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Achtundzwanzigster Tag. Heftige Regenschauer aus grauen Wolken. Ein Nordseetag ohne ein bisschen Sonne. Ritt von frühmorgens bis spätabends durch eine heulende Steinwüste. Die Agail lachen über mich, wenn wir abends am Feuer sitzen, denn der beißende Jelle-Rauch treibt mir die Tränen in die Augen. Hassun kann, ohne mit der Wimper zu zucken, das Gesicht in den stärksten Qualm halten, fast bis in die Flammen. Hielt einen Vortrag über Amerika. Einige Agail waren anscheinend schon einmal in Amerika und haben bei ihrer Rückkehr erzählt, dass es ein Land voll fluus sei. Der Kaffee, den wir tranken, kam aus Santos, also glaubten sie, dass ich dort lebe. Alle wunderten sich über die großen eisernen Schiffe, die über das Meer fahren, und hier, in der Wüste, am Kameldungfeuer in unergründlich dunstschwarzer Nacht, spürten wir den Sog der großen Maschine, das Funkeln von Nickelmünzen, das Schimmern von Zelluloid und Emaille, das Knistern von Geldscheinen in Banken, das Rattern und Stampfen geölter Räder. Ich hielt eine große Ansprache und sagte, dass ich, wenn ich bei Verstand wäre, in der Wüste bei den Agail leben und nie mehr zurückkehren würde; das nahmen sie als Kompliment, sie verstanden es nicht. Jassem fragte dann, was für eine Art Hakim ich in meinem Land sei, ein bedeutender Mann wie Cokus? Nein, nicht ganz.

Der Hadschi hat kein Glück. Gestern schlief er in meinem Zelt, da es draußen ganz nass war, und natürlich wurde das Zelt umgeweht, und die Hälfte der Kamele brach in eine Stampede aus, niemand dachte mehr an den armen alten Herrn, alles trampelte auf ihm herum, bis er schließlich, auf dem Bauch liegend und stöhnend, unter dem umgekippten Bett hervorgezogen wurde. Und wieder war der Regenschirm beschädigt.

Meine Schuhe sind hinüber, und ich habe Frostbeulen.

Neunundzwanzigster Tag. Sitzen wieder fest. Fünfzehn Kamele humpeln nach den Anstrengungen der letzten Tage. Den ganzen Tag in nassen Zelten gefroren. Den ganzen Nachmittag im Zelt des Sajjid gesessen, während sein Koch Hadschi Mohammed Geschichten erzählte. Ich habe nicht alles mitbekommen, aber jede begann mit der geschmeidigen Verbindlichkeit des Es war einmal ... und entwickelte dann eine solche Spannung, dass alle Eywallah und Allah riefen und dreckig gackerten und unruhig hin und her rutschten und sich dermaßen amüsierten, dass mir fast war, als hätte ich die Worte verstanden. Dann sang der kleine Sohn des Damaszener Kaufmanns, und alle aßen Datteln und tranken Tee. Zwischen den Strophen romantischer Lieder ruft jeder Allah und seufzt überaus melancholisch.

Dreißigster Tag. Begann dunstverhangen und deprimierend. Dann Phantomberge im Westen, die Syrien und seine Fleischtöpfe zu versprechen schienen, die Sonne kam heraus, und die unendliche purpurrote Flintsteinebene leuchtete wie ein zersprungener Spiegel.

Einunddreißigster Tag. Herrlicher eiskalter Morgen. Immer weiter westwärts durch dieses Flintsteinmeer. Unentwegt hungrig. Stunden vor Mittag denke ich an den Geschmack von Kastowi, eine köstliche melassebraune Pampe aus Schafsbutter und gebratenen Datteln, und abends falle ich über Reis und Brot her, ohne viel zu schmecken. Letzte Nacht habe ich von einem Dinner im Bristol in Marseille geträumt, von dem Geschmack einer knusprig gebratenen Gans. Ich komme mir dann furchtbar verweichlicht vor. Entbehrungen scheinen den anderen nichts auszumachen. Die Araber sind die genügsamsten Leute, denen ich je begegnet bin.

Zweiunddreißigster Tag. Einen halben Tag weiter. Kamele schlecht gelaunt, da sie seit Tagen nichts zu fressen haben. Und wenn sie tausend Jahre bis Damaskus brauchen. Mir ist es egal. Nie wieder werde ich an so aromatischen Lagerfeuern sitzen, mit so feinen Leuten zusammen sein. Mein Gott, ich fühle mich gut, bärtig, vollblütig, die Wüste, dieses kalte purpurrote feuersteinerne Plätteisen, hat alles Gallige aus meinem Bauch, alles Runzelige aus meinen Gedanken weggebügelt.

Der Sajjid und Damaskus-Saleh hatten einen Streit, ich weiß nicht, worüber.

Dreiunddreißigster Tag. Ein neuer Wind ist aufgekommen, hawa esch-Scham, so heißt er, der Wind von Damaskus. Alles ist rosa und von warmer Farbe wie die Ohren eines Eselhasen, die man für einen kurzen Moment gegen die Sonne sieht. Wir haben auf einem schihbedeckten Hang unser Lager errichtet. Am Ende einer nach Nordwesten verlaufenden Rinne ragt ein Gebirgszug in die Wüste hinein, die Berge von Syrien. Dahinter liegt Palmyra, dessen Anblick mir nicht vergönnt sein wird – ach, Zenobia. Schuhe zerrissen, die Füße voller Frostbeulen, die Hände steif vor Kälte, aber ich bin munter wie eine Lerche. Hätte jetzt gern ein heißes Glas Punsch mit einer Zitronenscheibe und zwei Nelken.

Vierunddreißigster Tag. Durch steinige Schluchten und über Sandwüste, und im Westen die syrischen Berge, zusammengedrängt wie eine Viehherde. Heute Nachmittag wären wir fast wieder überfallen worden. Zwei Agail bemerkten Gewehre und Kopftücher am Eingang einer tiefen Schlucht, durch die die Piste führt, woraufhin die Karawane sofort umdrehte und nach Süden verschwand, während die Granden auf ihren Dromedaren mit schussbereitem Gewehr auf die Schlucht zuritten. Die Männer trugen verschiedenfarbige Kopftücher und waren vom Dschebel Druse. Ich glaube nicht, dass es Drusen waren, sondern Leute aus der Umgebung, halb Bedawi, halb Drusen. Sie sagten, sie wollten den verrückten Farangi sehen, der sich in der Wüste herumtreibt, und nachdem ich herbeigerufen worden war, musterten sie mich kritisch, aber freundlich. Anschließend wurden große Reden geschwungen. Und mit fünfzehn türkischen Pfund und einem Sack Datteln gaben sie sich schließlich zufrieden. Ohnehin hätten sie uns keine nennenswerten Schwierigkeiten machen können, da nur einige von ihnen beritten waren.

Fünfunddreißigster Tag. Wir reiten zwischen zwei kahlen Gebirgszügen, rosa und ocker und purpurrot, im Schatten indigofarben, die sich in stehenden Wasserlachen spiegeln. Dort, wo das Wasser ausgetrocknet ist, ist der Boden rissig und fleckig wie eine Alligatorhaut. Nachdem uns von den Bedawi keine Gefahr mehr droht, denken alle voller Sorge an das Kamelreiterkorps der Franzosen, denn Tabak und Kamele sind zollpflichtig, und das Entscheidende ist jetzt, nicht aufzufallen. Wie eine Karawane aus fünfhundert Kamelen unbemerkt nach Damaskus gelangen soll, ist mir schleierhaft, aber Wunder sind ja nie auszuschließen. Alle sind unruhig und aufgeregt wie beim letzten Tag auf einem Ozeandampfer.

Sechsunddreißigster Tag. Alles kommt, wie es kommen muss. Wir haben unser Lager in einer kleinen geschützten Mulde bei Dmair aufgeschlagen. Wir sind in Syrien. Blauer Rauch steigt über dem Dorf auf und verliert sich in dem Blau der Berge, hinter denen Libanon liegt. Weiter südlich der Dschebel Scheich, gebeugt und ehrwürdig. Ringsum weiden Ziegen und Schafe. Ich würde gern nach Dmair gehen, aber Jassem ist dagegen, er befürchtet, ich könne die verschlafenen Zollbeamten aufscheuchen. Es kommen aber einige Bewohner von Dmair auf Kamelen und Eseln angeritten. Fast wünschte ich, wir wären noch immer in der Wüste, würden aufbrechen statt ankommen, bestünde nicht die Aussicht auf ein warmes Bad und Essen, Essen, Essen.

Siebenunddreißigster Tag. O diese Sajjids. Der unvergessliche Einzug in Damaskus.

Gestern Abend war ein einziges Kommen und Gehen im Karawanenlager, an Jassems Feuer wurde lange diskutiert, und die Kamele stöhnten und brabbelten. Das Letzte, was ich beim Einschlafen hörte, war das Klingeln von Münzen, türkische Goldpfunde, die einzeln in jede Hand gezählt wurden. Als ich morgens aufwachte, sah das Lager aus wie von einem Wirbelsturm verwüstet. Die Hälfte der Kamele, das meiste der Tabakballen und Teppiche und wohl auch des Opiums war verschwunden. Jassem saß seelenruhig da und mahlte Kaffee und strich sich manchmal über den Bart. Während wir gemeinsam Kaffee tranken, gab er mir freundlich zu verstehen, dass ich, wenn ich in Damaskus mit den Franzosen spreche, nicht wissen solle, wie viele Kamele es gewesen seien oder auf welchem Weg wir gekommen seien. Ich sagte ihm, dass ich ein schlechtes Zahlengedächtnis habe.