Dann wurde Abdullahs weißer Hengst gebracht, ich klemmte meinen wundgeriebenen Hintern auf einen scheußlichen Sattel, und dann ging es los in Richtung Damaskus, ich auf dem Hengst, der Sajjid auf seinem Dromedar, der Koch des Sajjid auf einem kapriziösen weißen Kamel und ein Agail zu Fuß, der uns bis zur Straße bringen sollte. Es war ein schier endloser Morgen. Immer wieder kamen wir vom Weg ab, erst über ein struppiges Plateau, dann durch ein fruchtbares Tal mit Weideland, Feldern mit grünem Sesam und Luzerne, Apfelbäumen, rosafarbenen Lehmziegelhäusern. Schließlich erbarmte sich der Sajjid meiner, der ich auf dem steigbügellosen Pferd durchgeschüttelt wurde, und ließ mich auf seinem Dromedar reiten. Dem weißen Kamel behagte der Geruch der Zivilisation nicht, unentwegt versuchte es, in die Wüste zurückzupreschen. Schließlich kamen wir, fast verrückt vor Hunger, wundgerieben, humpelnd und hundemüde, zu einem Dorf, wo wir die Tiere vor dem Kaffeehaus ließen, überaus frugal Bohnen und Käse und Kebab aßen und dann, hingegossen wie Zeus in seinem Adlerwagen, in einem Landauer nach Damaskus fuhren. Doch noch bevor ich etwas in den Mund und Wasser an meine Haut bekam, musste ich sämtliche Verwandten des Sajjid besuchen, bärtige alte Männer im Basar der Schreiber, Leute in geheimnisvollen Höfen, die Anhänger von Faisal waren und gegen die Franzosen konspirierten, einen Schneider in einer Schneiderei, den Inhaber eines Kaffeehauses, das von den Agail frequentiert wurde. Jedes Mal nicht enden wollende Höflichkeiten und Freundlichkeiten, bis wir uns schließlich mit den Mächten der Zivilisation konfrontiert sahen. Wir hatten die Droschke vor einem Kaffeehaus abgestellt, in dem wir eifrig palaverten, und ich war vor lauter Hunger und Ungewaschensein viel zu benommen, als dass ich etwas mitbekommen hätte. Als wir nach draußen traten, sahen wir einen betrunkenen französischen Offizier in der Droschke sitzen. Der Sajjid protestierte, es sei unser Wagen, worauf der Franzose üble Beleidigungen ausstieß und der Sajjid seinen kleinen Dolch zückte, und die Hölle wäre los gewesen, wenn der Franzose nicht vage mitbekommen hätte, dass ich Französisch mit ihm redete. Sofort entschuldigte er sich wortreich, umarmte den Sajjid im Namen der Alliierten, und gemeinsam fuhren wir, «La Madelon de la Victoire» singend, zu einer vollkommen pariserischen Bar im Stadtzentrum. Der Sajjid saß draußen, während wir Okzidentalen hineingingen und im Namen von Liberté, Fraternité und Egalité ich weiß nicht wie viele Gläser Absinth tranken. In einer unendlich rosafarbenen Wolke sauste ich zum Hotel, wo ich den Franzosen und den Sajjid irgendwie abschütteln konnte, und war schließlich allein, räkelte mich wohlig in einem heißen Bad, das nach Absinth schmeckte, nach Absinth roch, angenehm dampfte und rauschte und absinthrosa prickelte.
XI
TABLE D’HÔTE
1. Der Wind bläst das Zelt auf wie einen Ballon,
es zerrt an gespannten Seilen,
will sich losreißen und losfliegen
über wermutbedeckte Schluchten
und schartige Feuersteinhügel,
hinauf in die stürmische Nacht
und die heulenden Wolken.
Fest
wie ein Wurm sich listig
um das Staubblatt einer Fuchsie schlingt,
schlingt ein Mann die Hände um eine Kerze.
Die Flamme zittert im Wind,
züngelt an seinen Händen,
färbt die schwankenden Mauern rot.
Die Hände werfen Schatten auf die roten Mauern.
Das Kerzenlicht schwindet, flackert wieder auf.
Die Schatten sind voll von alten Zeltbewohnern –
Männer, neugierig auf das Leben in den Städten,
Männer, die andersartiges Brot probieren wollen,
Männer, die sich auskennen mit Polarstern
und Mondphasen,
die sich Ost und West
lässig über die Schulter werfen
wie einen Manteclass="underline"
Herodot, Thales, Demokrit,
Heraklit, der Flüsse beobachtete,
parosstirnige lohwangige Reisende,
die lange bei den Weinhändlern saßen und zuhörten,
früh aufstanden und den Hafenwind schnupperten
und das Leuchten der Wüstenorte in der
Morgendämmerung sahen,
und wachen Sinnes
Meere und Ebenen und Städte bereisten,
in festen Händen
bis an die grauen kühlen Augen
die eigenwilligen Seelen von Menschen und Göttern.
Die Kerze ist in Dunkelheit und Wind erloschen.
Das Zelt widersteht dem starken Wind,
festgezurrt, mit Steinen beschwert.
Mein Schlaf wird mit Träumen aufgepumpt,
will sich losreißen und hochfliegen
über wermutbedeckte Schluchten
und schartige Feuersteinhügel,
hinauf in die stürmische Nacht
und die heulenden Wolken.
Vielleicht wenn das Licht im Osten
blecherne und scharlachrote Becken schlägt
mit dem Brummen und Klingeln mächtiger Glocken,
werden weiß über feuersteinbedeckte Hügel
die suchenden zeltlosen Karawanen kommen,
die Bilkis[32] unermüdlich führt,
nickend in ihrem Gewand,
auf einem brüllenden Dromedar.
2. Képis, zwei Mützen, ein Filzhut und eine Melone, kopflos auf der Garderobe. Ein herunterhängender Schal, ein Regenschirm. Dazwischen mein Hut. Die Türen schwingen ...
Tisch, zwei Reihen grüner weißer Kiefer (comme on s’ennuie), kauende rasierte Kinnbacken vor Ketchup-Flaschen und Pickles-Gläsern; Kragen schnüren die Adern an schlaffen Hälsen ein; Messer und Gabeln klimpern in azetylenschimmerndem Zickzack (dans ce sale pays). Seitenblicke (comme on s’ennuie) halten Gedanken fest (dans ce sale pays) wie Klammern auf dem Vorderschnitt von Taschenbüchern.
Mit knarrenden Schritten gehe ich, gesättigt, unauffällig zu den Schwingtüren.
Und gestern
ritt ich auf einem grauen Hengst
in den ersten Olivengarten
und vorgestern
saß ich im vollen Wind,
aß Datteln, in Ghee gebraten,
rechts neben Jassem er-Rawwaf
in der roten Höhle des Feuerscheins,
und sah Hassun seine blutende Fußwunde
in glühender Asche stillen
und lehnte den Kopf an den Ballen
mit fadenartigem gelben persischen Tabak
die Augen gepeinigt vom durchdringenden Rauch
die Beine zerstochen von scharfen Wüstensteinen,
und hörte Salehs
leises durstiges Lied
vom ausgemergelten Hossein und Kerbela
für den schlanken Ali,
dessen Gang, wenn er rufend und rufend
in das Lager die zweiundvierzig Kamele führte,
ein Zug von Königen war, dunkle Heimkehrer,
eingemeißelt auf einem Berg
im Triumph,
und ich fragte mich,
die spitzen Wermutflammen betrachtend,
warum Nawwaf an jenem Tag davonritt
auf seinem großen weißbärtigen Dromedar
ohne ein Stück Brot,
krausbärtiger Nawwaf,
Freund des Winds, Kenner der vier Himmelsrichtungen,
der, wenn er lachte, Stahl
aus kajalschwarzen Augen sprühte.
esch-Scham
XII
DER HOMER DER
TRANSSIBIRISCHEN EISENBAHN
Bei der Pariser Weltausstellung von 1900 – aber vielleicht ist das alles ein Traum, vielleicht habe ich jemanden davon erzählen hören; nein, es muss passiert sein – gab es irgendwo zwischen Eiffelturm und Trocadéro einen langen Schuppen. In diesem Schuppen stand ein nagelneuer Zug der Transsibirischen Eisenbahn, Lokomotive, Tender, Gepäckwagen, Schlafwagen, Speisewagen. In dem Schuppen war es dunkel wie auf einem Bahnhof. Auf einem Holztreppchen stieg man in den großen, dunklen lackierten Waggon. Es war furchtbar. Der Zug würde bald abfahren. Man folgte den raschelnden Kleidern auf dem Gang, bekam Gänsehaut bei dem neuen Geruch. Der Zug roch nach frischem Gummi, gerade gekauftem Spielzeug, nach frischer Farbe und Surren und Öl. Die schmalen Betten waren gemacht, es gab Spiegel, blitzblanke Waschbecken, eine Badewanne. Die Lokomotive pfiff. Hab keine Angst, schau aus dem Fenster. Wir fuhren. Nein, draußen bewegte sich ein Bild, Häuser rasten vorbei, blaugrüne Berge. Der Ural. Jemand sagt mir Namen ins Ohr. Baikalsee. Irkutsk. Sibirien. Jangtse. Mongolei, Pagoden, Peking. Flüsse winden sich durch die blaugrünen Berge, und der starke elektrische Geruch von etwas Lackiertem und Surrendem und Geöltem, das sich mächtig bewegt. Leute auf Booten, Dschunken, das Gelbe Meer, Pagoden, Peking.