Jefferson Higgins tippte und tippte. Als er die Zigarre fertiggeraucht hatte, klingelte er nach einem Whisky. Der Kellner war ein perfekt Englisch sprechender Bulgare. Während er Platz für den Whisky machte, warf er einen raschen Blick auf die getippten Seiten. Einige Namen kannte er. Sobald er wieder unten in der Bar war, beauftragte er einen Landsmann, der weiter hinten Gläser spülte, einem bärtigen Mann in einer kleinen Bar in Galata etwas auszurichten, der neben einem mechanischen Klavier saß und mit einem einarmigen griechischen Matrosen Tavli spielte. Als die britische Militärpolizei um Mitternacht erschien, um bestimmte Leute zu verhaften, waren die gewichtigeren Vögel bereits ausgeflogen.
Aber Jefferson Higgins war auf dem Lloyd-Triestino-Dampfer schon weit draußen im Marmara-Meer. Es war eine mondhelle Nacht. Er fühlte sich weich und zart wie damals, als er mit den Zwergen und den Königen von Irland gesprochen hatte. Sein Gälisch war eine Kelle, mit der er reiche Gedanken vom milchweißen Himmel schöpfte. Am Butterfass stand das Mädchen mit den weißen Armen. Manchmal blinzelte eine weiße Schulter aus ihrem Kleid hervor. Er summte «Kathleen Mavourneen», rief dem Barmann zu, ihm einen Ginfizz zu bringen, und summte wieder «Kathleen Mavourneen». Erst in Marseille würde er etwas Vernünftiges zu essen bekommen. Im Bristol. Er musste ein nettes, sympathisches Mädchen finden. Aus den wilden machte er sich nichts mehr, dafür war er zu alt. Eine Woche würde er wie ein Sultan leben. Dann würde er Makropoulos aufsuchen und einige Investitionen tätigen. Es wurde langsam Zeit, an die Zukunft zu denken, an das Alter. Er sah die großen trockenen Linien der Hügel, die im Mondschein leuchteten. Das Schiff fuhr durch die Dardanellen.
Die Briten durchkämmten Pera derweil nach Russen. Mehrere Leute erschossen sich. Olgas Mann streckte einen Sergeant durch einen Stoß in den Bauch nieder, woraufhin er von einem nervösen Rekruten prompt mit einem Kopfschuss erledigt wurde. Die russischen Emigranten, die man bolschewistischer Neigungen verdächtigte, wurden in einem Keller zusammengetrieben. Den meisten war egal, was mit ihnen passierte. Viele freuten sich über die Aussicht auf eine anständige Mahlzeit. Dann wurden diejenigen, die als besonders gefährlich galten, ausgesondert und in Gefangenenlager gebracht. Die Übrigen wurden auf einen Kahn verladen und auf das Schwarze Meer in Richtung Odessa abtransportiert. Olga war nicht dabei. In Gesellschaft eines französischen Dolmetschers konnte sie Konstantinopel verlassen, und am Ende tauchte sie in Algier im Etablissement einer gewissen Madame Renée auf, fünfzig Francs für das Mädchen und fünfzig für das Haus. Wo immer sie hinging, trug sie ihren zinkweißen, fest modellierten Körper so sorglos mit sich herum, wie man einen Stuhl durch ein Zimmer trägt.
Niemand weiß, wie Olga es nach New York schaffte – vielleicht als Ehefrau von irgendjemandem. Jedenfalls war sie glücklich in dem Lärm und dem Trubel in der East Side, wo sie wohnte, obwohl sie immer müde war. Besonders gefielen ihr die Five-and-Ten-Cent-Läden und die blauen Trolleybusse auf der Second Avenue. Nachts trat sie in einer Kaschemme am östlichen Ende der Seventh Street als Sängerin auf. Aber wenn sie sang, sah sie zu sehr wie eine Schülerin aus. Das andere Mädchen, eine dunkle Jüdin, die in Panama gewesen war, bekam den ganzen Applaus für
A thousand miles of hugs and kisses
O ... poppa ... here we are
O so far ... from Omaha.
Als wir in Findi auf dem Platz inmitten der verfallenen Häuser eintrafen, begrüßten uns der Caid und sein Bruder, der Tirailleur gewesen war. Ich überreichte meinen Brief, und der schwarze Mohammed hielt eine kleine Ansprache. Wir saßen im Gästezimmer, einem weißgetünchten Kämmerchen mit einer Bordüre von blauen Weinblättern und einer Hand, die das Muster regelmäßig unterbrach. Sie brachten Datteln und saure Milch. Es waren Angehörige der Beni Amer, reinblütige Araber, die die Franzosen in der Oase angesiedelt hatten, nach der Flucht der Haratin und Berber, die den Ort ursprünglich gebaut und die Dattelgärten angelegt hatten. Die Brunnen füllten sich wieder, und der Sand rückte den Palmen näher. Als wir unseren Teller leer gegessen hatten, gingen wir langsam und würdevoll umher, um die Sehenswürdigkeiten der Oase zu besichtigen, den Ort, wo die Schlacht zwischen den Joyeux und den Einwohnern stattgefunden hatte, die alten Brunnen, den Damm, der in alter Zeit errichtet worden war, die Gemüsegärten, die Stelle, wo eine ausländische Dame ihr Zelt aufgeschlagen hatte und fünf Tage geblieben war, das verfallene Denkmal für die französischen Soldaten, die in der Schlacht gefallen waren, die Reifenabdrücke des schweren Autobusses mit sechs Radpaaren, der hier vorbeigekommen war, um litzengeschmückte Offiziere nach Timimoum zu bringen. In dem Berg südlich der Oase wohnte ein Dämon namens Dariuss, der einen großen Goldschatz bewachte. Wenn jemand hinaufsteigen wollte, rollte er ihm Felsbrocken entgegen.
Nach dem Essen, Ta’am mit süßer Milch und Eier, tranken wir Tee und saßen noch lange im Licht der beiden Lampen und plauderten. Schließlich vergaßen sie mich, ich lehnte mich an die Wand und ließ die Wellen des Arabischen über mich hinweggleiten. In Gesprächspausen war kein Laut zu hören. Die sechs oder acht Männer, die in der Oase lebten, waren alle in dem Zimmer. Wahrscheinlich lauschten ihre Frauen durch Mauerritzen. Außer den paar bewohnbaren Häusern gab es die verfallenen Häuser des alten Ksar, die hohen Dattelpalmen und den mächtigen sonnengetränkten Felsen, wo nur der Dämon Dariuss Wacht hielt.
Eine große unaufgeregte Ruhe lag in den Gesichtern der Männer, die Energie ihrer Worte versetzte diese Ruhe nur in leise Wellen. In allem suchten sie die Ruhe, den Frieden Allahs, des Barmherzigen, des Allerbarmers. Das hatten Ahmed und sein Freund, der Schneider, in Marrakesch gesagt, während Ahmed den frischen Hanf für die Pfeife Kif schnitt. «In Amerika trinken wir Stimulantien, um uns anzuregen», hatte ich gesagt. «Ihr raucht Kif, um Frieden zu finden.» Er wusste nicht, was ich meinte. Aufgeregt war er gewesen, als das Maultier sich losgerissen hatte und er hinterhergelaufen war und dabei seine Pantoffeln verloren hatte, ein elendes Gefühl, schlimmer als Seekrankheit. Ich erzählte von Coney Island, wo Leute sich für Geld durchrütteln und anrempeln lassen, in die Tiefe stürzen, in Fässern rollen, über wackelnde Brücken schwanken. Ahmed fand, dass wir im Westen verrückt seien, aber da wir so reich seien, müsse in unserer Verrücktheit eine baraka sein. Er gab dem kleinen Schneider eine Pfeife, der sie würdevoll entgegennahm und rauchte, dazwischen immer wieder Tee trank und ruhig dasaß und durch die Tür in den hohen Himmel sah, ein schläfriges Lächeln in den Mundwinkeln. Dann inhalierte Ahmed tief und saß da und schaute mit blauglasigen Augen ins Nichts. Er gab mir die Pfeife. Der Westler, der Buchstabensuppenesser, zog mechanisch den beißenden Rauch ein. Gab es genug Kif auf der Welt, die atemlosen Begierden zu ertränken, den Gedanken an die nächste Sensation, die Feierabendhektik von Bahnhöfen, den Irrsinn der Städte in der Dämmerung, die Räder, die Maschinen, das endlos abrollende Druckpapier? Für Ahmed existierten all diese Dinge nicht. Das Leben war ruhige Hingabe, seine Erfüllung war der Bruder des Lebens, der Tod.