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In einer Ecke hocken ein paar Tataren beieinander, breitgesichtige Männer mit schwarzen Augenschlitzen im Gesicht. Ernst und bewegungslos sitzen sie da und schauen über das helle Wasser, spielen Karten oder schneiden ihr Brot, um die Scheiben in der Sonne zu trocknen.

Der Kapitän, ein hochgewachsener Mann mit weißem Walrossbart, ist mit ernster Miene zu mir gekommen, blickt hinunter in den Laderaum und schnalzt mit der Zunge. «Sie stinken, diese Russen. Sie haben keine Offiziere. Was nützt es, sie zurückzuschicken und noch mehr Bolschewiken zu machen. I Alleati son’ pazzi ... tutti. Die Alliierten sind verrückt, alle. Gibt es nicht schon genug Bolschewiken?»

2. Angora

Es war eine Überraschung, auf der Bank neben der Kajütstreppe sechs uniformierte türkische Militärärzte vorzufinden. Als wir in Konstantinopel ablegten, war nichts von ihnen zu sehen gewesen. Sie waren besorgt wegen des griechischen Kreuzers Chilkis, der Fischerboote versenkte und Küstendörfer beschoss. Sie hatten das entschlossene Gesicht von Männern, die mit dem Rücken zur Wand stehen. Sie begegneten mir mit alberner und eiskalter Höflichkeit.

«Ihr Europäer seid alle Heuchler. Wenn türkische Soldaten über die Stränge schlagen und ein paar Armenier töten, die Spione und Verräter sind, rollt ihr mit den Augen und sprecht von Massaker, aber wenn Griechen schutzlose Dörfer niederbrennen und arme Fischer ermorden, dann bringt das die Demokratie auf der Welt voran.»

«Ich bin kein Europäer, sondern Amerikaner.»

«Wir haben Ihrem Mister Villson geglaubt ... Wir wollen einfach in Ruhe gelassen werden und unser Land in Frieden neu aufbauen. Wenn ihr an die Rechte kleiner Nationen glaubt, warum habt ihr dann zugelassen, dass die Briten die Griechen auf uns hetzen? Ihr glaubt, der Türke ist ein alter kranker Mann, der immerfort Nargilé raucht. Vielleicht sind wir alte und kranke Männer, aber ursprünglich sind wir Nomaden. Wir sind nüchtern, und wir können kämpfen. Notfalls werden wir wieder Nomaden. Wenn die Alliierten uns aus Konstantinopel vertreiben, na schön. Das ist eine heruntergekommene Stadt voller Elend. Wir werden Angora zu unserer Hauptstadt machen. Wir sind keine Städter. Unser Leben spielt sich auf den Feldern und den Ebenen ab. Wenn man uns aus Angora vertreibt, werden wir zurückkehren in die weiten Ebenen Zentralasiens, wo wir herkommen. Sagen Sie das Ihren Hochkommissaren und Ihrem Mister Villson. Sie waren in Stambul. Haben Sie dort Türken gesehen? Nur alte Leute, Bettler, Armenier und Juden, Gesindel. Die Türken sind alle in Angora bei Mustafa Kemal.»

«Reisen Sie nach Angora?»

Sie nickten ernst. «Wir reisen nach Angora.»

3. Unerklärliche Treppen

Wir liegen in der Bucht von Trapezunt vor Anker. Ich laufe auf dem Oberdeck hin und her. Die Behörden wollen niemanden an Land lassen, weil die Chilkis heute Morgen die Stadt beschossen hat. Es geht das Gerücht, dass an den verbliebenen Griechen und Armeniern Vergeltung geübt wird, also laufe ich das Oberdeck krumm und schief und schaue hinüber zur Stadt, bis mir die Augen fast aus dem Kopf fallen.

Eine rosa und weiße Stadt, auf Bögen gebaut, terrassenförmig angelegt zwischen Zypressen, Kuppeln und Minaretten und verwitterten Türmen vor einem perlmuttfarbenen Himmel, der sich über der Schulter eines massigen, steil abfallenden Bergs erhebt. Weiter hinten mattrote Felsen, durchzogen von unerklärlichen weißen Treppen, die vom Meer im Zickzack hinaufführen und in der Felswand plötzlich enden.

Über das grasgrüne Wasser nähern sich schwarze Barkassen, um die Fracht an Land zu bringen.

Trapezunt, eine der Städte meiner Kindheitsgeographie, ein Ort von Schwertern und Nachtigallen und einer Königstochter in einem Garten, wo Rubine und Diamanten an den Bäumen wachsen und nicht Blüten, eine einsame, unerlöste Prinzessin, hell und kalt und schlank wie ein Eiszapfen, bewacht von goldenen Löwen und Maschinenrittern und einem Regen aus geschmolzenem Blei und Donner und Rauch von griechischem Feuer.

Und was tut sich in diesem Trapezunt unter der weißen Maske von Mauern und Kuppeln? Aus keinem der Häuser steigt Rauch auf, kein Laut kommt über das Wasser. Ich laufe das Oberdeck krumm und schief und wundere mich über die weißen Treppen, die vom Meer im Zickzack aufsteigen und in der Felswand plötzlich enden.

Bei Sonnenuntergang lichteten wir den Anker und fuhren weiter, die Küste entlang nach Osten, hinein in das Dunkel.

IV

ROTER KAUKASUS

1. Die Dämmerung der Dinge

Hinter einer zersprungenen, mit Papierstreifen zusammengehaltenen Schaufensterscheibe sitzen die Dinge in einsamer Konklave. In der Mitte steht ein hängebauchiger Samowar, leicht zerbeult, die Pfeife oben schräg, die Griffe verstaubt. Darunter, auf mottenzerfressenem schwarzen Samt zwei silberne georgische Schwertscheiden, markant ziselierte Silberbecher, eine zersprungene, schimmelfleckige Karaffe, einige Uhren, zwei Schweizer Modelle in angelaufenem Sprungdeckelgehäuse, eine ziemlich neue Ingersoll mit Leuchtziffern, ein paar dicke alte Repetieruhren, zwei Dresdner Porzellanleuchter, etwas Spitze, ein Stapel billiger Seifenstücke, Garnspulen, Stecknadelschachteln. Im hinteren Teil des Ladens beugt sich ein gelbgesichtiger alter Mann über einen Tresen, auf dem Ballen von bedrucktem Kattun liegen. An der Wand stehen ein mit Perlmutt eingelegter türkischer Schemel, ein Mahagonifrisiertisch ohne Spiegel und ein paar gusseiserne Waschständer. Die Falten des Mannes haben sich in einer tiefen Furche zwischen den Brauen versammelt. Seine Augen haben das leise Knurren eines Hundes, der beim Wühlen im Abfall gestört wird. Er schaut durch schmale Pupillen hinaus auf die sonnenhelle, dreckige Straße, wo hagere Männer mit aufgestütztem Kopf am schiefen Rinnstein sitzen und gelegentlich eine von klapperdürren Gäulen gezogene Droschke vorbeikommt und Soldaten in Hauseingängen lungern.

Der alte Mann ist der letzte Hüter der Dinge. Diese Gegenstände, persönlichen Effekte, Habseligkeiten, Objekte, die Ziel und Lohn des Lebens waren, Inhalt allen Strebens, ersehnt und erarbeitet von allen Generationen, haben hier, hingeworfen und vernachlässigt, ihren Sinn verloren. Die Menschen, die sich hungrig auf dem schiefen Kopfsteinpflaster dahinschleppen, schauen nie in das Schaufenster der Spekulanten, bleiben nie stehen, um neidisch die Objekte zu betrachten, die ihnen vielleicht einmal gehörten. Sie haben sie wohl vergessen.

Nur gelegentlich betritt ein Ausländer, dessen Schiff im Hafen liegt, den Laden des Alten, lässt sich dieses oder jenes zeigen, kauft Schmuck, um ihn in Europa weiterzuverkaufen, oder fährt in einem Hinterzimmer hinter verschlossener Tür über Pelze oder Teppiche, die nur nach endlosem Gefeilsche und einem kleinen Bakschisch außer Landes geschmuggelt werden können. An dem Abend, bevor wir Batum erreichten, sprach das ganze Schiff darüber, was es dort alles gäbe, spottbillig, pour un rien, per piccolo prezzo. Die Leute rieben sich die Hände und zählten ihr Geld, wie Angler vor Beginn der Forellensaison ihre Gerätschaften überprüfen.

Wenn man durch die baumgesäumten Straßen von Batum schlendert und dabei in die Häuser schaut, sieht man meist hohe leere Räume, manchmal ein Bett oder einen Tisch, Kochutensilien, ein Moskitonetz oder einen Spitzenvorhang vor einem geöffneten Fenster. All die hübschen Dinge, all die polierten und flauschigen und mit Troddeln versehenen Gegenstände, die das Dasein schmückten, sind verschwunden. Vielleicht ist das meiste während des Krieges dahingegangen, unter den schweren Rädern so vieler Armeen von Invasoren und Besatzern, der Russen, der Deutschen, der Briten, der Türken, der georgischen Sozialdemokraten und zuletzt der Roten Armee. Nach Jahren ständiger Unsicherheit, in denen sie die geschätzten Gegenstände immer wieder ängstlich vor Plünderern und Dieben versteckten, scheint Apathie über die Leute gekommen zu sein. Sie liegen den ganzen Tag am Kieselstrand vor der Stadt, haben sich ihrer ärmlichen Sachen entledigt, braten in der Sonne, steigen ab und zu in die weiten grünen Wogen, die das Schwarze Meer heranträgt, oder sitzen plaudernd in Grüppchen unter den Palmen des eigentümlich verwahrlosten Elysiums der Hafenpromenade. Mit dem Hunger ist eine Sorglosigkeit gekommen, die wahrscheinlich angenehmer ist, als man denkt, etwas in der Art des köstlichen Schlafs, der Erfrierende überkommt.