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Ich habe ein Zimmer gemietet, um mit mir ganz allein zu sein.

Ich habe einen funkelnagelneuen Weidenkorb, der sich mit

   Manuskripten füllt.

Ich habe weder Bücher noch Bilder, keinerlei

   nette Nippsachen.

Eine Zeitung liegt auf dem Tisch herum.

Ich arbeite in meinem nackten Zimmer, hinter

   einer Milchglasscheibe

Barfuß auf roten Bodenfliesen, und spiele mit Ballonen

   und einer kleinen Kindertrompete:

Ich arbeite am ENDE DER WELT.

Ich begann mit diesen Anmerkungen auf dem kleinen sonnigen Balkon in Marrakesch, vor mir der hohe kakaobraune Turm der Koutoubia mit dem pfauenfarbenen Fries, bekrönt von drei goldenen Kugeln, eine kleiner als die andere, und dahinter die schneebedeckten Berge des Hohen Atlas. Ich beende sie in Mogador in einer verschlossenen Straße, die Häuser weiß wie saure Milch, laute Schritte über dem unablässigen Meeresrauschen in der Ferne. Es ist die Zeit des Nachmittagsgebets, die Stimme des Muezzins erklingt metallisch vom Himmel und verkündet, dass es keinen Gott gibt außer Allah und Mohammed sein Prophet ist. Und ich reise ab um sechs Uhr morgens, vor mir nichts als Räder und hinter mir nichts als Räder. O Thos. Cook and Son, die ihr das Reisen mit langen Fahrscheinbündeln erfunden habt, welchen Zauber habt ihr über die Kinder dieses Jahrhunderts ausgesprochen? Wie verlockend all diese Namen – Bagdadbahn, Kap-Kairo, Transsibirische Eisenbahn, Compagnie des Wagons Lits et des Grands Express Européens, Grand Tronc, Christus der Anden; Panamakanal, technisches Spielzeug, das die Herren Roosevelt und Goethals zum Funktionieren brachten, während alle anderen daran gescheitert sind – für die Bewohner der beiden Amerika habt ihr viele Probleme in euren gigantischen Schleusen angehäuft. Die Fahnen, die Dollars und Cook’s Touristen jagen um die Welt, bis sie einander auf dem Rückweg wieder begegnen. Hier, in Marokko, kann man sie sehen, Stunde um Stunde, wie sie das Minarett begaffen, von dem der Muezzin fünfmal am Tag seinen erhabenen Widerstand gegen das multiple Universum verkündet.

Wenn es nicht so viele Götter gäbe, Konservendosengötter, Stahlgötter, Götter aus Uran und Mangan, lebendige Götter – Mrs. Besant beispielsweise, die, in Oxford gründlich dafür ausgebildet, in Bombay einen neuen Jesus ausruft –, rote Götter von Hungersnot und Revolution, alte Götter in Bibliotheken, korallenfarbene Gipsgottheiten in Miami, sprudelnde Ölgötter in Tulsa, Oklahoma, könnten auch wir auf unseren Gebetsteppichen sitzen im weißen unabänderlichen Sonnenschein des Islam, was Hingabe bedeutet. Die Sonne unserer Generation ist pickelig geworden, ihr brüchiges Licht flackert in Streifen von undefinierbarer Farbe. Nehmen wir den Zug, in Florida wird Glück grundstückweise verkauft. Also müssen wir die Kontinente durchqueren, immer mit dem Rattern von Rädern in den Ohren, mit dem Dröhnen von Flugzeugmotoren, durch alle Meere schlingern, mit dem Geruch von heißem Maschinenöl in der Nase und dem Stampfen der Maschinen in unserem Blut. Was entsteht aus dem Babel aufeinandergetürmter Städte und Kontinente, einer kleingepressten und langgezogenen Welt, die wie ein neuer Gummiball springt? Bestimmt nicht Frieden. Darum ist es gut, in diesem Zeitalter gigantischer Maschinen und flachköpfiger Menschen ein wenig Musik zu haben. Wir brauchen Söhne Homers, die das schrille Getöse der Welt in einen menschlichen Rhythmus bringen und uns die Angst nehmen.

XIII

KIF

Gare St. Lazare. Ein Mann sitzt am Fenster eines Restaurants und isst Buchstabensuppe. Draußen in der Dämmerung, die rosa Sand über den grausteinernen Bahnhof streut, schaukeln grüne Autobusse, Taxis hupen hysterisch, junge Frauen und Männer kommen mit weißen Dämmergesichtern aus der Metro. Eine rotgesichtige Frau verkauft Rosen, ein Mann mit kantigem schwarzen Bart blättert im Paris-Soir. Vom algengarnierten Meeresfrüchtebuffet – Austern, Jakobsmuscheln, Seeigel, Miesmuscheln, Venusmuscheln, Hummer, Schnecken, Garnelen, Krabben – weht Gezeitengeruch heran. Der Mann am Fenster, der gegen seinen Willen Buchstabensuppe isst, rührt langsam mit dem Löffel. Sechs Buchstaben sind nach oben gekommen – GEH LOS. Entschlossen isst er sie. Rührt noch einmal, drei Buchstaben sind übrig – GEH.

Wie war die Geschichte des Iren mit dem künstlichen Gebiss, der für den britischen Geheimdienst arbeitete und in dem kleinen Lokal hinter der Nuriosmaniye-Moschee in Stambul Buchstabensuppe aß? Er wurde von einer Frau angeschossen, die angeblich Russin war, und es hieß, er habe sein Schicksal in der Buchstabensuppe gelesen. Warum sind immer so viele X in der Buchstabensuppe?

In der Menschenmenge, die den Bahnhof betritt und verlässt, bewegen sich lange, widerhallende Dämmerungsworte. Die asphaltschimmernde Stadt ist flach und winzig, eine Wüste unter der letzten sengenden Weite des Sommertags.

Der andere Bahnhof ist lichterfüllt, ein Refugium in der leeren Abenddämmerung. Der Zug ist vollgepackt mit Menschen und Koffern. Im letzten Moment erwische ich den achten Platz in einem Dritter-Klasse-Abteil. Im Abteil ist nicht genug Platz für sechzehn Beine diverser Geschlechter, für sechzehn perspirierende Arme. Im Gang kann man stehen und rauchen und die Vorstädte von Paris sehen, verwahrlost und qualmend in der Dämmerung, von der heranrückenden Nacht endlich anständig begraben. Der Zug braust wie eine kreischende Todesfee dahin, gräbt sich mit neugierigen Lichtfingern durch eine Bilderbuchlandschaft. Die rumpelnden Wagen singen: Mort aux vaches aux vaches aux vaches. Mort aux VACHES.

Der Zug fährt mit einem anderen Zug um die Wette, hängt ihn ab; Fenster, Gesichter, Augen verschwimmen zu Erinnerungen, die von der hohlen, donnernden Nacht verschluckt werden, verblassen zu anderen Zügen; der Congressional, der sich in den fiebrigen Frühling von Maryland bohrt und in Barackensiedlungen voller traurig wehendem Flieder die Gatter zuschlägt; der Black Diamond; der namenlose Zug von Nirgendwo nach Nirgendwo, die tanzenden Quasten der blauen Lampenschirme, das Hinausschauen aus schmerzhaft schlafschweren Augen auf die rotgelben verschwindenden Blumen mit zurückgebogenen Blütenblättern, dunkle flaschenförmige Gestalten und unerklärtes Wort, Hochöfen; der Zug, der sich auf der Eisenbahnfähre zusammenfaltet, um den hellschimmernden Gut of Canso[37] zu überqueren; der Zug der Transsibirischen nach Peking, der nie seinen Schuppen verließ. Zu viele Züge, zu viele Räder, die über Bahnübergänge rumpeln, ausgesprochene fremde Namen in der Nacht. Abschiede an Fahrkartenschaltern, letzte Mahlzeiten, eilig am Buffet verschlungen, Hände auf dem Koffergriff; den Kopf des Mädchens am Bahnübergang sieht man auf dem Körper eines Streckenläufers weiter hinten am Gleis, hungrige Augen, die durch schmutzige Fenster schauen, lächelnde Lippen, beim nächsten Halt ins Leere starrend, fragende Augen braunarmiger Banden ruhen auf ihren Opfern.

Ich sitze wieder auf meinem Platz zwischen der hochbusigen Dame in Serge, die sich zum Schlafen ein Taschentuch über das Gesicht gelegt hat, und dem steifen Annamiten, der kerzengerade dasitzt. Gegenüber schläft ein frischverheiratetes Paar, eingeschnürt in neue Sachen. Ihr Kopf ruht auf einem Kissen in die Ecke, der Mund steht offen. Er hat das rote Weintrinkergesicht an ihrer Schulter vergraben. Die Fenster sind geschlossen. Die Luft ist zum Schneiden.

Ich wache auf, die Sonne in den Augen, sehe die langen blauen Schatten schwarzer Zypressen. In einem blitzsauberen, cremefarbenen Bahnhof riecht es nach Rosen und Knoblauch und Staub: le Midi.

In Beni Ounif war die Luft reines weißes Feuer. Es war unheimlich, aus dem bierdunstigen Speisewagen in diese Weite zu treten. Ein schwarzer Boy mit rotem Fes trug meine Tasche zu Madame Mimosa’s. In einem abgedunkelten Zimmer streckte ich mich auf dem Bett aus. Pfeifend und fauchend setzte sich der Zug wieder in Bewegung, verschwand in der Felsenwüste. Von fern das leiser werdende Rumpeln von Rädern auf Schienen, dann Stille. Schlafschwere Stille.

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37

Gut of Canso Meerenge zwischen Nova Scotia und Cape Breton Island