Der Kaufmann aus Damaskus und sein Sohn nahmen mich fest in ihre Mitte und steuerten den tiefsten Teil des Flussbetts an, ob zu ihrem Schutz oder meinem, war mir nicht ganz klar. Die dicke Frau des kleinen Türken lag in einem Haufen dreckiger Kleider zu Füßen ihres Mannes und stieß hin und wieder einen langen schrillen Schrei aus. Fahd lief mürrisch umher, straffte die Fußfesseln der Kamele, las auf, was aus den Satteltaschen gefallen war, und fluchte leise vor sich hin, als wäre das Ganze nur eine von Jassems Launen. Alle hockten geduckt da, in der Erwartung, dass es eine ganze Weile dauern würde, und ich musste wieder an den unseligen Tod von Prinz Napoleon denken, doch es geschah nichts. Ich löste mich also von meinen Damaszener Freunden und kletterte auf die Anhöhe über der Schlucht. Dort fand ich den Sajjid, der wie verrückt herumritt, seine langen Ärmel wehten im Wind, und sein silberbeschlagenes Gewehr funkelte in der Sonne. «Baruda ketir ketir. Gewehre viele viele, Banditen viele viele, Bedawi-Reiter viele viele», rief er, als er mich sah. Ich erwiderte, ich hätte in Frangistan Gewehre gesehen, die so groß seien, dass die ganze Karawane durch eines hindurchreiten könne. Das beschäftigte ihn eine Weile. Die Agail kehrten von ihrem Erkundungsritt zurück. Sie waren wunderbar anzusehen, kämpferisch, die langen Ärmel auf dem Rücken miteinander verbunden. Jassem lächelte still, wie immer. Mit einer Hand hielt er sein Gewehr, mit der anderen strich er sich über den Bart. Seine beiden Kopftücher flatterten rot und weiß. Ein großer Trupp von Berittenen näherte sich. Niemand wusste, wer sie waren. Die Agail mit ihren zusätzlichen Patronengurten verstreuten sich wieder über die Hügel, während ich mich den weniger ängstlichen Nichtkämpfern anschloss, die im Kreis auf einer kleinen Erhebung saßen, angeführt von dem Hadschi, der seinen kostbaren Regenschirm auf dem Schoß hielt und alle Augenblicke Allah beschwor. Eine Stunde müssen wir so gesessen haben, als plötzlich in einer Senke ein Schuss fiel und dann noch ein zweiter. Zwei Männer auf weißen Ponys erschienen auf dem Hang gegenüber, galoppierend und gelegentlich schießend. Ein paar Kugeln pfiffen über uns hinweg. Die Gruppe der weniger Ängstlichen löste sich in heillosem Durcheinander auf. Ich habe deutlich vor Augen, dass der Hadschi seinen Regenschirm hochhielt. Auf einmal befand ich mich in einem langen Gespräch mit einem türkischen Kameltreiber. In welcher Sprache wir uns unterhielten, weiß ich nicht, denn er sprach genauso wenig Arabisch wie ich, aber wir konnten uns über die kompliziertesten Dinge austauschen, während die Agail sich zu den Kamelen zurückzogen und auf den Hügeln aus allen Richtungen immer mehr Männer auf weißen Ponys auftauchten, die um uns herumritten und dabei schossen wie die Indianer in Custers letzter Schlacht, der letzten Nummer in Buffalo Bills berühmter Show.