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Ich ließ die Boote dicht aneinanderrücken und teilte, ohne daß wir die Fahrt verlangsamten, den Gefährten mit, welche Entdeckung Pedro gemacht hatte. Als ich meinen Blick zufällig nach hinten wandte und die Warraulen sah, die immer noch hinter uns herjagten, schlug ich mir plötzlich an die Stirn.

„Natürlich, die Warraulen!” rief ich aus. „Es ist doch ihr Gebiet, ihr Fluß!”

Alle hatten mich verstanden. Wir zogen die Ruder ein, und nach einigen Minuten hatten uns die Warraulen erreicht. Ich ließ ihnen sagen, sie möchten so nahe herankommen, daß mein und ihr Boot Bord an Bord lägen. Ich zählte achtzehn Männer, meist noch jung an Jahren, und soweit ich bereits in den Gesichtern der OrinokoIndianer zu lesen verstand, waren es keineswegs Feiglinge, sondern mutige Burschen, die uns beweisen wollten, daß unser höhnisches Gespött ungerechtfertigt gewesen war. Ihre Mienen waren verlegen, sie wußten nicht, wie wir sie aufnehmen würden. Wir sahen, daß sie sich die Waffen der getöteten Akawois angeeignet hatten.

Als sie bei unserem Boot anlangten, sprach der Steuermann, der sichtlich der älteste von ihnen war, mit rechtfertigender Stimme: „Ihr dürft euch nicht über uns wundern! Wir waren wie betäubt, wir hatten den Kopf verloren...”

Ich winkte ab und unterbrach seine Worte in freundschaftlichem Ton: „Hör auf, davon zu sprechen. Das ist unwichtig. Wollt ihr mit uns nach Kaiiwa fahren?”

„Ja, das wollen wir.”

„Habt ihr alle Waffen?”

„Jawohl.”

„Und was habt ihr mit den Feuerwaffen gemacht?”

„Sie sind hier. Wir können damit nicht umgehen.”

„Dann reicht sie uns herüber!”

„Hier, nehmt.”

Es waren fünf Büchsen, die sich in einem fürchterlichen Zustand befanden, außerdem einige Bambusrohre sowie Pulver und Blei. Als ich die Büchsen genauer betrachtete, fand ich auf dem eisernen Beschlag des Schaftes ihr Herkunftszeichen. Neben dem durch Rost unleserlich gewordenen Namen des Ortes konnte ich das Wort „Nederland” entziffern.

„Wie heißt du, Freund?” fragte ich den Steuermann.

„Kuranaj.”

„Bist du Häuptling?”

„Ich bin jetzt der Führer dieser Männer”, antwortete er ausweichend.

„Von jetzt ab wirst du mir gehorchen und ohne meinen Befehl nichts unternehmen! Kennt ihr den Fluß und seine Nebenarme gut?”

„Wir kennen ihn, Herr.”

„Dann weißt du auch, daß der Orinoko einen Bogen nach Norden macht?”

„Natürlich, Herr, ganz genau weiß ich das. Deshalb haben wir uns ja so beeilt. Wir kennen einen kürzeren Weg, er heißt Guapo ...” „Der den Bogen abschneidet?”

„Ja, und er ist besser, denn auf dem Guapo ist die Strömung vom Meer nicht so stark wie auf dem Hauptstrom.”

„Während der Flut?”

„Ja, Herr.”

„Du kommst uns wie gerufen, Kuranaj. Vorwärts, führe uns über den Guapo!”

Zwei Stunden vor Sonnenuntergang begegneten wir einer Jabota mit zwei arawakischen Spähern. Wir erfuhren, daß die Akawois einen Vorsprung von gut zehn Meilen hatten und in großer Eile den Hauptstrom hinunterführen.

Ein wenig später öffnete sich auf der rechten Seite der Urwald, und wir sahen, daß sich der Fluß gabelte. Der rechte Teil bildete zunächst eine Art Bucht, die sich in der Ferne zu einem mäßig breiten Fluß verengte. Dieser Fluß wurde von den Warraulen Guapo genannt. Hier mußten wir einbiegen. Da die Strömung im Hauptarm fast aufgehört hatte und die Warraulen versicherten, daß wir Kaiiwa noch vor dem Morgengrauen erreichen würden, wenn wir die Fahrt vier, fünf Stunden später fortsetzten, so wurde beschlossen, an dieser Stelle eine kurze Rast zu halten. Das etwas höher gelegene Ufer schob sich hier mit einem sandigen Keil zwischen den Fluß und dessen Seitenarm. Dieser Zipfel schien uns der geeignete Lagerplatz zu sein. Bald darauf prasselten fröhlich die Feuer, und in der Luft lag der angenehme Geruch frisch gebratenen Fleisches.

Der Wald mit seinem üppigen Grün reichte bis auf zwanzig Schritt an unseren Lagerplatz heran, nahm uns aber nicht die Aussicht auf das Ufer des mächtigen Stromes. Im wärmenden Licht der bereits sinkenden Sonne tummelten sich ganze Schwärme von Tagesinsekten, über unseren Köpfen gaukelten gelbe und himmelblaue Schmetterlinge, und aus dem Dickicht er-tönten der abendliche Gesang und das Kreischen der Vogelwelt.

Noch hatten wir uns nicht gesättigt, als in den Baumkronen am Rande des Urwalds eine ungewöhnliche Bewegung entstand und ein schneidendes Kreischen und Pfeifen zu hören war. Ohne Zweifel bedeutete es Angst. Der Lärm kam immer näher. Dort mußte etwas Besonderes vor sich gehen.

„Akalima!” riefen die Schmausenden an den Feuern, als sie die Tiere an der Stimme erkannt hatten. Sie sprangen auf, griffen zur Waffe und eilten dem Dickicht zu.

„Affen, eine Affenherde”, erklärte mir Lasana.

„Der Akalima hat gutes Fleisch.” Arasybo schnalzte mit der Zunge, rührte sich aber nicht von der Stelle.

Lasana ergriff gleich den andern ihren Bogen und wollte zum Wald eilen. Ich hielt sie am Arm fest.

„Du bist mir zu teuer, meine Palme, als daß ich dich allein in den Wald lassen würde, noch dazu ohne Waffe!”

„Laß mich los, ich habe Pfeil und Bogen bei mir! Ich bin nicht allein, viele sind bereits hingelaufen. Siehst du es nicht?” „Ja, sie sind hingelaufen, aber alle ohne Feuerwaffe.”

„Die brauchen sie nicht. Affen kann man auch mit Bogen schießen.”

„Glaubst du etwa, Lasana, die Affen kreischen nur zum Spaß? Hörst du denn nichts?”

„Ja, sie werden von irgend jemand gejagt. Nun laß mich aber los!”

Trotzig funkelten ihre Augen. Wie immer sah sie in ihrer mädchenhaften Empörung bezaubernd aus.

„Und wenn dieser Jemand ein Jaguar ist?” Ich blickte sie freundlich an. 3

Sie gab sofort nach, aber nicht aus Furcht vor dem Raubtier. Eine Welle der Freude huschte über ihr Gesicht.

„Soviel ist dir an mir gelegen?” fragte sie leise.

„Ja, Lasana.”

Ich ließ sie los, sie lief aber nicht weg. Meine silberne Pistole steckte noch im Gürtel. Ich ergriff die Büchse, und dann eilten wir den andern nach, die bereits im Busch verschwunden waren.

Wir hatten etwa zweihundert Schritt zurückgelegt, als wir die Affen auch schon zu Gesicht bekamen. Es waren mittelgroße, schmächtige Tiere mit großen Köpfen und wolligem, dichtem Fell. Der Bauch war weiß, der Rücken dagegen dunkelrot bis schwarz gefärbt. Sie blickten verängstigt umher und stießen klagende Schreie aus. Mit außerordentlicher Gewandtheit schwangen sie sich von Ast zu Ast — sie flohen vor einer unbekannten Gefahr. Wir zählten fünfzehn bis zwanzig Affen, die aber längst nicht die ganze Horde ausmachten. Bald kamen die nächsten. Viele Mütter trugen Junge auf dem Rücken, die sich krampfhaft festklammerten. Alle waren außer sich vor Angst und lamentierten aus Leibeskräften. Einige Affen hielten sich gleich kleinen Menschen mit beiden Händen den Kopf; ihr ganzes Gehaben drückte Verzweiflung aus. Andere, wahrscheinlich waren es Männchen, knurrten wütend, verhielten von Zeit zu Zeit, drohten mit der geballten Faust nach hinten und bleckten die Zähne. Doch konnten auch sie das Entsetzen nicht überwinden, von dem die ganze Horde befallen war, und flüchteten weiter.

Der Urwald gab dem menschlichen Auge eine der vielen Tragödien preis, die sich so oft in seinen düsteren Gründen abspielen. Wer aber war der Urheber des Entsetzens, wo steckte der Feind, der solchen Schrecken verbreitete? Die Wildnis verbarg ihn unseren Blicken.

Unterdessen hatten die Pfeile unserer Jäger bereits mehrere Tiere von den Bäumen heruntergeholt. Die Affen entdeckten bald den neuen Feind und gerieten nun völlig außer Rand und Band. Stumm vor wahnsinniger Angst, stoben sie in alle Richtungen auseinander.